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Oskar Werners Hamlet und anderes

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Die Eröffnungspremiere der Herbstsaison in der Josefstadt ist ein Ereignis in Wiens Theatergeschichte. Oskar Werner als „Hamlet, Prinz von Dänemark“. Wir erinnern uns an viele Hamlet-Aufführungen, in denen die Eitelkeit der Schauspieler und die Düsternis einer falschen Pathetik wahre Orgien auf der in Staub und Flimmerglanz getauchten Bühne feierten. „Hamlet“ war in früheren Zeiten zunächst oft ein Schauerdrama, ein Ritterstück mit Gespenst und vielen Toten; Hamlet war dann ein romantisches Schaustück, in dem die empfindsamen Damen und gebildeten Jünglinge auf das Fallen ihrer Phrasen warteten. Die Moderne, mit ihren „Zerrissenen“ und ihren Schizophrenien hat dann die Reihe der Hamlet-Aufführungen bereichert; diese wurden ein Tummelplatz für die begabtesten und unbegabtesten Regisseure und Schauspieler, die alle „ihren“ Hamlet zelebrieren wollten.

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Die neue Aufführung in der Josefstadt, entstanden aus der Zusammenarbeit des Regisseurs Lothar Müthel mit Oskar Werner, hat aus den Hamlet-Fassungen der Vergangenheit viel gelernt — sie wird, das hoffen wir zuversichtlich, noch wachsen, nicht zuletzt durch das Gewinnen neuer Kräfte für einzelne Rollen, die da mitspielen. Diese Aufführung ist, und das ist das Schönste, was wir von ihr sagen können, auf ein inneres Wachsen angelegt. Der sparsam-klug gestaltete Bühnenraum und die ihm entsprechenden Kostüme Rolf Christiansens deuten das an (ganz von ferne denkt man da an Wieland Wagners Bemühungen um eine Rückführung der Wagnerschen Opern aus romantischer Pathetik und Theatralik auf einige innermenschliche Situationen). Oskar Werners „Hamlet“ ist kein Schauprinz schöner Worte, auch kein Faust, kein Metaphysikum, beladen mit dem literarischen Wissen und den Philosophemen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die Hamlet so gerne angehängt wurden wie die jammervollen Gräser, mit denen sich die irre Ophelia gewandet. Werners Hamlet ist ein Mensch. Ein junger Mensch, der ergreifend wirkt, weil er um seine Menschwerdung, um sein Reifen als Mann ringt. Die Integration des Menschen ist, wie die Bibel lehrt, gebunden an die Erfüllung des Gebots: „Du sollst Vater und Mutter ehren, auf daß du lange lebest und es dir wohl erpehe auf Erden.“ Im „Vater“ ist alles Mann-Sein, echt Männliche, das Tun und Handeln, alle Verantwortung in Welt, Gesellschaft, Politik mit einbeschlossen. In der „Mutter“ ist aller Kontakt der Tiefe, alle Erschlossenheit der Liebeskräfte, der zartesten Fühlungen und Kontakte zwischen Mensch und Mensch beheimatet. Hamlet kann diese Reifung und Erfüllung nicht gewinnen, da er seinen Vater nur mehr als forderndes Gespenst, als eine drohende Stimme in seinem Gewissen, und die Mutter als Buhle und Komplizin des Mörders seines Vaters erfährt. Oskar Werner gestaltet in diesem Sinne Hamlet als die Tragödie des jungen Menschen, der sich und seine Umwelt zerfleischt, der grausam wird, weil er nicht lieben kann, nicht lieben darf: die Partner verweigern sich ihm.

