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Als Amerikaner am Habsburgerhof

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The Diplomatie Mission of John Lothrop Motley to Austria (1861 bis 1867). Ein Beitrag zur Geschichte der austro-amerikanischen Beziehungen. Von Ciaire Lynch O. S. B. Herausgegeben von der Catholic University of America Press, Washington D. C. 1944

1918 begrüßte die öffentliche Meinung Amerikas die Zerschlagung der österreichisch-ungarischen Monarchie, jedoch bereite dreißig Jahre später müssen dem amerikanischen Steuerzahler ungeheure Lasten aufgebürdet werden, um das seit 1918 seiner Mitte beraubte Europa zu erhalten und zu verteidigen. Dennoch kann man heute schwerlich behaupten, daß die Amerikaner von heute ihre Ansicht über das alte Österreich geändert haben. Tschechische Emigrantenpublizistik, oberflächliche Zeitungsartikel und pseudohistorische Filme haben einen großen Teil dazu beigetragen, das amerikanische Geschichtsbild zu verzerren. Trotzdem fragt man 6ich heute, wieso es möglich war, daß die Regierung der Vereinigten Staaten 60 bereitwillig in die Auflösung der alten Monarchie einwilligte.

Betrachtete das Staatsdepartment Politiker wie Masaryk und Benesch oder Historiker wie Seton-Wateon und Wickham Stead als alleinige Informationsquellen über das alte Österreich oder hegte man in Washington noch Ressentiments aus den achtundvierziger Jahren wegen der Verfolgung Kossuths und ähnlicher „Freiheitekämpfer“? Diese Fragen könnte nur eine vorurteilsfreie Untersuchung der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Ö6terreichi6ch-ungarischen Monarchie beantworten.

Die Dissertation der Schwester C. Lynch ist ein wertvoller Beitrag zu diesem Thema. John Lothrop Motley (1814 bis 1877) entstammte einer angesehenen New-England-Familiej 1831 erwarb er sich in Harvard den Doktortitel und unternahm anschließend eine ausgedehnte Studienreise nach Europa. An der Universität in Göttingen hörte er einige Semester und schloß dort mit einem Studienkollegen, Herrn Otto von Bismarck, eine Freundschaft fürs Leben. In den vierziger Jahren . begab sich Motley wieder nach

Europa, um an seinem im Jahre 1856 erschienenen historischen Werk The Rise of the Dutch Republic“ (der Aufstieg der holländischen Republik) zu arbeiten; darin gibt er 6ich keine Mühe, seine Voreingenommenheit gegen die katholische Kirche zu verbergen.

Nach einem kurzen Auftrag in Petersburg wurde Motley 1861 zum amerikanischen Gesandten in Wien ernannt. In seiner Instruktion schrieb der damalige Staateekretär Seward, daß bisher dem Wiener Gesandtenposten nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt worden wäre; Motleys Vorgänger hätte kaum Berichte gesendet, jedoch Seward war der Ansicht, daß Wien der wichtigste politische Beobachtungsposten in Mitteleuropa sei, und wies daher Motley an, das Staatedepartment laufend zu informieren. Aus diesen Berichten sowie aus anderen privaten Korrespondenzen schöpfte Schwester Lynch das Material für ihre Dissertation.

