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Englischer Literaturbrief

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Unter den Neuerscheinungen des englischen Buchmarktes der letzten Zeit nimmt die Übertragung des Neuen Testaments von Monsignore R. A. K n o x einen hervorragenden Platz ein. Seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts, als ein kleiner Kreis katholischer Gelehrter eine sprachlich einwandfreie Übersetzung herausbrachte, von denen die beste die von Dr. James M o f f a 11 war, hat keine der katholischen Publikationen Englands größeres Aufsehen erregt. Mit Recht schreibt der Literaturkritiker der „Times“, daß die neue vorliegende Arbeit sowohl in Hinsicht auf den Stil als auch die Gesamtschau als klassisch bezeichnet werden kann und einen Markstein im katholischen Geistesleben Englands darstellt. Die protestantischen Kritiker konnten nicht umhin, den hohen wissenschaftlichen Wert der Arbeit anzuerkennen.

Die Beschäftigung mit philosophischen und religiösen Problemen wird in der englischen Literatur immer reger. Alexander K o y r e etwa hat in seiner „E n t-d eckung Piatos“ dem englischen Publikum den klassischen Philosophen des Staates näher gebracht. Einen breiten Raum nehmen nach wie vor historische Werke der Vergangenheit und der Jetztzeit ein.. In diesem Zusammenhang ist es wohl interessant, daß als einzige deutsche historische Publikation Karl Brandis Lebenswerk „Kaiser Karl V.“ ins Englische übersetzt wurde. Von den sich mit europäischen Problemen beschäftigenden Werken sei vor allem Harold N i c o 1 s o n s „Geschichte des Wiener Kongresses“ genannt, welchem Buch der Verfasser den bezeichnenden Untertitel „Eine Studie zur Einheit der Alliierten 1812 bis 1821“ gegeben hat. Der Verfasser analysiert scharfsichtig unter Hinblick auf die scheinbaren Parallelen zwischen dem Europa von 1814 und 1945, daß die Geschichte sich wohl wiederhole, daß aber ihre Kräftekombinationen durch bestimmte Umstände charakterisiert seien und man gerade aus der Kongreßzeit lediglich den Widersinn einer jeden Prophetie und die Weisheit der Geduld lernen könne. Unter den mitteleuropäische Probleme behandelnden Veröffentlichungen fällt vor allem das neueste Werk Seton W a t s o n s auf, der seine Antrittsvorlesung über die Tschechoslowakei an der Oxforder Universität in Buchform veröffentlichen ließ.

Wohl die interessanteste geistesgeschicht-. liehe Publikation des Jahres aber dürfte die Jugendbiographie des berühmten englischen Historikers Sir John Emerich Edward Baron Acton of Oldenham sein, der als Professor der neuen Geschichte in Cambridge lange Jahre wirkte und wohl wie keiner der englischen Historiker des vergangenen Jahrhunderts Einblick in die Geistesgeschichte Europas • gewonnen hat. Als Enkel des berühmten neapolitanischen Premierministers Sir John Francis Acton hatte er Vorfahren an fast allen europäischen Fürstenhöfen. Unter anderem war er ein Verwandter des Herzogs von Dalberg. Neapel, Rußland, Süddeutschland, Frankreich waren der malerische Hintergrund der Jugendentwicklung Actons. Nach kurzem Aufenthalt in Paris und München, wo er seine entscheidenden Studienjahre während des Jahres 1848 als Schüler Döllingers verlebte, der ihn in die Forschungsmethoden der deutschen Historie einführte, ging seine Lebenswanderung über die Vereinigten Staaten nach Rußland, an den Hof Alexanders II. Dort beobachtete er als Begleiter seines Stiefvaters Lord Gran-ville das Rußland der zaristischen Reformära. Aufgeschlossenheit für die nationalen Einigungsbestrebungen des 19. Jahrhunderts auf dem Kontinent, aber auch eine tiefe Einsicht in die Gefahren, die sich für so kunstvolle Staatengebilde wie das britische Empire und Österreich daraus ergaben, zeichneten frühzeitig den jungen Historiker aus, der reiche Erfahrungen sammeln konnte, ehe er in Cambridge sein Lehramt antrat. Ihn fesselte die Geschichte der großen Ideen als die eigentlichen bewegenden Faktoren des Weltgeschehens, vornehmlich aber der Einfluß der katholischen Kirche auf die geschichtliche Entwicklung. Bischof David Mathew, der Herausgeber des ersten Bandes der Biographie Actons, hat sich ein wesentliches Verdienst um die Erkenntnis der englischen Gastesgeschichte des 19. Jahrhunderts erworben.

Die kostbare Schweizer Buchausstellung, die mit so großem Erfolg in Wien gezeigt wurde, ermöglichte es, zum erstenmal nach langer Zeit auch deutschsprachige Werke über England kennenzulernen. Zu den interessantesten gehört wohl das bereits im Wiener Buchhandel käufliche „Lebensbild W ins ton Churchills“ von Lewis Broad aus dem Europa-Verlag in Zürich, dessen erster Band die Zeit von 1874 bis 1939 behandelt. Churchill, der heute bereits eine unumstrittene historische Größe geworden ist, ersteht vor uns in der ganzen Kraft eines Genies der Tat mit allen seinen Fehlern und Vorzügen. Für den kontinentalen Leser, der bisher in deutscher Übe rsetzung nur fragmentarisch die Kriegsschriften des früheren englischen Premierministers über den ersten Weltkrieg kannte, bietet dieses Buch einen tiefen Einblick in die politische Genialität dieses Mannes, der nach den dargebotenen Proben auch der größte Stilist Englands genannt werden darf. Der Verfasser zitiert sehr häufig Reden Churchills und gibt damit die Möglichkeit, aus den fast 3000 Reden Churchills die entscheidendsten Stellen kennenzulernen. Mit Recht darf die europäische Öffentlichkeit mit Spannung den zweiten Band erwarten, der wegen der besonderen Verhältnisse der Schweiz erst nach Kriegsende erscheinen kann und der Churchills Wirken im zweiten Weltkrieg enthält.

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