maria-stuart - © Foto: © SF / Matthias Horn

Maria Stuart: Die Schwestern der Angst und der Überheblichkeit

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Friedrich Schiller war als Historiker ein Spezialist für Macht. Seine „Maria Stuart“ ist gegenwärtig. Das zeigt Martin Kusejs Inszenierung für die Salzburger Festspiele.

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Friedrich Schiller war als Historiker ein Spezialist für Macht. Seine „Maria Stuart“ ist gegenwärtig. Das zeigt Martin Kusejs Inszenierung für die Salzburger Festspiele.

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Zwei Frauen, ein Ziel. Beide erheben Anspruch auf den Thron. So sieht eine klassische Duellsituation aus, eine muss auf der Strecke bleiben. Die eine im Kerker, die andere im Besitz der Macht, eigentlich sind die Machtverhältnisse geklärt. Die Gefangene aber gibt sich nicht geschlagen, sie hat Helfer, Einflüsterer, Informanten, die ihr Hoffnung geben, das Blatt wenden zu können.

So wie Martin Kusej Friedrich Schillers „Maria Stuart“ für die Salzburger Festspiele auf der Perner-Insel in Hallein inszeniert, kommt es ihm gerade auf den Kontrast an. Er verkünstelt das ohnehin durch den Blankvers ins Erhabene gehobene Geschehen noch einmal, indem er Gruppenbildung im Gespräch nicht zulässt. Zwei Menschen stehen einander gegenüber, und schon kommt es zum Konflikt, Gefahr ist in Verzug. Misstrauen gehört zur Grundausstattung bei Begegnungen, ein Anderer ist vor allem dazu da, sich von ihm abzusetzen, auf Distanz zu gehen. Jeder Mensch ein notwendiges Übel, mit dem man sich auseinanderzusetzen hat, ein Hindernis, das, wenn man ihm schon nicht aus dem Weg gehen kann, überwunden werden muss.

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Finden zwei überraschenderweise doch einmal zusammen, dann nur, um ein Komplott zu schmieden als Symbol der Gemeinsamkeit, es den Anderen heimzuzahlen. Gemeinsamkeit auf Zeit allenfalls, mehr ist in diesem Klima der Kälte nicht zu haben.

Strategen des Eigennutzes

Triumphgestus und Siegermentalität zeichnen die Instruktoren der landläufigen Gemeinheit aus. Sie wissen, wo es lang geht, spielen sich auf als Berater und Kundige. Allesamt sind sie männlich, nützen ihren Einfluss auf die Rivalinnen, erhöhen sich damit selbst, machen sich unabkömmlich und sind doch nichts anderes als Strategen des Eigennutzes.

Das Verfahren, Gespräche nur in Paarform zuzulassen, was eine Verschärfung der Konflikte mit sich bringt, erfordert Eingriffe und Kürzungen. So hart geht Schiller nur im Höhepunkt des dritten Aktes vor, wenn es zur Aussprache zwischen Maria und Elisabeth kommt. Birgit Minichmayr als Maria und Bibiana Beglau als Elisabeth geben beide unterschiedliche, sehr individuell geprägte Persönlichkeiten mit dem Hang zur Unnachgiebigkeit ab. Im Fall von Maria reicht dieser unbedingte Wille zur Selbstbehauptung bis zur Selbstzerstörung.

Eine seltsame Verkehrung der Verhältnisse findet statt. Die eigentlich Mächtige, die ihre Konkurrentin mit ihrer Unterschrift dem Tod überantworten kann, ist die Zögerliche, Defensive, ihrer Verantwortung Bewusste. Sie hält den Attacken der Gegnerin und deren rhetorischer Überlegenheit nicht stand. Kämpferisch zeigt sich die Minichmayr-Maria selbst im ausweglosen Zustand, wenn sie mit gefesselten Händen eine stolze Trotzhaltung einnimmt. Dem hat die Elisabeth im Sinn von Bibiana Beglau wenig entgegenzusetzen in ihrer von Fatalismus geprägten Einigelungs-Taktik.

Kein Historiendrama

Bei allen Veränderungen des Textes verrät Kusej seinen Schiller nie. Der ist als Historiker immer auch ein Spezialist für Macht, das macht das Stück so gegenwärtig. Eine Drohkulisse aus dreißig nackten, manchmal in Mäntel gehüllten Männern stellt Kusej auf, als bewegliches Bühnenbild gleichermaßen. Sie können für männliches Einschüchterungspotenzial ebenso stehen wie für das Volk oder die schweigende Mehrheit, von denen sonst nur die Rede ist, die sonst aber unsichtbar bleiben.

