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Grillparzer in heutiger Sicht

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Wieder vereinte das Grillparzer-Forum Forchtenstein durch drei Tage Germanisten, Theaterwissenschaftler, Theaterleute und Kritiker, diesmal an die dreißig, die aus neun europäischen und zwei amerikanischen Staaten kamen. Die Aufführung des Trauerspiels „Die Ahnfrau“ bei den von Intendant Herbert Alsen geleiteten Burgenländischen Festspielen im Graben der Burg Forchtenstein bestimmte weitgehend die Vorträge und die von Heinz Kindermann geleiteten Diskussionen. Dies um so mehr, als dieses Stück immer wieder als unaufführbar galt.

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Wieder vereinte das Grillparzer-Forum Forchtenstein durch drei Tage Germanisten, Theaterwissenschaftler, Theaterleute und Kritiker, diesmal an die dreißig, die aus neun europäischen und zwei amerikanischen Staaten kamen. Die Aufführung des Trauerspiels „Die Ahnfrau“ bei den von Intendant Herbert Alsen geleiteten Burgenländischen Festspielen im Graben der Burg Forchtenstein bestimmte weitgehend die Vorträge und die von Heinz Kindermann geleiteten Diskussionen. Dies um so mehr, als dieses Stück immer wieder als unaufführbar galt.

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Ursache: Man spielte stets die seinerzeit von Schreyvogel angeregte fünfaktige Bühneneinrichtung, gegen die es mancherlei berechtigte Einwände gibt, statt die nun in Forchtenstein dargebotene vieraktige Ur-fassung. Schon gleich nach der Uraufführung der tyAhnfrau“ gab es, worauf Roger Bauer, München, verwies, eine heftige Journalistenfehde im Pro und Kontra der Frage „Schicksalsdrama“. Das Fatum fand mit Schillers „Braut von Messina“ auf die Bühne, Gespenster- und Schicksalsdramen wurden sehr beliebt. Da heute das „Schicksal die Bühne verlassen“ habe, wie Dürrenmatt schrieb, kommt dem Beweis der Aufführbarkeit der „Ahnfrau“ besondere Bedeutung zu. Hinsichtlich ihrer Interpretation meinte Piero Rismondo, Wien, in diesem Stück sei bereits die Einheit des Dichterischen mit dem Seherischen angedeutet, das in der „Libussa“ zu einzigartiger Sicht auf die Zukunft führte.

Schicksalhaft wirkt ein Ereignis, dessen Ursache unergründbar ist. Schicksalsdramen waren schließlich in Verruf geraten, so rückte Grillparzer von seiner „Ahnfrau“ ab. Doch betonte er, wie EdwardEdmund Papst, Southampton, ausführt, das Unentbehrliche der Dissonanz, die Bedeutung des Widersinnigen, Inkongruenten, Zufälligen, wobei es beim Zufälligen allerdings der Motivierung bedürfe, damit es als ein letztlich Notwendiges spürbar werde.

Lebendigkeit ersteht aus einer

Ganzheit, der Synthese einer Antithese. Bei Grillparzer selbst, wie in seinen Figuren, sind stets Pol und Gegenpol da, dies zeigte Hinrich S eeba, Berkeley (Kalifornien), auf und verwies auf die Zerrissenheitsliteratur der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Grillparzer beschäftigte sich ein Leben lang mit sich selbst und verfluchte zugleich seine SelbstbeSpiegelung. Er war ein Zerrissener, seine Gestalten sind es nicht weniger. Jaromir denkt an Bertha wenn er in einem Monolog sagt: „Beschützt mich vor mir selber.“ Jason stellt von sich fest: „Ich selber bin mir Gegenstand geworden, ein anderer denkt in mir, ein anderer handelt.“

Einen bisher wenig beachteten Aspekt in der Sicht auf Grillparzers Werk bot Dieter H ensing, Amsterdam. Er zeigte auf, welche Bedeutung in den Stücken dem Räumlichen, besonders der Antithese Heimat und Fremde, Innenraum und Außenraum, zukommt. Bei Jaromir etwa ist das Schloß Heimat, der Bereich der Räuber Fremde, er selber aber muß, durch die Umstände bedingt, an das Gegenteil glauben. Die Stellung Grillparzers zu den literarischen Größen seiner Zeit umriß Herbert Seidler, Wien. Kennzeichnend ist es, daß sich Grillparzer von den Romantikern fernhielt, sich dagegen von Goethe durch die besondere menschliche Größe angezogen fühlte. Das Idealische, vollends das Politische bei Schiller lehnte er später ab.

Grillparzer war 43 Jahre lang Beamter, während 24 Jahren Direktor des Hofkammerarchivs. Lorenz Mikoletzky, der heute diesem Archiv angehört, berichtete von dieser Tätigkeit. Er verwies auf den leicht gekränkten und zugleich selbstbewußten Ton seiner Eingaben um Urlaube und hob hervor, daß Grillparzer stets sehr wohlwollende Vorgesetzte fand. Das Zimmer, in dem er arbeitete, steht heute unter Denkmalschutz.

Schließlich das Wort des Theatermannes. Der Saarbrückener Generalintendant Hermann Wedekind meinte, Grillparzers Stücke habe man so zu spielen, als seien sie heute geschrieben.

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