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Geheime Stärken

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Der österreichische Dramatiker Franz Grillparzer, dessen Geburtstag sich am 15. Jänner zum 200. Mal jährt (siehe auch Seite 8), ist nicht nur einer der großen Klassiker der deutschsprachigen Literatur, sondern auch eine lebendige Verkörperung des Österreichischen. Die Psychologie Österreichs setzt nicht nur die Kenntnis der Biographie Grill-parzers voraus, auch umgekehrt gilt, daß die Biographie Grillparzers so sehr im spezifisch Österreichischenwurzelt, daß Österreich auf diesen seinen großen Sohn zurückverweist und sich Österreich in Grillparzer, aber auch Grillparzer in Österreich wiedererkannt hat und wiedererkennt.

Denn Grillparzer ist - wie gerade jüngste Inszenierungen seiner Dramen zeigen - weit davon entfernt, überholt und verstaubt zu sein. So haben sich „Die Jüdin von Toledo" und „Libussa" als erstaunlich modern und gegenwartsnah, ja zukunftsweisend erwiesen.

Oft wurde an Grillparzer nur die Halbheit und Gebrochenheit seiner Existenz entdeckt und verurteilt. Grillparzer selbst war sich dieser tragischen Zerrissenheit und Halbierung durchaus bewußt. So, wenn er sich dem Halbmond zuwandte und ihn als Gleichnis der eigenen Existenz empfand: „Sei gegrüßt, du Halber dort oben, wie du, bin ich einer, der halb."

Und im „Bruderzwist", seinem wohl bedeutendsten politischen Drama, läßt er Mathias, den Nachfolger Rudolf II. sagen: „Das ist der Fluch von unserm edlen Haus: Auf halben Wegen und zu halber Tat mit halben Mitteln zauderhaft zu streben." Und auch hier meinte Grillparzer nicht nur Habsburg, sondern Österreich insgesamt und wohl auch sich selbst, der sowohl in seinem privaten Leben als auch in seinen politischen Stellungnahmen jene Eindeutigkeit vermissen läßt, die die Zeitgenossen oft als Zeichen von Charakterfestigkeit und Angepaßtheit ansehen.

Und doch war der nämliche Grillparzer, der diesen Eindruck eines Schwankenden und nicht Festgelegten erweckte, ein weiser Mann, ein Grübler und Seher, der von sich sagen konnte: „Nicht hier, nicht dort in den Extremen zünftig, macht' ich vermuten fast, ich sei vernünftig."

Die scheinbare Halbheit und Widersprüchlichkeit entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Ausdruck eines Lebensgefühls, das dem Wandel der Zeiten standhält und bestätigt, was Grillparzer mit Selbstbewußtsein aussprach: „ Will unsre Zeit michbestreiten, ich laß'es ruhig geschehn, ich komme aus anderen Zeiten und hoffe in andre zu gehn."

Wir leben in einer Zeit, in der wir Grillparzer besser als je zuvor verstehen und auch seine Schwächen als geheime Stärken anerkennen können.

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