6617857-1955_43_08.jpg
Digital In Arbeit

DIE ALTE „BURG“ IM NEUEN HAUS

Werbung
Werbung
Werbung

Als ein europäisches Ereignis darf die Eröffnung des Wiener Burgtheaters angesprochen werden. Oesterreich, zwischen Ost und West, Nord und Süd, im Herzen Europas, besitzt hier ein einzigartiges Forum zur Darstellung der inneren Wege und Schicksale der Völker: ihr Leiden, ihre Schuld, ihre Größe bezeugen die Dichter im Drama. Von Sophokles über Shakespeare, Calderon, Corneille zu Goethe, Tolstoi, Claudel zu den Tragikern der Gegenwart, flutet die abendländische Symphonie. Es war richtig, daß die Eröffnung des Wiener Burgtheaters, der ersten Sprechbühne deutscher Sprache, als Staatsakt in würdigem äußerem Rahmen gefeiert wurde, und als Gäste, als geladene Gäste, Repräsentanten des europäischen Kulturlebens, von London bis Moskau, von Berlin bis Rom und Belgrad, und die

Männer und Frauen des österreichischen Kulturschaffens geladen waren.

Das Aeußere: die wiedererstandene Burg, im Strahl der Scheinwerfer, mit dem gegenüberliegenden Rathaus, das als Zeichen der Begrüßung ebenfalls im reichen Glanz der Lichter erstrahlte, wirkt als eine harmonische Einheit. Das Innere ist, leider, Flickwerk. Da wir getrost der Hoffnung sind, daß die Menschen mit ihrem Atem, mit Blut und Geist diese Räume bald wieder beleben und zu einem lebendigen Ganzen verbinden werden, soll nur dieses eine Mal die harte Wahrheit ausgesprochen werden: es rächt sich, daß dieser Bau, ebenso wie der Staatsakt, im Dschungel der Aemter zusammengebraut wurde. Prunkstiegen im Stile von 1888, sorgfältig kopiert, führen in die Vorräume der Logen und Ränge, die im Stil eines modernen Kammertheaters gehalten sind, geleiten zu Büfetträumen, die, unglücklich genug, Impressionismen von 1900 mit Anempfindun-gen an die Moderne verbinden wollen, führen in einen Hauptraum, der kalt, mechanisch zusammengebaut ist. Ueber die Verlegenheit der Embleme und der Heraldik werden sich Zeitkritiker noch angelegentlich unterhalten. Die Lichtpunkte des Baues sind, bis auf einen — die schöne große Galerie, die als Herz des alt-neuen Burgtheaters angesprochen werden darf — unsichtbar: die Konstruktion der Bühne und des technischen Apparates, einschließlich der sorgfältig durchdachten akustischen Belange.

Vor einem erwählten, sorgfältig erlesenen Publikum .fand nun der Staatsakt der Eröffnung statt. Nach dem Handelsminister sprach der Unterrichts-minister. Sein dringlicher Anruf des Kulturgewissens des Publikums, das, mit den Schauspielern, die neuealte Burg zu verantworten haben wird, wird nicht vergessen werden. Als dann Burgtheaterdirektor Rott vom Geheimnis der Burg, vom Geheimnis der Großen des österreichischen Schaffens sprach — keiner von diesen hat, wie Rott betonte, den Erfolg gefunden — da wurde etwas vom Geist der großen Abwesenden spürbar, die hier im Herzen Oesterreichs gelebt, gelitten, geschaffen haben. Aber auch für die Zukunft wurden schönste Hoffnungen sichtbar: auf der Bühne war, von Angesicht zu Angesicht dem Publikum zugewandt, das Ensemble der Burg versammelt: die Schauspieler, die Künstler, die Arbeiter und Angestellten. SHt Jahrzehnten haben diese Menschen, notwendig Einzelne, und als solche wider einander stehend, sich nicht so als Einheit erlebt, als eine vom Burgtheater und seiner Sendung in Dienst genommene Gemeinschaft: Minister der Burg.

