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Christa Wolfs Abrechnung im antiken Gewand

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Medea, die Brudermörderin, die Kindsmörderin, diese Bilder, die bis heute die Figur aus der Welt der griechischen Mythologie prägen, übermalt Christa Wolf in ihrem jüngsten Roman „Medea. Stimmen" . Sie läßt Euripides und seine Kollegen aus späteren Jahrhunderten abdanken. Corneille, Grillparzer, Anou-ilh und Hans Henny Jahnn hatten die Kindsmörderin zum Thema ihrer Dramen gemacht. Marie Luise Kaschnitz erzählte den Mythos von Medea ohne die männliche Zutat, den ihr von Euripides angedichteten Kindermord. In ihrer Darstellung der Medea geht die ehemalige DDR-Autorin Christa Wolf noch weiter als die 1974 verstorbene Kaschnitz. Ihre Figur erfüllt einzig die Bedeutung ihres Namens „die guten Rat Wissende". Als solche begeht sie keine Verbrechen, ermordet weder ihren Bruder Absystros noch ihre Kinder, noch Glauke, die korinthische Prinzessin, die Jason, ihr Mann, heiraten soll.

Christa Wolfs Medea deckt Verbrechen auf, das ist ihr einziges Verbrechen. Mit dieser Darstellung macht Wolf von ihrem Recht als Autorin Gebrauch und die Figur zum Werkzeug für ihre persönliche Rache für all das, was ihr, Christa Wolf, in den letzten Jahren seit der Wende 1989 widerfahren ist.

Wie in einem Gerichtsverfahren läßt sie die Protagonisten einzeln zu Wort kommen. Der Kanon von Medea, Jason, Glauke, Agameda, der Kol-cherin und Widersacherin Medeas, Akames und Leukon, den Astronomen des Königs Kreon, erzählt die Geschichte der langsamen Zerstörung einer starken Frau.

Medea, die attraktive, junge Tochter des Aietes und der Idya, des Herrscherpaares auf Kolchis, verläßt ihre Heimat mit Jason, dem jungen Argonauten aus Korinth, dem sie zum Goldenen Vlies verholfen hat. Sie wollte dem verbrecherischen Kolchis entkommen, dessen Opfer ihr Bruder geworden ist, da er die Herrschaft des Vaters hätte gefährden können. Auf der Insel der Kirke vollzieht sie, wie im Mythos, die Ehe mit Jason und begleitet ihn mit einer Schar von Kol-chern nach Korinth. Dort lebt sie an seiner Seite, gebiert ihm zwei Kinder, steckt Demütigungen ein und entdeckt das fürchterliche Geheimnis der Stadt Korinth: die Ermordung Iphi-noes, Kreons Tochter. Als geheimes Menschenopfer erhielt dieser Mord seine Legitimation durch die mächtigen Männer des Staates.

Die Morde an den beiden Königskindern lassen Medea erkennen, daß beide Systeme, das von Kolchis und das von Korinth, im Grunde genommen einander gleichen. Nur funktioniert die Vertuschung von Staatsgeheimnissen in Korinth besser als in ihrer Heimat. Transparenz erscheint Christa Wolf als oberstes Gesetz. Die beiden Regime, denen die Autorin selbst zum Opfer gefallen ist oder zum Opfer gefallen zu sein meint, werden bis zur äußersten Kenntlichkeit gleichgesetzt.

Durch ihr Wissen kann Medea dem Staat gefährlich werden, doch die stolze Zauberin, die allseits als Heilerin beliebt und berühmt geworden ist, läßt sich von einer Männerwelt, deren Schwächen sie genau kennt, „nicht kleinmachen". Das patriarchalische, kapitalistische System des Staates Korinth wird bei Christa Wolf zur Chiffre für eine Männer - weit, die sich auf Catos Satz stützt: „Sobald die Weiber uns gleichgestellt sind, sind sie uns überlegen." Allein deshalb dürfen die Frauen nur im Schatten ihrer Männer agieren, denn „immer muß die Frau dafür zahlen, wenn sie in Korinth einen Mann schwach sieht."

Umso mehr muß die Zugereiste aus dem Osten zahlen, denn sie ist durch ihr Wissen, ihre Heilkünste, ihre Intelligenz der westlichen Männerwelt überlegen. Anders als die Korinther heilt und hilft sie, ohne etwas dafür zu verlangen. Durch eine Intrige ihrer Widersacherin Agameda gelingt es den Astronomen, den offziellen Drahtziehern politischer Angelegenheiten, eine kompakte Mehrheit gegen Medea aufzubringen, sie wird ausgestoßen. Bevor sie ihren Weg in die Verbannung antritt, vertraut sie ihre beiden Söhne den Priesterinnen der Hekate an. Am Altar werden die Kinder von den Korinthern gesteinigt. Ähnlich wie Marie Luise Kaschnitz beruft sich Christa Wolf auf den eigentlichen Mythos, der den mütterlichen Kindsmord als Männerphantasie eliminiert.

Bei der Kaschnitz flüchtete Medea in Korinth in eine Art innere Emigration, sah sich als Verbündete der Hera, der sie ihre Kinder nach der Geburt anvertraute. Doch als Medea zu Heras Altar zurückgekehrt war, fand sie nur noch die Leichen ihrer Kindel vor. Das Volk stempelte sie als Kinds mörderin ab.

Zu spät hat Wolfs Medea erkannt „Ich hätte Kolchis nicht verlasser müssen ... Auf dieser Scheibe, die wir Erde nennen, gibt es nichts anderei mehr als Sieger und Opfer." So gesehen ist Christa Wolfs Roman nicht nur als Anklage an eine zerstörerische Männerwelt zu lesen, die aus Feigheit aus Angst, ihre Macht an die Frauer zu verlieren, diesen keinen Anspruch auf Selbstbestimmung einräumt, sondern auch als ganz persönliche Geschichte der Autorin. Die Schriftstellerin aus dem ehemaligen Osten, die mit Vorwürfen zu kämpfen hatte, die sie der Kollaboration mit dem kommunistischen Regime bezichtigten, läßt sich leicht mit Medea identifizieren. Sie erzählt die Geschichte einei starken, selbstbewußten, manchmal auch etwas sehr provokanten Frau, die letztendlich Opfer einer Männerwelt geworden ist, der sie sich nicht unterworfen hat. Christa Wolf entlarvt damit, ohne selbst eine literarische Höchstleistung zu vollbringen, die Dramen vieler männlichen Kollegen.

Wenn Medea endlich ihren Weg in die Verbannung antritt, läßt sie ihre Richter in deren Umecht zurück. Auch der Fluch, den sie über sie ausspricht, hilft ihr nicht: „Wohin mit mir. Ist eine Welt zu denken, eine Zeit, in die ich passen würde. Niemand da, den ich fragen könnte. Das ist die Antwort." Wie (und wer: die Männerwelt, die „Wessis"?) man über den Roman richten wird, wird sich wohl sehr bald zeigen.

Es wird sich zeigen, ob man die Stärke aufbringen wird, die eigenen Schwächen zuzugeben oder einfach den Roman, am liebsten plus Autorin, in die Verbannung schickt. Medea ist als Frau von einer Männerwelt zu Fall gebracht worden. Ob Christa Wolf ihre Probleme tatsächlich ihrer Stel-j lung als Frau verdankt, ist indessen! nicht so eindeutig.

MEDIA. STIMMEN

Roman.

Von Christa Wolf.

Verlag Luchterhand, Gütersloh 1996 2)6 Seiten, geb., öS 267,-

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