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Der „Kremser Hamlet“

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Die „Hamlet“-Neuinszenierung des Burgtheaters und die Shakespeare-Ausstellung der österreichischen Nationalbibliothek haben so manche Erinnerungen an die Geschichte der Shakespeare-Pflege in Österreich erweckt. In der reichen Ausstellung der Natiönalbibliöthek ist dieses Kapitel freilich etwas zu kurz gekommen. Dort triumphiert die Burgtheatertradition über alles andere. Stimmen außerhalb Wiens * haben schon festgestellt, daß die frühen Shakespeare-Aufführungen in Graz darüber nicht vergessen werden dürfen.

Für den „Hamlet“ dagegen bleibt die Erinnerung immer wieder bei der Frühzeit des Burgtheaters stehen. Im Hamlet-Schaukasten im Prunksaal der Nationalbibliothek liegt der älteste Wiener Hamlet-Druck von 1772, und die Darstellung durch Johann Brockmann wird wie ein Leitmotiv immer wieder angeschlagen. Dabei sind diese Zeugnisse aber nur die ältesten für das Berufstheater: die tatsächlich ersten Hamlet-Aufführungen in Österreich waren damals bereits ein halbes Jahrhundert vorüber.

Dieses Verdienst darf das barocke österreichische O r d enstheater für sich in Anspruch nehmen. Das Schultheater der Jesuiten, der Piaristen und der Benediktiner hatte die verschiedensten Stoffe der Weltliteratur angesaugt. Es nahm Anregungen von allen Seiten her auf, auch vom Berufstheater der „Englischen Komödianten“, und mag auf diesem Weg auch zum „Hamlet“ gelangt sein. Das Schultheater der Jesuiten in Krems hat den Stoff in Österreich zum erstenmal auf die Bühne gebracht, und zwar 172 3. Die An-nalen des Jesuitengymnasiums berichten über die denkwürdige Aufführung: ,.Die Rhetorikklasse betrat dieses Jahr fünfmal das Theater und spielte gewandt verschiedene Dramen, deren letztes, eine größere Aufführung aufwiegend, mit einem gewählteren, nur etwas komischen Aufwand die Darstellung ,A m I e t u ), Rächer des Vatermordes und des Königreiches Dänemark' zeigte. Die geschickte und kunstgerechte Aufführung gefiel sowie auch die Darsteller hervorragend ausgebildet waren, die von dem sehr zahlreich erschienenen und äußerst vornehmen Publikum eine einzigdastehende Anerkennung davontrugen, einem Publikum, das nicht nur aus der ganzen Umgebung, sondern sogar aus Wien hieher geeilt war.“

Leider ist außer dieser Annalennotiz nichts weiter über den Verfasser dieses „Kremser Hamlet“ bekannt geworden. Es läßt sich auch sehr schwer sagen, ob es sich dabei um eine Umformung des Shakespeare-Werkes handelt oder um eine selbständige Schöpfung. Den einzigen Fingerzeig mag die Namensform des Helden geben. „Am-letus“ heißt der Dänenprinz bekanntlich in der ältesten Quelle der ganzen Hamlet-Überlieferung, in der „Geschichte der Dänen“ des Saxo Grammaticus (etwa 1185). Bei Belleforest, aus dessen „Histoires tragiques“ (1582) sich die meisten späteren „Hamlet“-Bearbeitungen — auch die Shakespeares — direkt oder indirekt ableiten, tritt schon die Form- „Ham-leth“ auf. Der unbekannte Kremser Jesuitendramatiker könnte also auf Saxo Grammaticus direkt zurückgegriffen haben, dessen Geschichtswerk ja 1514 in Paris gedruckt worden war. Diese Annahme rückt noch näher, wenn man berücksichtigt, daß die Rhetorikklasse schon zwei Jahre vor der „Hamlet“-Aufführung, 1721, die Dramatisierung eines anderen Stoffes aus der dänischen Sagengeschichte gespielt hatte, nämlich „Broder, vom Galgen zur Krone Dänemarks emporgeführt“. Auch dieser Sagenstoff, die Geschichte des Ostgotenkönigs Ermanarich, seiner Gattin Swanhild und seines Sohnes Randver, ist bei Saxo Grammaticus überliefert, und nur dort führt die Gestalt Randvers, den Ermananch hängen lassen will, den Namen Broderus.