Wenn sie einmal in Sturmmützen wie Terroristen oder wie ein mobiles Einsatzkommando im Namen von Lukaschenko auftreten, wissen wir endgültig, dass Kusej kein Historiendrama im Sinn hat. Deshalb nimmt er auch den religiös-politischen Hintergrund (Maria, die Fundamentalkatholikin, Elisabeth, die Reformierte) als unzeitgemäß weitgehend heraus, entideologisiert damit das Drama zugunsten des Kampfes zweier an der Macht interessierten Persönlichkeiten.

Wenn keine Ideologien von Bedeutung sind, dann liegt der Fokus verstärkt auf den Strategien, Feinde auszuschalten. Für sympathische Figuren bleibt dafür kein Platz. Das ist im Jahr 1801, als das Drama erschien und Schiller ernsthaft an die Erziehung der Menschheit dachte, nicht anders als 220 Jahre später, als die so grandios erdachte Charta der Menschenrechte weltweit zuschanden zermanscht wird.

Wie? Schiller glaubte an das Gute im Menschen? In ‚Maria Stuart‘ blicken wir von einem höllischen Abgrund in den nächsten.

Maria ist Opfer, aber keineswegs ein friedfertiger Charakter, ein Gattenmord wird ihr vorgeworfen. Daraus macht Schiller kein Geheimnis. Elisabeth wird, als sie Maria Stuart ans Fallbeil liefert, zur Täterin, verächtlich gemacht wird sie im Stück nie, vielmehr als eine ernsthafte kluge Dame gewürdigt. So gerät die Gesellschaft, die solche Frauen hervorgebracht hat, in das Blickfeld. Sechs Gestalten aus dem reichen Figurenensemble bei Schiller greift Kusej in seiner entschlackten Version heraus, an ihnen arbeitet er das Biotop der Intrigen und Ränke heraus.

Politische Landschaften werden besiedelt von Profiteuren und Phantasten, die sich an Mächtige hängen, um von ihnen abzufallen, sobald sie dem eigenen Fortkommen nicht dienlich sind. An Mortimer (Franz Pätzold) und Graf Leicester (Itay Tiran) lassen sich die Modelle Fanatismus und Wankelmut studieren. Falschheit und Durchtriebenheit ist beider Kerle täglich Brot. Wie? Schiller glaubte an das Gute im Menschen? In „Maria Stuart“ blicken wir von einem höllischen Abgrund in den nächsten. Mortimer ist der Rebell, der sich einer Sache verschreibt, die er für die gute hält, und dabei zugrunde geht. Als er seine Mission, Maria aus dem Verlies zu befreien, für verloren sieht, tötet er sich. Ein aufrechter Charakter oder ein Verblendeter? Graf Leicester ist das Stehaufmännchen, ein begabter Lügner und Blender, bedacht, auf der richtigen Seite zu stehen. Beide kennen wir aus eigener Anschauung aus der Politik, Kusej muss nicht viel dazu tun, um sie als unsere Zeitgenossen erscheinen zu lassen.

Die Schiller-Sprache, eine Herausforderung für Darsteller und in diesem Fall eine Chance für theatralische Glanzleistungen, bleibt für Kusej unantastbar. Sie bildet einen schönen Kontrast zur Phrasenhaftigkeit unserer Alltagssprache, von Politik und Medien so penetrant strapaziert. Ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit ist gefordert, sonst fliegt man raus. Diese Aufführung ist eine Schule der Konzentration, Gegengift zur Oberflächlichkeit der Unterhaltungsindustrie. Diese Sprache ist den Menschen zumutbar, werden doch Wahrheiten verhandelt, die der schärfsten Analyse standhalten müssen. Dabei handelt sich nicht um ein rein intellektuelles Ideentheater, Menschen mit Gefühlen, Ängsten und Zweifeln rackern sich ab. Die Zustimmung zu dieser Art, Seelendramen auf politisch prekärem Untergrund abzuhandeln, war uneingeschränkt.

Theater

Maria Stuart

Perner-Insel, Hallein
20., 22., 23., 25., 26. 8.
www.salzburgerfestspiele.at
Ab 5. September im Burgtheater

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