Der deklassierte Klassiker

19451960198020002020

Wo bleiben die Festivitäten zu Franz Grillparzers 150. Todestag? Daniela Strigl über ein befremdliches Desinteresse.

19451960198020002020

Wo bleiben die Festivitäten zu Franz Grillparzers 150. Todestag? Daniela Strigl über ein befremdliches Desinteresse.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Welt werde lernen müssen, diesen schwierigen Namen auszusprechen, urteilte Lord Byron nach der Lektüre der „Sappho“. Inzwischen ist selbst Österreich drauf und dran, diesen Namen nicht einmal mehr als Lippenbekenntnis hochzuhalten. Vielleicht haben Sie ja etwas gehört, ich bin für sachdienliche Hinweise dankbar. Mir aber will scheinen, dass für das Jahr 2022, in dem (am 21. Jänner) Franz Grillparzers 150. Todestag zu begehen wäre, hierzulande keine größeren Projekte, Aktivitäten, Festlichkeiten geplant sind. Keine Ausstellung, keine Tagung, kein Theaterfestival, von Seiten des Burgtheaters weder Sang noch Klang. Es gibt keine neue Werkausgabe. Das ist doch einigermaßen befremdlich für einen Klassiker. Man stelle sich ein ähnliches konzertiertes Desinteresse für Goethe in Deutschland oder für Gottfried Keller in der Schweiz vor.

Warum ist das so? Zum einen liegt es wohl an einem antiquierten Grillparzer-Bild, das von den Österreich-Ideologen der Nachkriegszeit geprägt wurde, deren liebster Text die zur schulischen Pflichtlektüre zerhäckselte Rede des Horneck in „König Ottokars Glück und Ende“ war. Ihr Succus – „da tritt der Österreicher hin vor jeden, / denkt sich sein Teil und lässt die andern reden!“ – wurde zur Parole der neuen rot-weiß-roten Neutralitätsidentität. Nach dem Überschwang nationaler Grillparzerhuldigung schlägt das Pendel nun in Richtung totale Verständnislosigkeit aus. Und das hat wohl zum anderen mit einer Krise des Bildungsbegriffs zu tun. Dem Gerede von der „Kulturnation“ fehlt jede wissensgesättigte Basis, aber auch die Lust an der kritischen Relektüre. Der Dichter war ein „modern“ Zerrissener, ein bissiger Zeitkritiker, war nicht nur der grantige Hofrat, sondern auch ein Feind des Despotismus. Und schrieb 1849: „Der Weg der neuern Bildung geht von Humanität durch Nationalität zur Bestialität.“

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung