Was Weimar begann, vollendet Wien

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Der Literaturwissenschaftler Wendelin Schmidt-Dengler hätte am 20. Mai seinen 70. Geburtstag gefeiert. - Ein gekürzter FURCHE-Essay vom 5. Mai 2005 zum Wiederlesen und Erinnern.

"Ja, / Der Österreicher hat ein Vaterland, / Und liebts, und hat auch Ursach es zu lieben.“ Die Österreicher haben Schiller dieses Wort (es wird allerdings oft bei Grillparzer vermutet) gedankt: Die Aufnahme seines Werks in Österreich seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts ist ein Stück Kultur- und Literaturgeschichte, das über den Autor wie über dieses Land einiges aussagt. Trotz der Zensur, die mitunter bizarre Formen annahm, erzielte Schiller seine nachhaltigste Wirkung über die Wiener Bühne. […]

Bei der Wiener Zensur wurden die Stücke nicht im Original eingereicht; man übte sich im vorauseilenden Gehorsam und suchte dem Zensor zuvorzukommen. Dieser ging meist inkonsequent vor, Harmloses wurde gestrichen, Bedenkliches blieb stehen. Am radikalsten waren die Änderungen in den "Räubern“, worin Pastor Moser wie schon in der Aufführung in Mannheim 1782 zu einer Magistratsperson wird. Aus "Koketten“ wurden "Buhldirnen“, aus "ein toter Hund im Sarg“ "ein Stein im Sarg“, aus "Räuberleben“ "freies Leben“, aus "die voll sich gesoffen haben am Becher der Wollust“ wurden [welche,] "die man schon verloren wähnte“, aus "in Kapuzinerkutte“ "verkleidet“. Mitunter entbehren die Änderungen nicht einer gewissen Komik: In "Kabale und Liebe“ wird 1808 aus "Dero Herrn Sohns Hure“ "Des Herrn Neffen Zeitvertreib“.

Trotz dieser Entstellungen verfehlten die Stücke Schillers ihre Wirkung auf das Publikum nicht, ja mehr noch: Auf der Bühne des Wiener Burgtheaters war ihnen eine glanzvolle Karriere beschieden.

Schillers Karriere in Wien

Schiller wurde zum populärsten Dichter Österreichs. […] Das Burgtheater war zum mächtigen Verstärker der Stimme dieses Autors geworden, allerdings nicht zum Verstärker seiner ästhetischen, moralischen oder ethischen Anschauungen, sondern vor allem zum Verstärker seiner einprägsamen Sentenzen. Er konnte Emotionen wecken und erhalten und von der Größe seines Anliegens und dessen moralischer Integrität überzeugen. Er erwies sich als in hohem Maße verwendbar, als unhintergehbare säkulare Autorität, die dem aufgeklärten Gemüte entsprach und zugleich frommen religiösen Gefühlen keinen Abbruch tat. Nicht in dem, was Schiller gesagt hatte, sondern in dem, wie er es gesagt hatte, fanden die politischen Anschauungen, und nicht zuletzt die nationale Begeisterung ihre Stütze. In den Aufführungen des Burgtheaters konnte man sich über ein Jahrhundert die Emotion holen, um seine Meinung auch mit Emphase vertreten zu können. Die Stimmen der großen Schillerdarsteller hatte man im Ohr. […] Etwas überspitzt könnte man formulieren, dass das Burgtheater durch Schiller zum Burgtheater wurde, wie umgekehrt Schiller durch das Burgtheater zu Schiller wurde.

Zitate für das Schatzkästlein

Schillers Werk konnte in den Dienst genommen werden, um jene Aufmerksamkeit zu erwecken, die man für öffentlichkeitsorientierte Aktionen benötigt. Sein 100. Geburtstag im Jahre 1859 ist denn auch das Datum, an dem diese Vereinnahmung Schillers am deutlichsten erkennbar wurde. Christiane Zintzen hat das Umfeld der Schillerfeiern dieses Jahres einer Analyse unterzogen und deren ideologischen und literaturhistorischen Kontext präzise kommentiert. Es gab anlässlich des Geburtstags im November Fackelzüge und Festbankette in fast allen größeren Städten der Donaumonarchie.

"So streiten sich heute verschiedene Gruppen über das politische Glaubensbekenntniß Schillers, die Liberalen, die Liberal-Konservativen, und die Liberal-Reactionären […]. Schiller, der Dichter aller Partheien, wer hätte das gedacht!“, so schrieb der Feuilletonist Friedrich Uhl. Im Humoristen, dem Blatt des Satirikers und Nestroy-Gegners Moritz Saphir, findet sich ein Satz, der diesen Prozess prägnant zusammenfasst: "Was Weimar begann, vollendet Wien.“ Die Leistungen des Dichters Schiller finden ihre Vollendung durch die Bühnenkunst Wiens.