Von seiner ersten Audienz beim Kaiser berichtet Motley, daß Franz Joseph sich anscheinend besorgt erkundigte, ob der Gesandte Deutschamerikaner oder gar naturalisierter Amerikaner 6eis Motleys New-England-Her-kunft hätte den Monarchen sichtlich befriedigt. Dies ist verständlich im Hinblick auf die unerfreulichen Störungen der austro-amerika-nischen Beziehungen, die in den fünfziger Jahren von in den USA naturalisierten Emigranten hervorgerufen wurden. Jedoch Motley war in Wien mit gutem Recht persona grata. Ausführlich unterrichtete er das Staatedepartment über die ablehnende Haltung des Kaisers und der k. k. Regierung gegenüber dem mexikanischen Abenteuer Maximilians. Ebenso lobte Motley die unparteiische Haltung Österreichs im nordamerikanischen Bürgerkrieg, die 6ich wesentlich von der Politik Englands und Frankreichs unterschied: Kaiser Franz Joseph betrachtete die Südstaaten als Rebellen, lehnte daher jede Fühlungnahme mit ihnen ab. Nach dem Abzug der französischen Truppen von Mexiko be-auftragte die amerikanische Regierung Motley, beim k. k. Außenministerium energisch gegen die Enteendung von Freiwilligen nach Mexiko zu protestieren: Motley jedoch antwortete, daß diese angeblichen Freiwilligen in Parte erfunden seien, aber in Wien 60wie in Triest unbekannt wären. Als Washington aber dennoch auf einem Protestechritt bestand, führte Motley den Auftrag aus, unterrichtete aber Staatssekretär Seward, daß er Ehrlichkeit für die beste Diplomatie halte und deshalb dem österreichischen Außenminister den vorherigen Briefwechsel gezeigt habe.

Interessant 6ind auch Motleys Schilderungen über das gesellschaftliche Leben in Wien, in denen 6ich einige seiner Vorurteile widerspiegeln. Er behauptet, daß in Österreich nur Aristokraten etwas bedeuten, alle gewöhnlichen Sterblichen aber wenig Aussicht hätten, berufliche Erfolge zu ernten oder gar in die Gesellschaft Eingang zu finden. Derartige Übertreibungen werden auch von Schwester Lynch kritisiert und berichtigt. Weiterhin erzählt der Gesandte, daß er als diplomatischer Vertreter der USA natürlich in jedem Haus verkehrt hätte, aber wäre er nur als Mister Motley nach Wien gekommen, hätte sich kein Mensch um ihn gekümmert. Manchesmal wäre Motley zur Rechten der Kaiserin gesessen, dies wäre immer besonders amüsant gewesen, zumal Elisabeth geläufig englisch gesprochen habe.

Am deutlichsten treten aber Motleys Vorurteile in seiner Beurteilung der Ereignisse im Schicksalsjahr 1866 zutage. Obwohl er sehr sachlich Österreichs Schmerz über den

Verlust Venetiens beschreibt, findet er kein Verständnis für Österreich Stellung im Deutschen Bund. Für ihn war es eine Selbstverständlichkeit, daß das katholische und feudale, daher rückschrittliche Österreich vom fortschrittlichen Preußen besiegt wurde. Er gäbe wohl zu, daß sein Freund Bismarck ein Despot sei, jedoch Preußen sei ein protestantischer Staat und dies bedinge eine Tendenz zur Demokratie und zur Freiheit) er begrüßte daher eine ihm unvermeidlich erscheinende Entwicklung.

Schwester Lynch hat Ihre Dissertation im Jahre 1944 geschrieben, anscheinend hielt 6ie es nicht für nötig, diesen Schlußfolgerungen einen Kommentar hinzuzufügen. Dieser ist auch überflüssig. Jedenfalls gibt bereits dieses Buch eine Erklärung für die anfangs gestellten Fragen; eine ausführliche Darstellung

der austro-amerikanischen Beziehungen würde sicher noch viele Interessante Einzelheiten zutage bringen. Bis jetzt sind die diesbezüglichen Akten des Staatsdepartment sehr wenig ausgenützt worden. Obwohl die amerikanische Gesandtschaft in Wien bereits 1838 errichtet wurde, ist zum Beispiel noch kein Bericht eines Gesandten über eine Unterredung mit dem Fürsten Metternich oder eine amerikanische Beurteilung der Politik des Staatskanzlers bekanntgeworden. Erwähnenswert wäre noch die Arbeit von M. E. Curti .Austria and the United States, 1848 bis 1852“, jedoch auch diese ist auf einen kurzen Zeitraum begrenzt. Schwester Lynch gebührt besondere Anerkennung, da sie trotz der Kriegszeiten in ihrer Dissertation die Absurdität der eingewurzelten Vorurteile beweist.

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