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Wie aktuell ist Schiller?

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dieFurche: Mit dem Stadttheater St Pölten haben sie im Herbst alljährlich geplante „Schiller-Gespräche“ begründet Was ist an Schiller heute noch aktuell - seine ästhetischen Schriften, seine Gedichte oder seine Dramen?

Wolfgang Gresenegen: Dieästhetischen Schriften haben, wenn man bereit ist, ihre zeitliche Einbettung zu beachten, obwohl sie spröde bleiben, noch ihre Aktualität. Man muß Schillers Verhältnis etwa zu Kant und zur Romantik kennen, um die Bedeutung dieser Schriften richtig einschätzen zu können. Die ästhetischen Schriften sind auch bedeutsam, wenn man an die Tradition denkt, die sie bis tief ins 20. Jahrhundert hinein bewirken.

Das Aktuelle bei Schiller ist sicher das dramatische Werk. Goethes Dramatik, vor allem der „Faust“, gehört dem Welttheaterspielplan, und doch findet sie sich ungleich seltener auf der Bühne als die Schillers, Lessings, aber auch Brechts und Dürrenmatts. Von Schiller finden sich mehr als zehn Werke dauernd auf den Spielplänen des deutschsprachigen Theaters, vor allem „Die Räuber“ und „Kabaleund Liebe“ erleben Jahr für Jahr mehrere hundert Aufführungen, auch „Maria Stuart“ wird oft gespielt, „Don Carlos“ und „Wallenstein“ seltener, aber doch mit einer gewissen Stetigkeit.

Warum das so ist, darauf gibt es fast so viele Antworten wie Inszenierungen, angefangen von Gustaf Gründgens' Düsseldorfer „Räuber“ (1952), denen man existentalistische Qualitäten nachsagte, über Piscators Mannheimer „Räuber“ anläßlich des 175. Jahrestages der Uraufführung in Mannheim, die die Revolution zum zentralen Thema auf einer asketisch einfachen Bühne machten und Fritz Kortners Berliner Inszenierung im Schillertheater (1959), die werkgetreu und gegenwärtig in einem gewesen sein muß. Nicht zu vergessen Peter Zadeks hektische, bis ins Groteske ausufernde Bremer Inszenierung in dem an Roy Lichtenstein geschulten Bühnenbild Wilfried Minks (1966). Diese Deutungsvielfalt läßt sich bis in unsere Tage verfolgen, nahezu alle bedeutenden Regisseure des deutschen Sprachraumes haben sich mit dem Schillerschen Jugendwerk immer wieder konfrontiert.

dieFurche: Ist Schillers Sicht von Mann und Frau, die gerade im „Höllenstein“ auf den wackeren männlichen Streiter und die weibliche Dulderin hinausläuft, heute nicht unannehmbar gewordert?

Greisenegger: Ich gebe zu, daß der „Wallenstein“ für das Verhältnis der Geschlechter zueinander ein schlechtes Beispiel ist, wenn nicht eine Frau inszeniert. Warum sollte eine Regisseurin nicht auf die historisch überkommene, patriarchale Gesellschaft hinweisen, und aufzeigen, wohin sie führt?

Wenn man das so macht, kann ich mir vorstellen, daß das männliche Denken, wie es durch Wittenstein, durch die beiden Piccolomini und durch den Kaiser, der nicht auftritt und doch die ganze Zeit gegenwärtig ist, in so hohen Maße demonstriert wird, in seiner Genese charakterisiert werden kann, indem man eben die Bedeutungslosigkeit der Frauen in dieser Kriegsgesellschaft darstellt.

Daß Schiller durchaus nicht nur die männliche Gesellschaft im Auge hatte, sieht man an „Maria Stuart“ und „Die Jungfrau von Orleans“, aber auch an „Don Carlos“ und an den drei Frauen in „Kabale und Liebe“.

dieFurche: Gibt es heute nicht geradezu unüberwindliche aufführungstechnische Probleme mit Schiller, etwa die Schwierigkeit das Schiller'sche Pathos auf der Bühne darzustellen?

Greisenegger: Lassen Sie mich einen kurzen Exkurs in die Theatergeschichte machen. Ich denke hier an das Umgehen des Naturalismus mit den Klassikern. Otto Brahm, der Theoretiker und Praktiker des Naturalismus, der „Kabale und Liebe“ inszenierte, gibt 1912 rückblickend zu, daß seine Inszenierung in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts ein Fehlschlag war, weil er versucht hatte, sich Schiller pathoslos zu nähern. Brahm versuchte in „Kabale und Liebe“ ein ganz natürliches Sprechen. Das Geschehen wurde sozusagen aus der Allgemeingültigkeit herausgenommen und in die kleinbürgerliche AVoh-nung der Millers verbannt.

Max Reinhardt nähert sich Schiller völlig neu. Er schiebt alle vorangegangenen Interpretationen weg und inszeniert so, als ob er eine Uraufführung zu verantworten hätte. Er sieht neue Figuren, und geht an den Text mit großer Ehrfurcht heran. Das ist der Anfang des Regisseurs Max Reinhardt, des psychologischen Sze-nikers und Menschenschilderers. Reinhardt versetzt Schiller ins Rokoko - im Gegensatz zu Otto Brahm der viel stärker aktualisiert hatte und erreicht dadurch eine Distanz, ja eine Verfremdung, die das Pathos wieder möglich macht. Plötzlich sieht man, daß bei Schiller die Personen nicht mit dem gleichen Pathos sprechen. Das Pathos kennzeichnet nicht nur Augenblicke, die aus dem Alltag enthoben sind, sondern es wird auch in seiner Hohlheit, in seiner Verlogenheit enthüllt.

dieFurche: Das heute im deutschen Sprachraum beinahe flächendeckende Regietheater benutzt den Text des Au-tors als Steinbruch für die eigene Phon -tasie. Besteht nicht die Gefahr, daß vielschichtige klassische Dramen zu ziemlich eindimensionalen Allegorien eines Regieeinfalls degradiert werden?

Greisenegger: Prinzipiell sollte der Regisseur bei einer Uraufführung den Willen des Autors transparent machen. Bei den Klassikern kann ein gewisser Grad an Bekanntheit vorausgesetzt werden. Die besondere Leistung des Regisseurs besteht nicht zuletzt im Spezifischen seiner Interpretation. Die jungen Regisseure arbeiten mit Schiller und über Schiller und auch mit der Geschichte der Schiller-Interpretationen. Da geht es dann nicht primär um das jeweilige Stück. Deswegen sind ihre sehr interessanten Annäherungen zu diversen klassischen Stücken oft Montagen, wo vieles collagiert wird. Aber all das ist durchaus zulässig, wenn man weiß, wie das Original ausgeschaut hat. Da das Original aber immer seltener aus der Schule bekannt ist, in immer geringerem Maß als Bildungsgut besessen wird, wird es immer schwieriger Vergleiche zwischen Interpretation und Original zu ziehen. Man muß Peter Stein und Claus Peymann zugestehen, daß sie immer sehr intensiv und verantwortungsvoll mit dem Original umgegangen sind, und trotzdem stammen die aufregendsten Klassiker-Interpretationen von ihnen. Aber wem die rabiaten Eingriffe von Castorf oder Friesay mehr liegen, der kann sie seit Jahren besuchen. Die AVahlfreiheit ist in unserer Zeit groß und es ist eine Lust, sie zu nutzen.

Das Gespräch führte

Wolfgang Ölz.

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