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Der Mann aus Marbach

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Wenn der Leser von heute nicht die Beziehung zu den von der Schule her mit allerlei Einschränkungen versehenen Klassikern verlieren soll: wenn; er nicht weiterhin an Vaters und Großvaters goldbetreßten Bänden im Glasschrank vorbeigehen soll; wenn er nicht, von einem Extrem ins andere fallend, sich mit schlanken Taschenbuchausgaben bescheiden darf: dann heißt es für die Herausgeber einer Klassikerausgabe, den gewaltigen Stoff technisch handlich darzubieten (daher hier die Dünndruckausgabe) und die Texte philologisch zuverlässig und ausreichend kommentiert herauszugeben. Solange die große Schiller-Nationalausgabe (Weimar 1943 ff.) einer fernen Vollendung harrt (von 43 vorgesehenen Bänden sind erst 11 erschienen), hat man mit der vorliegenden Ausgabe das Beste auf lange Zeit in Händen, das sich denken läßt. Diese hellgrauen Leinenbände, zu denen das blaue Rückenschild gut paßt, der weiträumige Druck in der sehr lesbaren Poliphilus-Antiqua und die zweckmäßig entworfene Schrift auf den blaugrauen Schutzumschlägen machen schon äußerlich einen fortschrittlichen, von den alten Einbänden sich wohltuend abhebenden Eindruck. Man unterschätze diese Äußerlichkeiten nicht: gerade die lugend von heute würde den verschnörkelten Stil der Jahrhundertwende abstoßend empfinden und würde alles, was in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg und gar erst nach dem zweiten über und gegen Schiller gefabelt wurde, als richtig hinnehmen — und das wäre schade. Nicht gerade für den Dichter. Er hat das Verbot seines „Teil“ vor 1938 in verschiedenen, außerhalb Deutschlands gelegenen Ländern überstanden; er hielt auch die Verbote nach 1938 und nach 1945 in verschiedenen weiteren, oft neckischerweise gleichen Ländern aus. Nein, schade wäre es um die geistige Formung cLr Jugend, um den von diesem Dichter nicht vorgeredeten, sondern gelebten und gestalteten Begriff der Freiheit, der Unantastbarkeit der Ideen, der Reinheit des Herzens.

Die Herausgeber (der für die Edition des 4. Bandes in erster Linie verantwortliche Mannheimer Bibliotheksdirektor Herbert Stubenrauch erlebte die Fertigstellung nicht mehr) haben alle Texte, die oft unzuverlässig nachgedruckt worden waren, Wort für Wort mit den jeweils maßgebenden Originalausgaben verglichen — und es ist erstaunlich, was hier an „Neuem“ herauskam (oft bereits durch die Wiederherstellung der ursprünglichen Interpunktion). Typographisch hervorzuheben ist bei dem Abdruck der Bearbeitung von Goethes „Egmont“, daß die Streichungen Schillers in eckigen Klammern und kleinerem Schriftgrad stehen, die Hinzufügungen zwischen fette Klammerkeile gesetzt wurden, was beim Studium für Studenten und auch bei dramaturgischen Lehrgängen sich als überaus brauchbar erweisen wird. Studium: dieser Schiller, über den man vor mehr als 30 Jahren in Broschüren rief, er müsse „auferstehen“ — dieser Dichter ersteht nur im Miterleben und Mitdenken. Die Handhaben sind hier wie kaum je gegeben.

Der erste Band bringt die Gedichte und drei Stücke: „Die Räuber“ (nach der Weimarer Nationalausgabe), den „Fiesco“ sowie „Kabale und Liebe“ nebst dem Anhang und textkritischen Apparat. Der zweite Band enthält die weiteren Dramen bis zu „Wilhelm Teil“ und kleinere dramatische Arbeiten. Der dritte Band vereinigt die wichtigen dramatischen Fragmente, die Übersetzungen und Bühnenbearbeitungen. Im vierten Band stehen die historischen Arbeiten und im Anhang die sehr brauchbare chronologische Übersicht über Schillers historische Schriften und Vorlesungen, womit die ganze Weite des Universalhistorikers Schiller aufleuchtet. Im fünften und letzten Band findet man die unterschätzten Erzählungen des Dichters und den umfangreichen Kreis der theoretischen Schriften, deren Vollständigkeit in früheren Ausgaben so sehr zu wünschen übriggelassen hat. Auch hier wurde typographisch übersichtlich verfahren: die von Schiller stammenden Überschriften stehen in normalen Versalien, die von den Herausgebern kommenden in kursiven Ver-

sahen. Ob die Erläuterungen noch umfangreicher sein sollten? Wir glauben — ein Vergleich des „Teil“ mit einer Freytagschen Schulausgabe erwies dies —, daß die Herausgeber gerade die rechte Mitte hielten. Lieber weniger Ballast und mehr Möglichkeit, in der Schule zu interpretiere“, als vorgesetzte Marksteine.

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