Einen Toten auferwecken

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Der Philosoph Rüdiger Safranski im Gespräch über seine Biografie über Friedrich Schiller, Freiheit als Abenteuer des Lebens und Schillers Sehnsucht, das Publikum zu verzaubern.

Die Furche: Es gibt sehr viele Publikationen über Friedrich Schiller. Was hat Sie dazu bewogen, dieser Flut von Büchern ein weiteres hinzuzufügen?

Rüdiger Safranski: Natürlich gibt es schon seit dem 19. Jahrhundert eine reichhaltige biografische Literatur über Schiller. Aber wir haben das Problem, dass er ein fast "toter Klassiker" ist, der oft in einer Art Heiligenlegende dargestellt wird. So kommt er uns nicht unbedingt näher. Ich wollte diesen in Klassizität erstarrten Dichter lebendig machen und zeigen, dass er gedanklich und dichterisch einem Projekt folgt, das sehr aktuell und spannend ist. Ich beschreibe ihn als einen Jean-Paul Sartre des späten 18. Jahrhunderts, dem die Freiheit das Abenteuer des Lebens ist. Eine Freiheit, die nicht einfach nur als politische Floskel existiert, sondern als Freiheit im dramatischen Kampf gegen die Natur, auch die des eigenen Körpers.

Die Furche: Schiller war die Hälfte seines Lebens ein todkranker Mensch. Wie hat sich das auf seine Lebensphilosophie ausgewirkt?

Safranski: Seine Art des Idealismus bestand darin, aus unserer sterblichen Materie möglichst viele enthusiastische Funken zu schlagen. Bis hin zu einer Art "Schillerschen Wette": Wir wollen doch einmal sehen, wer hier wen über den Tisch zieht. Mein kranker Körper mich, oder ich den Körper? Und so kommt es dann zu dem berühmten Satz in Schillers Drama "Wallenstein": "Es ist der Geist, der sich den Körper baut."

Die Furche: Mit welchen Themen hat sich Schiller als Mediziner auseinander gesetzt?

Safranski: Er hat drei Dissertationen geschrieben, die alle um ein höchst aktuelles Problem kreisen: das Verhältnis von Geist und Materie, Natur und Geist, Gehirn und Freiheit. Schiller war ein Gehirnforscher. Er fragte sich: Sind wir determiniert oder haben wir Spielräume? Es gibt also eine Reihe von Fragestellungen, durch die Schiller auf einmal eine ganz nahe und lebendige Person wird. Diesen Schiller versuche ich in meinem Buch lebendig werden zu lassen.

Die Furche: Was reizt Sie an der Figur Schiller?

Safranski: Schiller war der perfekte Theatermann. Er ist unser Shakespeare des frühen 19. Jahrhunderts. Dies hat auch Goethe neidlos eingestanden. Wenn wir eine gute Bühnenkultur hätten statt einer Theaterszene, in der viele Regisseure gar nicht mehr inszenieren können, dann würde Schiller nach wie vor ein ganz wichtiger Autor für das Theater sein.

Die Furche: Welche seiner Werke liegen Ihnen persönlich besonders am Herzen?

Safranski: Meine Lieblingstexte dieses Dichters sind unter den philosophischen Werken die Briefe "Über die ästhetische Erziehung des Menschen". Ein grandioser Titel. Im Bereich des Dramas ist es der "Wallenstein" und in der Lyrik dieses wunderbare Gedicht, das auch am Anfang meines Buches steht: "Auch das Schöne muss sterben." Das ist das schönste Gedicht, das Schiller geschrieben hat und es hat eigentlich schon fast Goethesches Format. Das berühmte Gedicht "Freude schöner Götterfunken" wollte Schiller zum Beispiel gar nicht aufnehmen in seine gesammelten Werke. Dabei ist es jetzt die Europa-Hymne.

Die Furche: Gibt es Parallelen zwischen Schiller und Nietzsche, über den Sie auch eine Biografie verfasst haben?

Safranski: Friedrich Nietzsche hat selbst sehr despektierlich über Schiller gesprochen. Er nannte ihn den "Moral-Trompeter". Ich hatte aber sehr früh schon die Intuition, dass Schiller und Nietzsche viel näher miteinander verwandt sind, als das letzterer selbst zugeben wollte. Man weiß ja, dass für Nietzsche der Wille zur Macht die Zentralbestimmung des Vitalen war. Nicht nur die Macht im politischen Sinne, sondern auch die Macht über sich selbst. Die Macht, dem Leben eine Form zu geben und eine Spur zu hinterlassen. In diesem Sinne war der Idealist Schiller auch ein Mensch, der vom Willen zur Macht lebte. Er wollte der sterblichen Materie eine Form geben und das Leben nicht zerstören, sondern gestalten.

