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Mechanik in Tragödie und Komödie

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Es verdient vermerkt zu werden: auch das zweite Erfolgsstück des Burgtheaters nach Zuckmayers „Des Teufels General“ ist ein Zeitstück: „D er öffent liche Ankläger“ von F’r i t z Hochwälder. Diese Tatsache muß festgehalten und will von zwei Seiten besehen werden: von der Zeit und vom Stück selbst her. Unter „Zeit“ ist die Gegenwart zu verstehen, denn die historische Fabel ist nur Maske. Es geht hier nicht um eine Legende der Französischen Revolution, sondern um ein Geschehen, das wir am eigenen Leibe verspüren, um ein Erdbeben, das im letzten nichts anderes als ein Erbeben des Menschen in seinen tiefsten Grundfesten ist und das hier in der Abfolge seiner äußeren Tathand- lungen geschildert wird: die Physik, die

Mechanik der Herrschaft des Schreckens, des Terrors.

Fouquier-Tinville, der öffentliche Ankläger in der Ära der Französischen Revolution ist der Held, nein, Nummer Eins des Stückes. Seine Tätigkeit hat, der historischen Abfolge gemäß, der Reihe nach zum Tode befördert: zuerst die Aristokraten und Anhänger des Ancien Regimes, dann die Girondisten, die Desmoulins und Danton, Robespierre und die Männer des Thermidor, und immer noch agiert er in seinem Büroraum in der Conciergerie, mit seinen Aktenbündeln, mit den Köpfen der Menschen. Was ist das selbst für ein Kopf, für ein Typ? Ein Hungerleider von Haus aus, ein kleiner Beamter, der seine Aufträge prompt erfüllt, dergestalt schnell avanciert und im Lauf seiner Tätigkeit zur verkörperten Liquidierungsmaschine wird. Zu Hunderten, zu Tausenden schießen diese Gestalten gestern, heute aus dem Boden. Fleißige und strebsame Dienst- tuer ihres Regimes, Sachbearbeiter der Tortur und des Terrors in allen Sparten und Regalen bürokratischer Totalverwaltung des amtlich registrierten Menschenmaterials.

— Dieser Mechanismus kann, scheinbar zumindest, nur durch seine eigene Mechanik „überwunden“ werden: Therese Tallien, die Frau des letzten Ministerpräsidenten der letzten Schreckenszeit, erlangt von Fouquier- Tinville Unterschrift und Durchführung eines Prozesses gegen Bürger „Unbekannt“. Den Namen des Abzuurteilenden und i:u Justifizierenden wird sie selbst erst im allerletzten Augenblick in den Haftbefehl' ein- setzen. Fouquier erhebt dergestalt Anklage geigen sich selbst — noch einmal rollt, exakt klappernd und schaurig-präzise die Apparatur des Schreckens, bis sein Kopf fällt. Doch, und hier verhält mit Recht der Autor: durch solche technizistische Manipulationen, durch solche Tricks und Taschenspielerkünste ist die Macht des Terrors an ich nicht zu brechen. Am nächsten Morgen, nach der Hinrichtung Fouquiers, wird zwar Tallien die verhängnisvollen Prairialgesetze zu Fall bringen, heute abends aber stehen sich bereits Herr und Frau Tallien im neuen Kampf um die Macht zitternd und bebend von Haß und Herrschsucht als Todfeinde gegenüber ... Ein Zeitstück, fürwahr! Gebannt, fasziniert, verfolgt das Publikum die Ausfaltung des Schreckens auf der Bühne, weil es sein Nah- und Fernbeben im Geschichtsprozeß unserer Zeit in allen Gliedern spürt. Es ist die Regie des Großen Welttheaters, die hier die Gestalten der Ronadier-Bülhne mit jener Atmosphäre der

Spannung des Grauens, des Furchtbaren umgibt, eine Großregie, die glücklich durch den Bühnenregisseur Dr. Rott unterstützt wird, dem es gelingt, mittels starktoniger Symbolwerte das stark konstruierte, linear- einräumige Stück zu überhöhen und einzutiefen. Wenn der Vorhang aufgeht und langsam aus grauen Dämmernissen der Stuhl des öffentlichen Anklägers, blutendes Rot, flammendes Gold, auftaucht, dann weiß jeder, was hier gespielt wird.

