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Der schwierige Grillparzer

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„Er ist fast immer einer der unsrigen“, sagte Nietzsche im Todesjahr Grillparzers, und dieses einschränkende „fast“ von damals gilt auch für alles heutige Feiern und Rühmen, das eher dem wohlgemeinten Anlaß zum 100. Todestag als einer nahen Wahlverwandtschaft entsprang. Wohl blieben ihm dabei Rang und Würde als Österreichs größter Tragiker, als unvergleichlicher Szeniker, Existentialist des Biedermeiers, Prophet und Warner, Vorausahner und Gestalter modernen Weltgefühls und Menschenbildes, oder wie man es sonst nannte — wohl blieb ihm das alles unbestritten. Denn daß sich das Berliner Schillertheater zu einer Festmatinee Hans Weigel holte, der Grillparzer als gescheiterten Dramatiker „feierte“, weil er die Sprache nicht bewältigt und außer einer einzigen Tragödie (nämlich seiner eigenen) „nichts Wirkliches produziert“ habe, war ebenso originell abwegig, wie daß man in der Grillparzer-Feier des Burgtheaters den steirischen Jungdramatiker Franz Buchrieser („Hanserl“) die Laudatio halten ließ, in der er sich nachdrücklich von Grillparzer distanzierte. Doch die Stimmen, die ihn verschmähten, waren in der Minderheit.

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„Er ist fast immer einer der unsrigen“, sagte Nietzsche im Todesjahr Grillparzers, und dieses einschränkende „fast“ von damals gilt auch für alles heutige Feiern und Rühmen, das eher dem wohlgemeinten Anlaß zum 100. Todestag als einer nahen Wahlverwandtschaft entsprang. Wohl blieben ihm dabei Rang und Würde als Österreichs größter Tragiker, als unvergleichlicher Szeniker, Existentialist des Biedermeiers, Prophet und Warner, Vorausahner und Gestalter modernen Weltgefühls und Menschenbildes, oder wie man es sonst nannte — wohl blieb ihm das alles unbestritten. Denn daß sich das Berliner Schillertheater zu einer Festmatinee Hans Weigel holte, der Grillparzer als gescheiterten Dramatiker „feierte“, weil er die Sprache nicht bewältigt und außer einer einzigen Tragödie (nämlich seiner eigenen) „nichts Wirkliches produziert“ habe, war ebenso originell abwegig, wie daß man in der Grillparzer-Feier des Burgtheaters den steirischen Jungdramatiker Franz Buchrieser („Hanserl“) die Laudatio halten ließ, in der er sich nachdrücklich von Grillparzer distanzierte. Doch die Stimmen, die ihn verschmähten, waren in der Minderheit.

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Seltsam: Seit Jahr und Tag bemühen sich einige namhafte Literarhistoriker und ein paar mutige Theaterleute um eine Revision des entstellten Grillparzer-Bildes, um eine Umwertung seines Werkes. (Das seit 1963 bestehende Grillparzer-Forum Forchtenstein sei stellvertretend für vieles genannt.) Es ist ihnen auch schon weitgehend gelungen, den Gips von der Gestalt des Gewissens-beschwichtigungshofrates der österreichischen Literatur abzuklopfen, wie ihn das Grillparzer-Denkmal mit seinen faden, öd-klassizistischen Basreliefszenen aus Grillparzers Dramen verkörpert. Psychoanalytiker loteten sein Seelenleben aus, zerlegten stückweise die offiziöse Grill-parzer-Biographie, wozu sogar seine eigene Selbstbiographie das Material lieferte, analysierten seine zahllosen neurotischen Symptome, die unheimlich antik-modernen Frauengestalten in seinen Bühnenwerken.

Nur das Theater sperrte und sperrt sich, nur das Publikum verhält sich eher lau, die Jugend völlig ablehnend gegenüber dem Werk eines der größten Dramatiker. Als einzige (!) Bühne Wiens fühlte sich das Burgtheater verpflichtet, des hundertsten Todestages Grillparzers zu gedenken. Gelegentlich des letzten Burggespräches, das konkret der nicht gerade geglückten Inszenierung des „Treuen Dieners seines Herrn“ galt, kam über den unmittelbaren Anlaß hinaus auch der beunruhigende Zwiespalt zwischen Grillparzers dramatischer Kunst und seiner dramatischen Wirkung zur Sprache. Dabei war weniger die mehr provokante Wortmeldung eines bekannten Münchner Schriftstellers ergiebig, der da ungefähr meinte: Ich höre da immerzu „unser Grillparzer“, wieso eigentlich „euer Grillparzer“, soll es denn nicht eher heißen: „unser Karli Schranz“ (wobei er —1 ein typisch Freudsches Versprechen — Schranz mit dem Vornamen Adolf ausstattete). Diese, wenn auch nicht nutzlose Randbemerkung diente nur indirekt dem Thema Grillparzer, im Unterschied zu den Kommentaren eines der führenden Literatur- und Theaterkritikers der Bundesrepublik. Er ist auch der Verfasser eines für die Grillparzer-Renaissance maß-und richtunggebenden Buches: Joachim Kaiser, „Grillparzers dramatischer Stil“. Schon in dem eher resignierenden Nachwort zu einer Neuauflage seines Buches führte der Autor an, daß die Theater relativ selten und wenn, dann immer nur die weniger ergiebigen Dramen Grillparzers spielten. Dazu das Urteil des wirklich kompetenten Bühnenkenners, daß er im Laufe der Jahre nicht einer einzigen Grillpar-zer-Aufführung begegnet sei, welche auch nur andeutungsweise den spezifischen Reichtum des Werkes vorgeführt hätte. Schauspieler könnten die Verse nicht richtig sprechen, die Zuhörer könnten oder wollten die Verse nicht richtig verstehen. Die Theaterleute glaubten eben nicht an Grillparzers Eigentümliches, verwiesen auf die spröde Tragödiensprache, den blassen Jambenschwall und drängten die Spieler in die Stilisierung.

In Wahrheit hat sich Grillparzer eine sehr persönliche Sprache geschaffen. In dem ausführlichen Strom der klassizistischen Blankverse läßt er immer wieder Raum für die dramatische Beredsamkeit stummer Gesten und Gebärden, stellt er Wirkungszusammenhänge über Pausen, Gedankenstriche her, die manches ersetzen, was er der Sprache — aus Mißtrauen gegen die Sprache — nicht anzuvertrauen wagt. Wie oft steht bei ihm wenig im Text, gerade dort, wo Entscheidendes sich vorbereitet oder ereignet. In der Theorie ist das alles schon erkannt; vorläufig aber ist die Wissenschaft dem Theater weit voraus. In Hinkunft werden wohl Regisseure Grillparzers Szenenpartituren genau studieren müssen, um die neuen Aspekte in der theatralischen Verwirklichung seiner Dichtung aufzuspüren; die Schauspieler wieder werden lernen müssen, „das Fehlende“ in den meisten Rollen aufzufüllen.

Es gilt nicht, Grillparzer wiederzugewinnen, es gilt, ihn für das Theater schöpferisch neu zu entdecken. Schließlich war er überhaupt erst um 1930 vom Österreicher und vom Theaterpublikum anerkannt und zur Kenntnis genommen worden. „Ich komme aus andern Zeiten und hoffe in andre zu geh'n“ lautet die Schlußzeile seiner vierzeiligen Selbstinterpretation. Er allein wußte, wer er war. Nun wäre es an der Zeit, daß es auch die andern wahrhaben wollen.

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