Damit setzte allerdings auch ein bedenklicher Vorgang ein: Schillers Werk war zusehends aus dem Bewusstsein des Publikums geschwunden, zurück blieben die Zitate für das Schatzkästlein des Bürgertums, doch von der Brisanz der Dramen war nicht mehr viel zu spüren, geschweige denn von den Reflexionen seiner theoretischen Schriften.

Einer, der naturgemäß Vorbehalte hatte, war der greise Franz Grillparzer, der anlässlich einer Geburtstagsfeier als Redner geladen war, die Rede aber nicht hielt. Doch was er sagen wollte, ist überliefert: Er wollte Schiller als "ausgezeichneten Schriftsteller“ feiern, und daher solle man ihn nicht zum Vorwand nehmen "für weiß Gott! was für politische Ideen“. Und er hakte in einem Epigramm nach: "Der Fackelzug mit Saus und Braus / Liegt meinem Wesen ferne. / Komm’ je ich aus meiner Tonne heraus, / So ist’s nur mit einer Laterne.“ Da spottet ein neuer Diogenes über das Getue seiner Zeitgenossen. Dass dieser kaum getrübte Scharfblick damals wenig geschätzt wurde, verwundert nicht weiter. Wie berechtigt und weit der Zeit voraus seine Skepsis angesichts dieses Schiller-Rummels war, steht für uns Heutige außer Zweifel. […] In jedem Falle erscheint Schiller unter dem Zeichen des Großen: "Das Große feiert sich selber“ […].

Gerade dieses Moment des Großen ist es, was die Zweifel an der Kunst Schillers weckte. Die Textfassade schien Brüche zu bekommen, und Karl Kraus wehrt sich in "Schrecken der Unsterblichkeit“ (1909) gegen diese Einvernahme Schillers durch seine, Krausens Zeitgenossen: "Wenn ein Denkmal renoviert wird, kommen unfehlbar die Mauerasseln und die Tausendfüßer ans Licht und sagen: Denn er war unser: Es sind die Leichenwürmer der Unsterblichkeit.“ Und dann klingt auch mit der Verhöhnung dieser "Leichenwürmer“ die Kritik an Schiller selbst an: "Wenn an ihm ein Unsterbliches ist, so wird es erst erstehen, wenn die Unsterblichkeit erledigt ist, die ihm zweifellos eine glückliche Mischung von Minderwertigkeiten errungen hat. Ehe wir von dem Künstler reden wollen, muss unbedingt auch nur die entfernteste Möglichkeit beseitigt sein, dass vor einer Schillerbüste ein Männergesangsverein Aufstellung nimmt.“

Keine glatte Lösung

Diese Kritik trifft den wunden Punkt der Schiller-Rezeption im 19. Jahrhundert. Man verinnerlicht den großen Schiller, um sich der eigenen Größe zu versichern. Man benötigt ihn, um seinem Tun ein zitatengeschütztes Alibi zu verschaffen. Hinter alledem jedoch steht die Gefahr, dass man dieses Pathos als ein hohles erkennen müsste und dass das, was uns als Ideal vorgezaubert wurde, ein bloßer Schein ist. Niemand war sich allerdings der Rigorosität und der Unlösbarkeit seiner Forderungen so bewusst wie Schiller selbst, und es gibt bei ihm keine glatte Lösung. Wer nur die Glätte des Klassizistischen in der Form wahrnehmen will, verkennt, wie sehr auch diese das Ergebnis einer inneren Auseinandersetzung und schwerer Konflikte ist. Die Läuterungen einer Maria Stuart, die Entscheidung eines Wallenstein, der Tod des Max Piccolomini und die Tat Tells - das alles sind höchst fragwürdige Prozesse, die auch in der vollendeten Form in ihrer Problematik nicht aufgehoben sind. Und dies ist auch der Aspekt, unter dem wir Schiller immer neu zu lesen haben. Er lässt sich so nicht beiseite legen, und seine Texte haben sich seit über zwei Jahrhunderten gegenüber allen interpretativen Maßnahmen als widerstandsfähig erwiesen.

Sie sind aber auch anfällig für die Parodie, und die große Tragödie bedarf der parodistischen Alternative, die das Erhabene von seinem Podest holt. […] Wie gut man Schiller hierzulande kannte, hat niemand so schön und witzig bestätigt wie Nestroy […]. Die Schlüsse, diese literarischen Ohrwürmer von "Dem Manne kann geholfen werden“ bis "Das Leben ist der Güter höchstes nicht / Der Übel größtes aber ist die Schuld“, kommen Nestroy vor das satirische Visier, der hohe Stil wird auf die Wiener Bühne mit ihrem doppelten Boden geholt. Hier vollendet Wien etwas ganz anderes, als Weimar wollte. […]

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