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J. S. Machar über Grillparzer

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Allgemein bekannt ist das begeisterte

Urteil eines Engländers, Lord Byrons, über

Grillparzer, besonders mit Beziehung auf des Dichters „Sappho“.

Es gibt allerdings auch Literarhistoriker, die dem Dichter nicht gerecht werden, wie die Deutschen Gervinus, Julian Schmidt, der Däne Georg Brandes. Auch der Österreicher W. Scherer gehört zu diesen.

Daß die Unterrichtsbehörde in Berlin Grillparzer auszuschalten versuchte, das mußte der österreichische Lehrer unserer „Oberschulen' zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft auf Grund des Lehrplanes bitter empfinden. Von den Dramen war nur „Der Traum ein Leben“ in den Lehrplan aufgenommen und im Lesebuch der achten Klasse waren Grillparzer nur eineinhalb Seiten (für die Rede auf Beethoven) eingeräumt, gegenüber, zum Beispiel, elf Seiten der Annette von Droste-Hülshoff.

Grillparzer hat nicht nur den Engländer Lord Byron begeistert, er hat auch in Frankreich Beachtung gefunden wie nicht glekh ein anderer Dichter deutscher Zunge. Wer Grillparzers Wesen und ein Schaffen im ganzen betrachten will, der greift immer noch mit Freude und Erfolg nach der Monographie des Franzosen Auguste Erhard (übersetzt von Necker, 2. Auflage, München 1910). Daß Grillparzer ein tiefes österreichisches Nationalgefühl besaß, das offenbart am deutlichsten seine Selbstbiographie.

Es ist in der Reihe der Urteile beaditens-wert, wie sich ein tschechischer Dichter, J. S. Machar, noch im alten Österreich vor dem ersten Weltkrieg, also im „Kerker der Nationen“, in seiner Einstellung zu Grillparzer wandelt, gerade wegen dessen öster-reichertums.

Ein Mensch mit weltweitem Umblick, dem Menschenwürde und Freiheit der Persönlichkeit etwas bedeuten, der wird durch das Echte und Wahre immer1 wieder überwältigt: so dieser Tscheche vpm österreichischen Wesen Grillparzers.

Josef Svatopluk Machar war 1864 in Kolin geboren, stammte aus einer armen Familie, absolvierte in Prag das Gymnasium und war nach seiner Militärdienstzeit durch 27 Jahre Beamter der Boden-Credit-Anstalt in Wien. Hier bewohnte der einst arme Häuslersohn eine schöne Villa am Rande der Großstadt. Nach der Begründung der Tschechoslowakischen Republik war Machar durch fünf Jahre Generalinspektor der tschechoslowakischen bewaffneten Macht. Als Künstler gehörte er im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts der „tschechischen Moderne“, politisch und weltanschaulich der Gruppe der „Realisten“ (um T. G. Masaryk) an. In Oskar Walzels „Handbuch der Literaturwissenschaft“ wird J. S. Machar als die einflußreichste Persönlichkeit unter den tschechischen Realisten neben dem Philosophen Masaryk und dem Journalisten Herben bezeichnet. Die Grundforderung der „tschechischen Moderne“ an den Künstler ist Individualität, Originalität, Innerlichkeit. Der Künstler müsse mit seiner ganzen Existenz hinter seinem Werke stehen und die Kühnheit haben, „er selbst zu sein“. (Vergleiche V. Martinek, J. S. Machar, Prag 1912.) Er soll das Gewissen und der Richter der Zeit und der ganzen Menschheit sein. Machars Geschichtsauffassung ist besonders gekennzeichnet durch seine Antithese der vermeintlich sinnesfreudigen Antike und des angeblich freudlosen Christentums, wobei natürlich seine Antike, ähnlich wie bei vielen deutschen Dichtern, ein poetischer Traum ist.