Man muß lange zurücksinnen, um einen Hamlet zu finden, der uns so nahe, so ergreifend nahe gebracht wird wie dieser Hamlet Werners. Nur selten erliegt er der ewigen Versuchung des Theaters, die jeden Schauspieler begleitet, vom ersten bis zum letzten Schritt, wie Tod und Teufel Dürers Ritter begleiten: der Versuchung, durch die „schöne“ Gebärde und das „schöne“ Wort die innere Aufarbeitung und Aufbereitung der Rolle zu ersetzen; so in der großen Aussprache mit dem Geist des Vaters. Wenn diese jene Verinnerlichung erreicht, wie andere Szenen, dann schließt sich lückenlos der Kreis einer außerordentlichen Leistung. Neben diesem Hamlet müssen vor allem der Claudius Erwin Linders und die Gertrud Lola Müthels erwähnt werden. Dieser König von Dänemark ist kein niedriger Bühnenschurke, sondern ein König, im Schatten seiner großen Schuld; ein Vetter Macbeths, der großen Könige Shakespeares; Mörder, Täter, aber immer: every inch a king; ein schuldiger König. Lola Müthel ist seine würdige Gattin auch sie läßt an Lady Macbeth dennen: eine herrscherliche Frau voll Leidenschaft und Klugheit, wissend um ihre ausweglose Selbstgefährdung. Ophelia, diese ungewöhnlich schwierige Rolle, läßt sich mit. den üblichen Affektmitteln der älteren Bühne nicht meistern, Kyra Mladeck kämpft da auf verlorenem Posten, sie wirkt wie ein Relikt aus dem Kasten der alten Schau- und Schauerbühne. Achtbar behaupten sich Jürgen Wilke (Horatio) und Helmut Janatsch (Laertes); Werner Finck, der bekannte und von uns verehrte Berliner Kabarettist, überspielt den armen greisen Schlaumeier und Narren Polonius durch seinen sensiblen Intellekt. — Das Premierenpublikum feierte Werner und das Ensemble der Mitwirkenden stürmisch und dankbar.

Das Volkstheater eröffnet den Herbst mit einer österreichischen Uraufführung: das „Lied der Stummen“ von Günther B u x b a u m. Der Autor ist ein weitgereister Mann, der zumal in Frankreich viel erfahren hat in Leid und Leben. Es ist also kein billiger Effekt der Anempfindung an westliche Themen und Schauplätze, wenn er dieses Spiel von der Läuterung des Menschen durch bewußte Selbstverpflichtung zur Tilgung der eigenen Schuld in eine kleine Stadt an der französischen Küste des Mittelmeeres, unweit von der italienischen Grenze, verlegt. Italiener und Franzosen sind die Spieler; lateinische Vernunft und Glaubensinbrunst, Egoismus von kleinen Leuten, Parteipolitikern und Geschäftemachern treffen hart und grell aufeinander mit der Kraft des Glaubens, verkörpert in einem stummen Kinde und einem blinden Mädchen. Dieses Mädchen wird zweifach sehend; zuerst nach außen hin, da ihr ein Arzt den Schock eines schweren Kindheitserlebnisses nimmt, dann nach innen, da ihr ein alter Mann (der seltsam an Goethes' Harfner erinnert) die Augen öffnet zur Erkennung und Anerkennung der eigenen Schuld. Der Autor ist redlich bemüht, dieses Drama einer Katharsis, einer Schuld und eine Sühnung, in eine möglichst einfache Fabel zu kleiden. Die ganze „Geschichte“ begibt sich auf dem kleinen Platze vor einem kleinen Cafe, innerhalb dreier Monate, und ist, von außen besehen, die Geschichte eines Totoschwindels, eine Geschichte kleiner Leute, die ihr Glück und ihre Gesundheit suchen.

Die Schwierigkeit des Stückes und der Aufführung, an der sich manche Leute stoßen, beruht auf dem Versuch des Autors, als tragenden Pol der Gegenkräfte gegen Herzenshärte. Brutalität, Egoismus dieser Menschen weniger das „Lied der tummen“ selbst, also die leisen, unsichtbaren Kräfte der Liebe, Güte, des Glaubens, der ewigen und unzerstörbaren Hoffnung im Menschen, zur Darstellung zu bringen, als eine Madonnenstatue. So verständlich das Bemühen ist, den Gegenpol gegen das „Kaffeehaus“ der „Welt“ und ihrer Gier, sichtbar zu machen, so verständlich “ist leider auch die Reaktion vieler Menschen gegen diese Art der Inkarnation des Glaubens. Man kann da gar nicht genug vorsichtig sein auf der Bühne, diese Warnung gilt gerade dem christlichen Autor, der wirklich gläubig ist. Jeder Verdacht, „billig“ das Unbillige, Teuerste, die Macht der Gnade, sichtbar machen zu wollen, gefährdet die Intention und das ganze Stück. — Die nicht in allem glückliche Besetzung läßt zudem das Stück schwächer erscheinen als es ist. Verglichen mit so manchen anderen Experimenten von Erst- und Uraufführungen muß aber festgehalten werden: hier liegt eine beachtenswerte Arbeit vor, und das Volkstheater verdient den Dank aller, die noch innere Freiheit genug besitzen, um solche Wagnisse würdigen zu können.

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