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Der andere Schiller

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Schiller, den wir alle zu kennen meinen, der zum Grundbestand unseres Deutschunterrichtes gehört, erfährt hier eine Deutung, die ihn uns Heutigen noch näher bringt. Gerade Klassiker, deren Zitatenschatz uns zum zweiten Ich gewor-. den ist, verschwimmen in einem allgemeinen Nebel des Lobes, wie Chesterton einmal sagt: man kann sie mit gutem Gewissen loben, ohne sie gelesen zu haben. Der allzu nahe Umgang mit ihnen kann aber auch zur Enge werden. Eine solche Enge bedeutet es, in Schiller nur den deutschen Nationaldichter zu sehen, wo er doch gerade über die Nationalität hinausgewachsen ist zum allgemeingültigen Menschsein. Rieder gelingt es, dieses allgemeingültige Menschenbild, um das Schiller zeit seines Lebens ringt, ins Bewußtsein zu heben, wie er sich aus seiner Zeit, ihrer geschichtlichen Situation, ihren philosophischen Einflüssen (Leibniz, Kant, Herder, Fichte usw.) immer wieder zu befreien sucht, um ein Menschenbild zu formen, das wohl aus der Zeit stammt, doch über sie hinaus ins Zeitlose weist. Vor allem der Schlußteil „Ergebnisse“ ist hochinteressant. Er spricht Dinge aus, die man wohl ahnte, die in der Diskussion noch heftig umstritten waren, es noch sind, die sich aber, wenn man seinen Schiller wirklich kennt, vor allem in seinen Prosaschriften, nicht abweisen lassen. Daß hier besonders seine Briefe zur ästhetischen Erziehung des Menschen herangezogen wurden, ist dankenswert. Sie sind immer noch die gültigen Aesthetica in nuce, auch für die Moderne (auch der Existentialismus muß nicht als Gegensatz erscheinen), eine Ästhetik, die das ganze Menschenbild erfaßt. Die Nähe zu Hegel, der dynamische Entwicklungsgedanke, die freie Selbstbestimmung, die Staatsideen, Dinge, die uns heute nicht bloß theoretisch, sondern sehr „existentiell“ beschäftigen, sind hier vorweggenommen.

Daraus ergibt sich auch in Details eine neue Sicht, zum Beispiel gerade der „Räuber“, die nicht zu eng als politisches Befreiungsdrama gesehen werden können, sondern wiederum weiter auf den ganzen Menschen hin. Der entschiedene Hinweis auf Johann Albrecht Bengel, seine Orthodoxie und Apokalyptik, dessen Schüler Pastor Moser war, gibt den „Räubern“ eine ganz neue Dimension. Auch die Untersuchungen über Schillers Christlichkeit beziehungsweise Unchristlichkeit, Transzendenz und Immanenz verraten ein gründliches Eindringen in diesen Problemkreis. Interessant wäre noch ein Eingehen beziehungsweise die Erwähnung der Schriften Schillers zur Genesis gewesen, die ein bemerkenswertes Licht auf die sogenannte freie Selbstbestimmung des Menschen werfen. Auf jeden Fall haben wir in der Arbeit Rieders eine sehr übersichtliche, zusammenfassende Studie zur ideellen Entwicklungsgeschichte Schillers, die sich kein Kenner und kein Freund dieses Großen entgehen lassen wird.

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