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Ein Dichter der letzten Dinge

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Der neue „Bergland-Grillparzer“ gewinnt seinen Eigenwert aus der klugen und überaus reichen Auswahl, besonders aber durch die moderne Deutung der Einleitung des Herausgebers.

Die Ausgabe enthält in ihrem ersten Band neben 60 interessanten Kunstdruckbildern einen kurzen genealogischen Abriß, in „Leben und Werk“ eine umfängliche Synchrondarstellung aller 19 Wohnungen und äußeren Lebensereignisse mit dem Werk sowie zwei bedeutende Ausführungen des Herausgebers: „Die Wirkung Grillparzers auf die Welt — gestern und heute“ und „Das Leben Grillparzers“; ihnen folgen: die berühmte Selbstbiographie im Wortlaut der originalen Niederschrift, fast 100 Seiten Dokumente zum Thema „Grillparzer und die Frauen“ und „Grillparzer und Beethoven“, über 200 Seiten „Tagebücher“, darunter die seltenen Aufzeichnungen Wilhelm Bogners, fast 100 Seiten ästhetische Schriften, die beiden Novellen und fast sämtliche Gedichte, Sprüche, Epigramme und Satiren. — Der zweite Band: alle Dramen, mit Esther, Faust, Melusina und Hannibal.

Aus der überaus gründlichen lebens- und geistesgeschichtlichen Einleitung Friedrich Schreyvogels ragen die Kapitel „Europa und der Osten in Grillparzers Sicht“ (S. 46 f.; und „Der Dichter der letzten Dinge“ (S. 47 ff.). In London mit der Explosivkraft der Industrialisierung und des vierten Standes bekannt geworden, vertraut auch mit des Orientalisten und Philosophen Jakob Philipp Fallmerayer unheimlichen Prophetie über die rlawische Expansion und Rußlands Weltmachtansprüchen ist Grillparzer weit über das Weimarer Weltbild („Goethe ist nur bis Karlsbad gekommen“) und das übrige westliche Ghetto hinausgewachsen (am weitesten wohl über die Biedermeierei seiner Heimat) und hat die zwei P.iesenkräfte geahnt, die unsere Zeit bedrängen und formen: den Aufstand der Massen des Westens und die Dynamik des Ostens. Dies alles nicht klar philosophisch und ökonomisch fest umrissen, aber, wie Rudolf II. und Libussa erweisen, im mystischen Nebel, in seherischer Intuition. Aus diesem bestürzenden Blickpunkt fällt Licht auf viele rätselhafte Einsamkeiten des Dichters, die sich in zwei großartigen Selbstbekenntnissen und Selbsterkenntnissen niedergeschlagen haben; einmal, wenn er sich den „Dichter der letzten Dinge“ nennt, ein zweitesmal in den denkwürdigen Versen, deren tiefster Sinn uns erst heute ergreifend offenbar wird:

„Ich komme aus anderen Zeiten Und hoffe, in andre zu gehn.“

Tirol — geschichtliche Einheit. Von Franz Gschnitzer. Bergland-Verlag, Wien. Oesterreich-Reihe, Band 38. 87 Seiten.

Die Herausgeber hätten für diesen wichtigen Band der Oesterreich-Reihe keinen berufeneren Verfasser finden können als den Staatssekretär aus Tirol, der als Politiker um die Bedeutung des Themas weiß, als Wissenschaftler die Objektivität garantiert und als Tiroler das Anliegen zutiefst erlebt. Dem Schriftsteller, vor allem aber dem Redner Gschnitzer gelingt eine Darstellung, die an Lebendigkeit und Anschaulichkeit weit über dem Durchschnitt ähnlicher Versuche steht,

Mit einem Ueberblick über die geographische Eigenart stellt der Verfasser „das Land im Gebirge“ vor, schließt dann ein Kapitel Besiedlungs- und Christianisierungsgeschichte an und läßt nach der Geschichte der Einigung die 700jährige Geschichte der Einheit folgen. Vor dem Bericht über die bittere jüngste Entwicklung wird zum besseren Verständnis ein Abschnitt über die Nationalitäten eingefügt, wobei insbesondere auch die Behandlung der Welschtiroler in der Monarchie gekennzeichnet wird. Das Geschehen des ersten Weltkriegs und der Zwischenkriegszeit, vor allem die auf Vernichtung abzielende Einwirkung der Diktaturen und die aktuelle Problematik der Gegenwart um den Pariser Vertrag und seine Durchführung sind weitere Themen der Darstellung, die mit dem Blick in die Zukunft endet. Diese Schau aber ist von Vertrauen bestimmt, von dem Vertrauen auf die Einheit Europas: „In einem vereinten Europa wird auch wieder Raum sein für die geschichtliche Einheit Tirols.“

Auf kleinstem Raum ist hier eine solche Fülle von Wissenswertem über Tirol und Tirolisches, damit aber auch über Oesterreich und Europa gegeben, daß man sich das Buch in die Hand möglichst vieler Tiroler, Oesterreicher und Europäer wünschen möchte.

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