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Rufmord an Richard III.

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Der seit mehr als 400 Jahren andauernde Rufmord an König Richard III. ist eine interessante Kuriosität der englischen Geschichte. Als der letzte Plantagenet, 32 Jahre alt, nach knappen zwei Jahren Regierung, in der Schlacht von Bosworth 1485 getötet wurde, kamen die Tu-dors an die Macht, deren frühabsolutistische Regierungsweise die Geschichtsschreibung, aber auch die Kunst, die Dichtung, ja überhaupt die ganze literarische Ent-

Wicklung für rund 120 Jahre bestimmte, obwohl die Archive der Städte und Klöster zahlreiche Urkunden und Chroniken aufweisen, die diesen unglücklichen König Richard lobend erwähnen. Dann kam am Ende des 16. Jahrhunderts der Hof dichter und Tudor-Propagandist Shakespeare mit seinen historischen Königsdramen und gegen einen solchen Giganten ist kein Kraut gewachsen. Es nützte nichts, daß bald nachP=Tfgn¥=ETröscnW==o^ Dynastie die Rehabilitierung des Shakespearischen Ungeheuers auf solider wissenschaftlicher Grundlage begann und nach dem Tod der Königin Elisabeth ein „Encomium of Richard III.“ erschien, dessen Autor William Cornwaleys Richard „an oppressed an defamed king“ nannte und das dem großen Dichter John Donne gewidmet war. Einige Jahre später veröffentlichte Sir George Buc — „Master of the Revels“ König Jakobs I. — seine „History of the Life and Reign of Richard III.“ in fünf Bänden, die auf der Grundlage der Zeugnisse von Richards Zeitgenossen die Tudor-Tradition untergrub. 1768 suchte Horace Walpole in seinen „Historie doubts“ Richard von seinen berühmtesten Verbrechen, von der angeblichen Tötung des Prinzen Edward bis zu dem Mord an den Kindern im Tower, reinzuwaschen.

Vom 19. Jahrhundert an wird die Frage Gegenstand einer Polemik zwischen „Revisionisten“ und „Traditionalisten“, wobei sich viele solide Geschichtsforscher auf beiden Seiten mit Leidenschaft engagieren. Im Zentrum steht dabei der Mord an den kleinen Prinzen im Tower, wobei sich drei Positionen herausschälen: die Ermordung durch Richard, daß Henry Tudor, der Nachfolger und Überwinder Richards, sie töten ließ, oder daß Buckingham das Verbrechen auf eigene Faust beging. Diese drei Möglichkeiten werden immer wieder vorgetragen und auch die Exhumierung von zwei kleinen Skeletten bringt keine definitive Lösung der Streitfrage.

Das alles muß man wissen, wenn man den Roman „Die Sonne von York“ beurteilen will. Denn vieles, das die Autorin schildert, kann nur vor dem Hintergrund dieser histo-riographischen Streitfrage verstanden werden. Die Verfasserin ist nämlich eine glühende „Revisionistin“; sie ist mit allen Argumenten und Dokumenten der Revisionisten bestens vertraut und sehr viel, sogar einige Dialoge, kann historisch belegt werden. Die Tragödie Richards wird von drei Erzählern geschildert, und obwohl dies so von drei verschiedenen Standpunkten aus erfolgt, fügen sich die drei Beiträge harmonisch ineinander. Hier liegt ein besonderes Verdienst von Miß Hawley-Jarman. Die drei Erzähler sind nicht erfundene, sondern historische Personen, die man leicht in den vorhandenen Quellen finden kann. Die erste ist die Mutter von Richards zweitem unehelichen Kind, Cahterine Plantagenet, die er an den Hof holte und mit Herbert Earl of Huntingdon vermählte. Der zweite ist der Hofnarr Patch und der dritte ein junger Ritter, der von Richard 1469 in Kent für den Kampf gegen Robin von Redesdale angeworben wurde. Auch die Namen der anderen vier Ritter sind historisch, die mit Richard nach Norden zogen.

Wir haben so ausführlich die historische Gewissenhaftigkeit des Werkes betont, weil hier tatsächlich eine seltene Harmonie zwischen historischer Akribie und erregender Darstellung erreicht wurde, durch die sich dieser Roman würdig in die Tradition der historischen Erzählkunst weiblicher englischer Autoren einfügt; als Beispiel sei nur Daphne du Mauriers „The Kings General“, das in der Restaurationszeit in Cornwall spielt, erwähnt, oder Georgette Heyer's Schilderung der Schlacht von Waterloo. Bei Miß Hawley-Jarman kommt noch eine missionarische Begeisterung hinzu, ein warmes Mitleid mit dem unglücklichen König und die Hoffnung, einmal doch das von der Tu-dor-Propaganda so gründlich entstellte Bild Richards im Bewußtsein der Nachwelt zu rehabilitieren. Bis jetzt haben alle die vielen Bemühungen in dieser Richtung nur erreicht, daß die Tafel im Tower, wo 1674 zwei Kinderskelette gefunden wurden, geändert wurde und es nun nicht mehr heißt, sie seien von Richard III. ermordet worden, da man ein „angeblich“ eingefügt hat. Sonst aber hat weder die historische Forschung noch die für ein breiteres Publikum bestimmte Literatur — zum Beispiel ein Theaterstück „Dickon“ und sogar ein „Kriminalroman“ von Josephine Tey („The daughter of time“, 1951), in dem der Mord an den Prinzen mit den Methoden von Scotland Yard untersucht wird, das Bild des „Erzböse-wichts“ Richard verdrängen können. Zur Zeit wird sogar in Hollywood ein „revisionistischer“ Film mit Robert Mitchum gedreht. Aber da dies alles und auch die moderne, wissenschaftliche Biographie des amerikanischen Historikers Paul M. Kendali nichts genützt hat, wird wohl auch dieses Buch, obwohl es in England ein Bestseller war, nichts erreichen. Man kommt zu dem traurigen Schluß, daß auch hier wieder einmal die Geschichte vom Sieger geschrieben wurde und daß Richards größter „Fehler“ vielleicht darin bestand, daß er seine Gegner am Leben ließ, während sein Feind Heinrich VII. alle Gegner und unbequemen Zeugen beseitigte.

Ein winziger Tadel; wie konnte es geschehen, daß Manfred Vogel, der die hervorragende Übersetzung besorgte, auf S. 231 „Herzog von Temeraire“ und S. 336 „Charles de Temeraire“ schreibt, und nicht bemerkt, daß es sich hier um den auch von den Engländern in der französischen Form benannten „Karl den Kühnen“ von Burgund handelt?

DIE SONNE VON YORK. Roman. Von Rosemary Hawley-Jarman. Verlag Fritz Molden. Wien-München-Zürich. 607 Seiten.

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