Dieses Mitspielen der Zeit trägt das Stück, das dürfen wir nicht vergessen, auch dies ist aber mit ein Verdienst des Autors. Nur wer so klug und offen in die Zeit hineinhorcht, den lohnt sie durch Bereitstellung derart großer Kulissen. — An sich besehen, zeichnet sich dieses Werk durch ein reinliches Absehen von allen poetischen Elementen aus. Es sind programmatische Figuren, kostümierte Thesen, die hier die Bühne betreten: die ehrgeizige Frau, der korrupte Politiker, der schwanke Jüngling, der ält liche Lebemann. — , Vielleicht, mit aller Vorsicht sei es hier gesagt, kündigt sich hier ein neuer Stil an, der in seiner bewußten, oft überbeleuchteten Gerichtet heit eine Enthaltung verkündet, die uns heute in vielem not tut. Eine scheinbare Kargheit und asketische Sparsamkeit, die zudem ein Bindeglied zwischen Hochwälder und Ferdinand Bruckner schafft. Die Mechanik diese Stücks macht letztlich noch einen Hinweis auf die Mechanik des hier behandelten Schreckens notwendig. Dieser hat nichts zu tun mit der großen Furcht, die in Ehrfurcht und Gottesfurcht ausreift und sich als Mütter hoher kultureller Bewältigung des Da-Seins bewährt. Dieser Schrecken ist nicht der Schrecken Pans, kosmisch-untergründiges Beben, vom Menschen ebenso im Fall des Blütenblattes, des Apfels, wie im Sturm erlebt. Der maschinale Terror Tinvilles und der hier von Hochwälder gezeichneten Moderne ist das. logische mathematisch-berechenbare Produkt eines Prozesses, der keinen Gott, keine Götter und auch keine Menschen mehr kennt, wenn wir Menschsein im alten personal-humanistischen Wortsinn verstehen. Hier handeln Menschen an und mit Menschen wie mit Sachgut, Stückgut: logische Folge einer Philosophie, einer Weltanschauung, die „l’homme machine“ — den Menschen als Maschine, beziehungsweise als rein biologisches Zuchtobjekt wertet. Da bei diesem Handel, bei dieser rein materialistischen technischen Operation viel Abfall entsteht, nämlich: Schweiß und Blut des verarbeiteten Menschenmaterials, ergibt sich als Ausschüttung dieses physikalischen Prozesses ein Nebenprodukt, das alle an ihm beteiligten Faktoren gleichermaßen infiziert: der Schrecken, eine entsetzliche

Angst, die Herrscher und Beherrschte, Ma hälle und Ministerpräsidenten, öffentliche Ankläger und Angeklagte gleichermaßen umfängt und zu immer neuen Schreckenstaten antreibt: zu gigantischen

Rüstungsbauten, zu Propagandamaschinerien und immer wieder: zu Staatsprozessen.

Wie eine Welt aussieht, in der es diesen Schrecken nicht gibt, zeigt Lope de Vegas entzückende Komödie „W a s kam denn da ins Haus...?“, in der Scala herausgebracht, in der Übersetzung von Hans Schlegel, von Karl Paryla. Auch hier hält der Autor, in diesem Falle ein Dichter, alle Fäden in seiner Hand. Wie herrlich tanzen sie doch an den Perlschnüren seines Witzes — Barbara und Leonardo, der Hauptmann und der Rechtsgelehrte, die Hagestolze, Kammerkätzchen und Bedienten. Lope de Vega, strahlender Beherrscher der Maschinerie des spanischen Theaters, entläßt aber dann seine Figurinen in eine Welt der Freiheit, in der sie, ihren inneren Eigengesetzen hingegeben, sich entfalten dürfen wie Blumen, im Wildpark, im bunten Garten des Lebens. Diese Gunst des Dichters kommt nicht zuletzt den Schauspielern und der Regie zugute: diese können sich hier richtig austoben, eben weil der Innenraum des Spielfelds so groß, so weit ist. Weder der „König“ noch auch „Rom“ — die Herrschaftsmächte dieser Welt, die im Hintergrund stehert, sind Schreckgespenste. Man rechnet wohl sehr genau mit ihnen, fürchtet sie aber nicht als Spielverderber ... Und so darf das Spiel des Lebens hier als Lust-Spiel aufklingen und aufschäumen und die Grenzen von Zeit und Raum überwinden. — Die Aufführung: Paryla steigert das Burleske bis an seine Grenzen; er kann es sich leisten, da das sehr spielfreudige Ensemble prächtig mitgeht.

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