Diese erste „Hamlet“-Aufführung dürfte also keine Shakespeare-Aufführung gewesen sein, sie ist aber deshalb für die Geschichte der „Ham!et“-Tradition nicht weniger bedeutsam. Übrigens isr es nicht unmöglich, daß der unbekannte Kremser Jesuitendramatiker von dem Stoff durch Shakespeare-Aufführungen Kenntnis erhalten hatte.

Auch bei der zweiten österreichischen „Hamlet“-Aufführung handelt e,s sich um die Darstellung auf einer Ordensbühne, nämlich um den „Amlet oder die siegreiche Weisheit“. Die Aufführung erfolgte am 12. Juli 1736 durch die Klasse der Syntixisten der Salzburger Benediktiner-Akademie. Auch dieser „Hamlet“ stammte nach der Inhaltsangabe nicht von Shakespeare, sondern direkt von Saxo Grammaticus. Die Ankündigung berichtet:

I, 1: Amletus kommet aus England in Dänemark zurück;

2: vernimmet, wie er für tot ausgerufen worden;

3: grüßet seinen alten Afterhofmeister, in der Tat besten Freund Mascarallum; t II, 1: Fengo besichtigt die Zurüstung zur Leichenbegängnus des Amleti;

2: das Leichopfer wird abgestattet;

3: Amletus gibt sich getreuen Landsleuten zu erkennen;

III, 1: Amletus wird in seinem Vorhaben gestärkt durch die Treu deren Landständen;

2: ein Heldengefecht zu Ehren des verstorbenen Amletus;

3: darbei Amletus offensichtlich erscheinet und den Fengo in Sorgen stürzet;

IV, 1: Amletus wird vor einen Betrüger gehalten und in Gefa'ngnus gebracht;

2: darüber sich seine Getreue betrüben;

3: wird aber von dem Fengo selbst als der wahre Amletus erkennet; V, 1: Das königliche Schloß wird mit Wächtern verstärket;

2: Amletus bei dem Leichmahl ver-trittet die Stellen ein*s Mundschenks;

3: ermordet Fengonen und wird König erwählet.

Die Benediktinerbühne in Salzburg brachte einige Jahre später nochmals Stoffe, die Shakespeare behandelt hatte, auf die Bühne, ohne seine Werke selbst zu bringen. 1750, am 31. Juli, wurde „Richard Herzog von Gloster“ und am 4. September „Richard, der ruthlott König von England“ gespielt. Beide Schauspiele um Richard III stehen mit Shakespeares Köni^sdramen nicht in direktem Zusammenhang.

Stoffe der englischen Geschichte sind auch sonst vielfach über die BühnenN der Jesuiten, Piaristen und Benediktiner gegangen. Die Jesuiten führten in Krems 1632 eine Tragödie „Edmundus Car-tuariensis“ auf, 1651 eine „Maria Stuarda, Scotiae regina“. Die Piaristen spielten in Horn 1726 „Ein dapferes Weib oder Budvica die Biitanische Amazonin“ und 1752 „Henricus IL, König in Engeland“. In Innsbruck griffen die Jesuiten 1713 zu „Brandanus, Suffolciae dux“, in Salzburg die Benediktiner 1721 zu „Thomas Morus“.

Shakespeare selbst ist von dem österreichischen Ordenstheater möglicherweise überhaupt nicht gepielt worden. Aufführungen aber wie die oben aufgezählten haben ohne Zweifel für Österreich den gewaltigen Stoffbezirk englischer Sage und Geschichte erschlossen — erst auf diesem Boden konnte dann eine eigentliche Shakespeare-Pflege gedeihen.

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