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Geistesgeschichte der Sektierer

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Christliches Schwärmertum. Ein Beitrag zur Religionsgeschichte. Von Ronald A. Knox. Deutsch von Paula Havelaar und Auguste Schorn. Im Verlag Jakob Hegner, Köln und Ölten.

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Christliches Schwärmertum. Ein Beitrag zur Religionsgeschichte. Von Ronald A. Knox. Deutsch von Paula Havelaar und Auguste Schorn. Im Verlag Jakob Hegner, Köln und Ölten.

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Viele Katholiken des Festlandes werden kaum er-nieitont könmea wekhenr Verlust daR-ktboMsdie Eit) Iflnd un4 “überhaupt der Katholizismus erlitt, als-Msgr. Knox am 24. August 1957 starb. Der begabte Schriftsteller, erfolgreiche Studentenpfarrer und namhafte Exeget, der als junger anglikanischer Clergy-man konvertierte und später zum katholischen Priester geweiht wurde, ist im anglo-amerikanischen Sprachraum vielleicht 'am meisten durch seine meisterhafte Bibelübersetzung aus der Vulgata bekannt geworden. In der Einleitung des vorliegenden Werkes, das er Evelyn Waugh widmete, überrascht er uns — wie er es so oft tut — mit der Mitteilung, daß er selbst nicht die Bibelübersetzung, sondern sein „Christliches Schwärmertum“ (Orginaltitel: Enthu-siasm, 1950 erschienen) als sein Lebenswerk betrachte, an dem er „dreißig Jahre und noch mehr“ gearbeitet habe.

Obwohl man das Werk als einen der wertvollsten Beiträge zur Sektengeschichte betrachten muß, ist es keine mehr oder weniger vollständige Sektengeschichte im üblichen Sinn (wie z. B. Gregoire: „Histoire des sectes religieuses“), sondern eher eine Geistesgeschichte jener seltsamen sektiererischen Bewegungen und Personen, die früher von vielen Katholiken lächerlich gemacht und von protestantisch-pietisfischer Seite übertrieben günstig beurteilt wurden. Knox behandelt zuerst ziemlich kurz, wie in einer Einleitung, die frühchristlichen und mittelalterlichen Schwärmerbewegungen: die Enthusiasten von Korinth, die Montanisten, Donatisten, Circumcellio-nen, Waldenser, Katharer und andere Häresien; es folgen in einer leider allzu kurzen Darstellung die Wiedertäufer und die Reformation, und erst dann (ab S. 134) zeigt er seine volle Meisterschaft bis zum Ende in den großartig gelungenen Abhandlungen über George Fox und die protestantischen Sekten des 17. Jahrhunderts, über Port Royal, den Jansenismus und den Quietismus, die Böhmischen Brüder, das Herrnhutertum, Zinzendorf und sehr ausführlich über John Wesley und die ganze Methodistenbewegung.

In der Auswahl seiner Themen zeigt der Verfasser eine gewisse Einseitigkeit, die sich übrigens aus seiner anglikanischen Vergangenheit erklären läßt, aber was er uns tatsächlich bietet, ist schlechthin großartig, sowohl durch die bis ins Detail gehende Beherrschung des Materials als durch sein selbständiges und objektives, gemäßigtes Urteil, vor allem aber durch den erfolgreichen Versuch, die tiefsten Absichten dieser Schwärmer bzw. ihre Aufrichtigkeit zu ermitteln. Somit ist dieser Beitrag zur Religionsgeschichte gleichzeitig ein erhebendes, manchmal enttäuschendes Stück „histoire intime et interieure“ geworden. Die Art, wie Knox z. B. die uns mehr geläufige Geschichte des Jansenismus durchleuchtet, ist beispielhaft. Selbstverständlich hat er die unerläßlichen Arbeiten . Bremonds, $ex\ er sehr hoch einschätzt, benützt, aber er geht dabei so souverän und selbstsicher vor, daß er sich nicht nur über Arnauld, Pascal, die Jesuiten, über Molinos, Fenelon und Bossuet, sondern auch über Bremond selbst („stark einseitige Sympathien“) ein persönliches, fein nuanciertes und begründetes Urteil erlaubt.