Man könnte also glauben, daß Machars Einstellung zu Grillparzer durch dessen Gedicht „Die Ruinen des Campo vaccino in Rom“ bestimmt sei. Dies scheint aber nicht der Fall zu sein, denn in der Reihe von Aufsätzen, die Machar im Jahre 1905 in der Zeitschrift „Cas“ („Die Zeit“) Grillparzer widmet, wird dieses Gedicht nur nebenher in einer Zwischenbemerkung erwähnt.

Machars Wandlung von ablehnender zu anerkennender Wertung Grillparzers ist begründet in der Erkenntnis, daß Grillparzers österreichertum echt, tief innerlich, wirkliches Erlebnis ist. An keinem der Dramen unseres österreichischen Dichters hatte Machar Gefallen gefunden — „König Ottokars Glück und Ende“ erfüllte ihn „geradezu mit Widerwillen“. „Ich sah in dem Stück eine unverschämte Idolatrie der Hofburg“ schreibt er. „Eine derartige Apotheose des mageren, bigotten und geizigen Schweizer Grafen und eine derartige Herabsetzung meines über alles geliebten Przemys-liden — das vermag nur eine Lakaienseele, die für ein zufriedenes Lächeln ihres Gebieters

Für die jüngere Generation unseres Zeitalters der freiheitsliebenden Völker mag es lehrreich sein, zu lesen, was man im Jahre 1905 in der österreichisch-ungarischen Monarchie“, dem „Kerker der Nationen“, schreiben durfte. zu allem fähig ist.“ „Besonders überrascht ist man“, schreibt Machar, „durch die sogenannten Gelegenheitsgedichte und unter diesen durch diejenigen, die sich direkt auf die Hofburg beziehen.“ Im Jahre 1848, dem Jahre der Revolution, habe Grillparzer das Gedicht auf Radetzky verfaßt, in dem die Einmütigkeit der Völker öserreichs behauptet werde. Machar macht sich über diese „Verse-macherei“ des Österreichers lustig.

Erst als Machar Grillparzers literarischen Nachlaß, seine Briefe und Tagebücher kennenlernte, ändert sich seine Meinung: „Dieser Mensch war wirklich ein reinblütiger und aufrichtiger Österreicher.“ „Sein österreichertum entsprang aus der Dynastie, drehte sich um sie und kehrte zu ihr zurück bei jedem Gewitter, bei jeder Verdunkelung des Horizonts.“ „Seine holprigen Verse bei diesen verschiedenen Hochzeiten, Entbindungen, Krankheiten und Todesfällen“ (gemeint sind Gelegenheitsgedichte Grillparzers) . „kamen aus dem tiefsten Innern einer ehrlichen Seele.“ „Dieser Mensch wird zum Opfer des Systems im Metternich-Österreich. In diesem Österreich, das sein Traum gewesen, seine Hoffnung, sein Glaube, seine Liebe.“ Grillparzer habe das Polizeisystem — Machar schildert es in der üblichen Weise eines tschechischen Revolutionärs — innerlich abgelehnt. „Aber er vermochte sich nicht zu widersetzen, weil er aufrichtig liebte und vergötterte.“ „Er hätte das schlagen müssen, was ihm heilig war und was er aufrichtig liebte.“ Und als die Zeiten des Polizeisystems geschwunden waren, da sei auch Grillparzers Jugend und sein Talent dahin gewesen, und dann habe das von ihm so gehaßte Preußen gesiegt und das sei die Tragödie Grillparzers gewesen.

So hat sich Machar mit ihm „versöhnt“, denn diesem Wiener sei die Begeisterung völlig aus der Tiefe der Seele gekommen und er habe diese Tatsadie mit der Tragödie seines Lebens bezahlt.

J. S. Machar verlangt vom Dichter, er solle das Gewissen und der Richter der Zeit und der ganzen Menschheit sein. Gewiß ist Machar selbst ein leidenschaftlicher Wahrheitssucher. Der Wirkung des Echten und Wahren an Grillparzer hat sich Machar nicht entziehen können.

Es war zwar nur in einem engbegrenzten und weniger bedeutenden Bereich menschlicher Problematik, aber auch in diesem Falle bewährte sich die Berechtigung des Grundsatzes: Veritas vincit, das Echte setzt sich durch.

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