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Prinz Hamlets tolle Streiche

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Vor der Uraufführung seines „Hamlet tu Wittenberg“ (November 1935 in Leipzig) gestand Gerhart Hauptmann: „Ich habe Hamlet ein Leben lang hindurch zum unsterblichen Freund gehabt. Überall ist er um mich gewesen und hat sich dabei allmählich von den schönen Fesseln der Shakespearschen Dichtung ganz befreit.“ In einer der letzten Hauptmann-Biographien weist deren Verfasser darauf hin. daß sich für Hauptmann in Hamlet, in Shakespeare die Idee des Urdramas manifestierte, dem der in das Dunkel, in das Nichts ausgesetzte Mensch preisgegeben ist. Hauptmann sei förmlich an der Hamlet-Gestalt zum Dramatiker herangewachsen. In seinen Auseinandersetzungen mit dieser Gestalt lockte es Hauptmann, zu zeigen, wie sich Hamlets „Sturm-und-Drang-Zeit“ in der Stadt Luthers abgespielt haben könnte. Keimzelle von Hauptmanns Schauspiel war jener Hinweis in der zweiten Szene des ersten Aktes in Shakespeares „Hamlet“, die merkwürdigerweise als einzige Zeitbestimmung des Dramas andeutet, daß Prinz Hamlet an Wittenbergs Hoher Schule studiert habe. Diesen winzigen Raum einer Andeutung hat nun Hauptmann mit geradezu ausschweifender Phantasie ausgefüllt. Der 19jährige Hamlet und seine Kumpane sind Stammgäste in den wüsten Schenken eines mittelalterlichen Wittenberg, inmitten von Raufbolden, verbummelten Scholaren und Zigeunern. „Protheus“ nennen ihn die Freunde, und so wandlungsfähig und launenhaft gibt Sich auch der schwarze Prinz, bald himmelhoch jauchzend, bald sich in Schwermut verzehrend über das-Leid dieser Welt. Da überfällt ihn die Leidenschaft zu dem schönen Zigeunermädchen Hamida; er macht sie, in höchster Verzückung schwärinend, zu seiner „Königin, deren schwarzes Haar die Urnacht gebar“. Er ist nahe daran, sie zur Frau zu nehmen, aber Me-lanchthon, den er um eine Trauung mit Hamida bittet, lehnt entrüstet ab. Der Skandal in der Stadt um die Dirne, „die bereits als Hexe gilt“, sei zu groß. Als Hamlet sich schließlich von Hamida mit einem jungen Zigeuner betrogen merkt, läßt er sie ziehen und geht nach Helsingör. In Gesichten vorausgeahnt, hat ihn inzwischen die Nachricht vom Tode seines

Vaters ereilt. Die harte Wirklichkeit löst die Traumwelt ab, Hamlet ist zum Mann herangereift. Und damit hebt Shakespeares Drama an.

Schade, daß das Volkstheater gerade dieses Werk zur Feier Gerhart Hauptmanns gewählt hat; es ist eines seiner schwächsten in der .verstiegenen Liebesromantik, ist erfüllt von ellenlangen und völlig unmotivierten rhetorischen Eskapaden Hamlets (die einzige Gestalt, die ausgiebiger zu Wort kommt I), alle anderen 30 Personen sind nichts als mäßige Wortzuträger. Man stelle sich vor: Wittenberg mit Luther und Melanchthon in seinen Mauern — und, bis auf einige Ausfälle gegen das Papsttum, ein paar völlig nichtssagende Sätze Hamlets über Luther und eine banale Diskussion mit Melanchthon, keine Auseinandersetzung mit der religiösen Bewegung jener Zeit. Direktor Leon E p p bemühte sich um die Regie dieses nicht einmal sonderlich bühnenwirksamen Mummenschanzes in einem aufwendigen, aber wohl zu modern wirkenden Bühnenbild von Gustav Mattker. Hans Joachim Schmiedel, ein Sprecher und Schauspieler von bemerkenswerter Intensität, spielt den Hamlet. Man wünschte ihm bald größere Aufgaben.

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