Wichtiger ist jedoch, daß das Werk eine erstaunliche Einheit aufweist, die dadurch erklärt werden kann, daß der Verfasser nicht nur ein sachkundiger Historiker und ein feinhörender Psychologe, sondern auch ein Theologe war, der die ungewöhnlichen dogmatischen Gedankengänge verstand und sie nicht als wertlose Haarspaltereien abtat. Die Darstellung des Quietismus wäre nie so durchsichtig ausgefallen ohne das einleitende Kapitel über die verschiedenen Formen der Beschauüng, eine Abhandlung, die nur ein Theologe von Format so sachkundig, aber auch nur ein Schriftsteller aus der großen englischen Schule so fesselnd hätte schreiben können. Wie alle wertvollen geistesgeschichtlichen Werke zeigt diese Darstellung die großen ideengeschichtlichen Zusammenhänge auf, so daß darin auch tieferliegende Spannungen — zum Beispiel zwischen der institutionellen und charismatischen Kirche — ans Tageslicht treten. Dasselbe gilt für das kaum sichtbare Verhalten der Mutterkirche, die für die damalige Zeit (und trotz der Inquisition) eine vorsichtige Milde und Mäßigung zeigt.“Wenn sie sich in der Erfüllung ihres Auftrages menschlich-unzulänglicher Instrumente bedienen mußte, so bewahrte sie doch „in ihrem Schatz Neues und Altes, gangbare Münzen, nicht nur außer Kurs geratene Dukaten“. Und was die Schwärmer betrifft, so sind sie für Knox — trotz mancher Ausschweifungen — „große Menschen, die jenseits alles Für und Wider der Parteien unserer flüchtigen Huldigung gewiß sein sollen“, denn ihr Hauptfehler war eher ein Zuviel als Zuwenig des Guten, ein Hypersupranatu-ralismus und ein Enthusiasmus, der bei ihnen ungehemmt, aber dennoch anwesend war. Auch von diesen entgleisten Randfiguren können wir lernen, denn der Mensch kann und darf ohne Enthusiasmus nicht leben, auch nicht im wohlbeschützten und liebevoll umhegten Heim der Mutterkirche. Die Uebertragung hat die Atmosphäre des Originals so ausgezeichnet wiedergegeben und ist so gepflegt, daß sie die manchmal schillernde und humorvolle Schönheit des Knox-Englisch vermuten läßt. Daran können weder einige unkorrigierte Textwiedergaben oder unvollständige bibliographische Notizen noch das ungenaue Dante-Zitat (203, soll lauten: di color che sanno) etwas ändern.

Mariazell. Von Othmar W o n i s c h. Aufnahmen Johannes Steiner. Verlag Schnell & Steiner, München. 47 Seiten, 5 8 Abbildungen.

Noch rechtzeitig erschien im großen Jubiläumsjahr des altehrwürdigen „Reichsheiligtums“ Oesterreichs außer dem „Kleinen Kunst- und Kirchenführer“ (16 Seiten im Kleinformat, zweite, neubearbeitete Auflage 1957) die „Große Ausgabe“ als 21. Band der Monographien über bedeutende Kirchen, Städte, Schlösser und Landschaften des gesamtdeutschen Sprachgebietes: Deutschland, Oesterreich, Südtirol und Schweiz. Der in prägnanter Kürze einwandfrei gestaltete Text und die künstlerisch erfaßten Photobildtafeln, zumeist ganzseitig, lassen keine Wünsche mehr übrig. Die mit wirkungsvollen Bildkartons ausgestatteten, nach einem bestimmten Schema gearbeiteten Monographien sindi in ihrer Art einmalig und aus der einschlägigen Literatur überhaupt ni-ht mehr wegzudenken. Auch der Mariazcller Kunstführer ist nach Gehalt und Gestalt, vom berufenen Sachkenner geschrieben, als meisterhaft zu bezeichnen. Hier kommt nicht nur der Kunsthistoriker auf seine Rechnung, der interessierte Laie und vor allem der fromme Wallfahrer erhält ein bleibendes Wallfahrtsandenken, das kaum überboten werdrn kann. Der aus feinstem Kunstdruckpapier zu verhältnismäßig billigem Preis: 4 DM, 25 S, hergestellte Kunstführer ist in Mariazell und im Herold-Verlag. Wien, zu haben. Ihm ist weiteste Verbreitung m wünschen.

Die Gemeinde vom Toten Meer. Ihre Entstehung und ihre Lehren. Von Kurt Schubctt. Ernst-Reinhardt-Verlag,'-München-Basel. 144 Seiten. Preis 7.50 DM.

Das Buch ist aus Vorlesungen für Hörer aller Fakultäten an der Universität. Wien im Sommer-, Semester 1957 herausgewachsen und hat auch den Charakter von klar durchgegliederten, in leichtverständlicher Sprache gefaßten und mit spannendem Stil entwickelten Vorträgen in Buchform bewahrt. Obwohl die Zahl der Publikationen über die Hand-schriftenfunde kaum mehr zu überblicken ist. weicht Schubert in begrüßenswerter Weise von cten anderen Autoren dadurch ab, daß er auf Grund der bisher zugänglichen Texte einmal das Lehrgebäude der Heilsgemeinde am Toten Meer aufreißt. Einige Titel veranschaulichen den reichen Inhalt: Die Zwei-Messias-Lehre, das Gemeinschaftsmahl, Bäder, und Waschungen, Opferkult, Kalenderproblenie, Licht-Finsternis-Lehre, die Bundestheologie und die Endzeiterwartung. Im 11. Kapitel konfrontiert der Verfasser das Ergebnis seiner Untersuchung mit dem jungen Christentum. Man kann gar nichts anderes erwarten, als daß dadurch neues Licht auf die Evangelien fällt. Manche schwierige Ausdrücke werden plötzlich verständlich, so zum Beispiel die „Armen im Geiste“ aus der Bergpredigt Jesu. Der Ausdruck bedeutet nichts anderes als „freiwillig Arme“ (S. 74 und S. 119). Wenn auch die Aehnlichkeiten überraschend sichtbar werden, so doch noch mehr die Unterschiede und das Neuartige, das in Jesus von Nazareth in die Geschichte einbricht und durch keine religionsgeschichtliche Parallele erklärbar wird. — Ein Sach- und Schriftstellenregister würde die Brauchbarkeit des Buches sehr erhöhen. Die Umschrift der hebräischen Namen ist vielfach nach der heutigen Ivrith-Aussprache durchgeführt: hinter Bat-schewa werden wenige Bibelleser die Bat-Scheba oder die Bethsabee erkennen. — Die Fundgeschichte hat inzwischen eine neue Aufhellung erfahren. Nicht erst im Frühjahr 1947 fanden die Beduinen die Höhle I, sondern bereits 1945. Ein gewisser Mu-hammed ed-Deeb („Wolf“) stieg damals in Höhle I ein und zerschlug mit seinem Stäb neun Krüge, in denen er nichts fand. Im zehnten fand er die eingewickelte Lederrolle, die ihm sehr brauchbar vorkam, da er sich daraus Sandalen schneiden lassen wollte. Er nahm also das Bündel mit und schnitt für sich und seine zwei Begleiter Leder für Sandalen herab: den Rest hängte er in seiner Behausung auf. Erst nach zwei Jahren holte er es wieder hervor, gab es seinem Onkel mit nach Bethlehem, damit er bei einem Altertumshändler sich erkundige, ob das Zeug etwas wert sei. Erst damit beginnt die bisher bekannte Fundgeschichte. (Journal of Near Eastern Studies, Oktober 1957, 236—238.) — Wir beglückwünschen den Wiener Judaisten und Orientalisten zu seinem kühnen Wurf und wünschen seinem Buche weiteste Verbreitung.

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