Die Furche: Diese Haltung beeinflusste auch seine Literatur. Bevor er den "Wallenstein" verfasste, sagte er allen Freunden, dass dieser Stoff viel zu komplex für ein Drama sei. Warum schrieb er das Theaterstück dann trotzdem?

Safranski: Erstens: Er will beweisen, dass er einen schwierigen Stoff in eine höchst effektive dramatische Form bringen kann. Zweitens will er das Publikum einen Abend lang verzaubern und in seinen Bann schlagen.

Hinter der Figur des Wallenstein steht ein Napoleon, ein Self-Made-Man. Schiller beschreibt den Aufstieg eines Menschen, der nicht irgendeiner Reichsidee folgt, sondern der Lust an der Macht. Am Ende verglüht der Protagonist wie ein Komet. Dieser Augenblick aber, in dem jemand aus dem Nichts emporschnellt und ein Etwas wird, um dann wieder abzustürzen, das ist das Drama. Die Macht als Wille zur Kunst ist das, was Schiller mit Nietzsche verbindet.

Die Furche: Sie haben im Rahmen der Kant-Tagung auf Schloss Elmau über den Einfluss des Königsberger Philosophen auf Friedrich Schiller gesprochen. Was zeichnet Schiller als ersten Schüler Kants aus?

Safranski: Schiller hat aus der Kantschen Philosophie eine erste geniale Ästhetik im 19. Jahrhundert geschaffen. Diese ist weit mehr als nur eine Theorie über die schönen Künste. Schiller hat von Kant den Gedanken des interesselosen Wohlgefallens aufgegriffen und daraus eine Spieltheorie der Gesellschaft formuliert. Das hat vor ihm noch keiner versucht. Er hat das Betriebsgeheimnis der Zivilisation in seiner Ästhetik als Spielzusammenhang aufgedeckt. Jeder meint, dabei ginge es nur um Kunstwerke, dabei sind diese eigentlich nur Modelle dessen, was auch sonst im Leben geschieht. Unsere Gesellschaft ist voller Rituale und Ersatzhandlungen. All das ließe sich beschreiben als eine Umwandlung der Ernstfälle in ein Spiel.

Die Furche: Welche Ideen von Schiller halten Sie für besonders relevant?

Safranski: Der Freiheitsgedanke bei Schiller ist etwas sehr Spannendes. Freiheit in dem Sinne, dass wir selbst etwas aus dem machen, wozu wir gemacht worden sind. Es gibt einen Spielraum der Freiheit jenseits jeglicher Determination. Es gibt Aspekte bei Schiller, die extrem gewöhnungsbedürftig sind und auch unfreiwillig komisch. Wenn wir uns zum Beispiel das Frauenbild ansehen, da könnte die ganze feministische Bewegung natürlich vom Stuhl fallen vor Lachen.

Die Furche: Warum gehen Sie in Ihrem Buch nicht auf die Zeit des Nationalsozialismus ein, in der Schiller für politische Interessen umgedeutet und somit missbraucht wurde?

Safranski: Ich habe ganz bewusst auf die Rezeptionsgeschichte verzichtet. Und jetzt mal ganz unbescheiden gesagt: Es ist ja immer so, dass man selbst ein bisschen an der Wirkungsgeschichte dreht, indem man sich einer Figur nähert. Es stimmt natürlich, dass mit Schiller, wie auch mit anderen großen Gestalten der Geistesgeschichte, unglaubliches Schindluder getrieben worden ist. Ganz klar. Aber das war, wie gesagt, nicht mein Thema. Meine Biografie endet mit der Bemerkung, dass Goethe durch Krankheit verhindert war, Schillers Beerdigung zu besuchen. Biografien haben es ja an sich, dass sie tödlich enden. Mein Held stirbt. Ich sterbe auch mit meinem Buch, wenn er stirbt.

Das Gespräch führteArmin Pongs.

Eine Besprechung von Safranskis Biografie finden Sie auf Seite 24.

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