Sie gestalteten am folgenden Tage die Eröffnungspremiere zu einem nachhaltigen Erlebnis. Grill-parzers „König Ottokars Glück und Ende“ ist, nicht nur in den beiden Eröffnungsvorstellungen, eine Staatsveranstaltung, ein wirklicher Staatsakt: Eine Darstellung und Bekundung des österreichischen Auftrages in Europa, in dieser Welt: Frieden zu stiften, Mittler, zu sein zwischen notwendigen Gegensätzen und Gegnern. Grillparzers Rudolf von Habsburg ist, wie Adalbert Stifter von sich selbst bekennt, ein Mann des Maßes und der Freiheit, der um das Grundgesetz der Erhaltung der Freiheit weiß: sie wird nur geschaffen und verteidigt von. Menschen, die innerlich frei sind, und die aus dieser inneren Freiheit die Kraft gewinnen, die Gewalten zu teilen, ihre eigene Macht zu begrenzen. Wir bekennen, nie zuvor das fromme Element, die österreichische Weltfrömmigkeit, so glaubwürdig urd überzeugend dokumentiert gesehen zu haben wie in dieser Festaufführung, in der Attila Hörbiger als Rudolf, Ewald Baiser als Ottokar, Liselotte Schreiner als Königin Margarethe, Judith Holzmeister als Königin Kunigunde und Albin Skoda als Zawisch das Ensemble der Burgschauspieler führten. Dieses österreichische Frommsein, das Grillparzer selbst nur in einer letzten Tiefenschicht seiner Person erhalten blieb, gilt aller Welt, allen Dingen, die es ehrfürchtig umsorgt, hegt, in Schutz nimmt: Frau und Kind, die Schwachen, das Land und die Leute. In dieser Aufführung wurde, unterstützt durch die prächtigen Bühnenbilder Fritz Judtmanns, der offene Horizont dieser österreichischen Frömmigkeit sichtbar und sehr klar, wie sehr der österreichische Patriotismus jedem Nationalismus, jeder Ideologie fremd ist. Geht es doch nicht um Worte, auch nicht um schön gedruckte Worte, und nicht um „Taten“ (weder Untaten noch Großtaten), sondern um das Leben: um ein Leben in der mitmenschlichen Gemeinschaft, im Dienst am Kleinen, in der Pflege des Gegenständlichen, des Nächsten. Jeder Mensch aber ist der Nächste. Rudolf von Habsburg vertritt die All-Kommunion, die Verbindung aller guten Dinge und guten Menschen, gegen ein herrisches Ich, das, gespalten in sich, Spaltung hervorruft, Parteiung, Krieg, Bürgerkrieg. Die Menschen um Ottokar, die Rosenberge, die Königin Kunigunde, werden durch diese Spaltung in seiner eigenen Brust selbst gespalten, sie sind, wie oft Menschen um Diktatoren und Einherrscher (auch in demokratischen Systemen), Kreaturen, Abbilder dieses Konflikts. Nur wenigen gelingt es, durch das Opfer des. eigenen Lebens, dem Bannkreis des Unheilen, des Friedlosen, zu entrinnen: Königin Margarethe und der greise Kanzler. Ottokar produziert Krieg und Bürgerkrieg, weil er den Krieg in der eigenen Brust trägt. Rudolf i s t der Friede, er zeugt allein durch sein Sein Frieden aus, überall, wo er hinkommt. Die alte Augustinische Lehre vom innigen Zusammenhang zwischen innerem und äußerem Frieden könnte kaum eine lebendigere Darstellung finden als in diesem „Ottokar“. Wer diese Festaufführung sieht, begreift, daß nur Grillparzers „König Ottokar“ geeignet ist, die wiedererstandene Burg einzuführen in ihren alt-neuen Aufträg: das zu allen Zeiten und überall gültige Menschliche in österreichischer Form glaubwürdig als heute verpflichtende Werte und Weisungen zu demonstrieren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung