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Warum ich den Klassiker nicht mag - und was mir trotzdem von ihm bleibt.

Keinen Schiller, man muss ja nicht jedes Jubiläum mitmachen! Mich nicht durch das Werk zwingen, wenn ich nicht darauf neugierig bin, keine neue Biografie lesen, keine Radiosendung machen - ich habe meine Vorsätze eingehalten. Gefasst habe ich sie nicht, weil ich jenen miesen Lehrer, der längst unter der Erde ist, noch vor mir sehe, wie er Schillers Rhythmus aufs Katheder klopfte, wenn unsere auswendig gelernten Verse ins Stocken gerieten. (Vorsicht: der deutsche Bundespräsident Köhler verspürt Nostalgie nach solchen Zeiten!)

Was mich von Schiller abhält ist vor allem die Überschätzung seines letzten Lebensjahrzehnts, in dem er unter anderem mit Goethe ein "Balladenjahr" ausrief, an dessen hehre Prinzipien sich dieser, abgesehen von seinem "Zauberlehrling", kaum gehalten hat und gerade deswegen wunderbare Balladen schuf, die nicht von ethischen Maximen beschwert sind. Noch immer wird dieses eine Jahrzehnt von 1795 bis 1805 isoliert als "Weimarer Klassik" herausgestellt, wodurch das spannende Nebeneinander gerade jener Epoche aus dem Blick gerät.

Nicht verzeihen kann ich Schiller, dass er Gottfried August Bürger - den wohl vielleicht einzigen ungebrochenen Demokraten unter den deutschen Dichtern des 18. Jahrhunderts neben Friedrich Schubart - mit der aus dem Hinterhalt der Anonymität abgefeuerten Kritik "Bürgers Gedichte" bleibend beschädigte, später jedoch moderatere Töne angeschlagen hat - nach Bürgers Tod.

Vor allem aber hat mir Schiller verleidet, dass ich von seinen Dramen außer "Kabale und Liebe" kein einziges ausstehen konnte: "Die Räuber" nicht, weil einem vor so vielen gefühlig-revolutionären Seufzern selbst beim Lesen der Atem knapp wird, die Klassiker nicht, weil mir dort zu viele Ideen aufeinander eindreschen, die mit großem Aufwand in historische Kostüme eingenäht sind. Was etwa Jeanne d'Arc angeht, ist mir sogar Voltaires polemische Verunglimpfung lieber als die pathetische Ehrenrettung, die Schiller ihr entgegensetzte.

Klassiker reduzieren

Muss man denn wirklich alles lesen, was die Altvorderen einmal zur Klassik erklärten? Muss die literarhistorische Landvermessung nicht auch einmal vorne ein bisschen ausräumen, um immer noch hinten etwas dranhängen zu können, was als unabdingbar erklärt wird? Muss man immer nur darauf warten, dass Neuinszenierungen den Staub von alten Theater-Schatztruhen wischen, oder kann man auch ein paar Truhen entsorgen?

Die Entrümpelung freilich zwingt auch zum genauen Sortieren, und indem ich sie vorschlage, muss ich auch deklarieren, was ich auf keinen Fall zum literarischen Alteisen werfen möchte. Da ist einmal die Erzählung "Der Verbrecher aus verlorener Ehre", mit deren Argumenten und psychologischer Klarsicht - gefasst in glasklare Prosa - man noch im 21. Jahrhundert Debatten gegen das Gefängnis und für Resozialisierung bestreiten kann.

Problemfall Schiller

Dann die Jahrhundert-Ballade "Die Götter Griechenlands", in der Schiller die Verlustrechnung der Entmythologisierung der Natur unter christlichem Vorzeichen aufstellt. Mit Blick auf die Antike artikuliert er eine Polytheismussehnsucht, die die zwei Jahrhunderte später geäußerte Monotheismuskritik und das Votum für Polymythie als Quelle für Toleranz des Philosophen Odo Marquardt ziemlich alt aussehen lässt.

Überhaupt die Balladen: die rhetorische Sprengkraft ihrer Zeile für Zeile hart aufeinandertreffenden Dialoge ist oft auch dort noch enorm, wo die Argumentation, für die er sie einsetzt, nur noch von historischem Interesse ist. Die revolutionäre Neubegründung des Gedichts in der Sturm-und-Drang-Periode hat das Missverständnis vom Gedicht als Gefühlsausdruck so nachhaltig in die Welt gesetzt, dass nach Schiller bis Bertolt Brecht kein deutschsprachiger Autor mit ähnlicher rhetorischer Stringenz und poetischer Klarheit der Argumentation mehr aufgetreten ist.

Und Schillers ästhetische Schriften, werden die Kundigen jetzt einwenden, sind die nicht auch bis heute von zentraler Bedeutung? Um mein Schiller-Bild niemanden aufzudrängen, sondern als subjektiv zu deklarieren, bekenne ich: Ich muss ihre Lektüre nachholen. Irgendwann, ohne den erpresserischen Jubiläums-Druck, mit dem mir ein Jahr lang Schillers Größe vor den Latz geknallt wird. Denn eines bleibt der gute Schiller ja trotz allem: Ein Problemfall der Literaturgeschichte.

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