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Drei Bücher aus Tirol

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Der Innsbrucker Mittelschulprofessor Alois Lechthaler hat 1936 ein» „Geschieht» Tirols“ veröffentlicht, die dann in der Zeit des Dritten Reiches verpönt war, kürzlich aber von dem Verlag Tyrolia (Innsbruck) neu aufgelegt wurde. Das Buch ist im wesentlichen dasselbe geblieben und nur »eine besser» Ausstattung mit Kartenskizzen, Reproduktionen von wichtigen Urkunden und zahlreichen Landschaften und Bauwerken ist als nicht unwesentlich» Neuerung hervorzuheben. Lechthalers Arbeit ist in ihrer Stoffeinteilung, in der klaren, übersichtlich knappen und doch alles Wesentliche erfassenden Darstellung, in der stofflichen Vielseitigkeit und ruhigen Objektivität geradezu das Muster einer für weite Kreise bestimmten Landesgeschichte. Die Urgeschichte und die dunklen Jahrhunderte nach der Völkerwanderung wurden gleich liebevoll behandelt wie die späteren Perioden. Ein» Ausnahme macht nur das Jahr 1809, das aus begreiflichen Gründen ausführlicher bedacht wurde. Neben der politischen Geschichte kommt aber auch die Kulturgeschichte nicht zu kurz. Besonders dankbar muß man ihm für die eingehende Darstellung der wirtschaftlichen Entwicklung sein. Auch die Straßen- und Bähnbauten, die ausgezeichneten Ingenieur» Duile und Negrelli, die industriellen Anlagen des 19. und 20. Jahrhunderts, die landwirtschaftlichen ‘Schulen, di» Wildbachver-

bauung werden nicht vergessen. Auf diesem Gebiete möchte man sich höchstens — als für Tirol besonders bezeichnend — eine etwas eingehendere Darstellung des Weinbaues und der Viehzucht wünschen.

Bei der Behandlung der bildenden Kunst, der Literatur und der Wissenschaft besteht in solchen zusammenfassenden Werken stets die Gefahr, über ein» Aufzählung von Namen nidit recht hinauszukommen. Auch Lechthaler ist dieser Gefahr nicht ganz entgangen, und hier wär» dim wohl ein» stärkere Hervorhebung allgemeiner, konstruktiver Linien zu empfehlen, was zum Beispiel bei der Darstellung der Barockkunst oder des vormärzlichen Liberatus leicht möglich sein müßte.

Beschränkt sich Lechthaler auf das Land Tirol, so bietet Dr. Hermann Lechner in seinen „Grundzügen der Literaturgeschichte“ (Innsbruck, Tyrolia) einen zwar knappen, aber ebenfalls erschöpfenden Überblick über die schöne Literatur des ganzen deutschen Volkes. Was ihn von ähnlichen Versuchen schon auf den ersten Bück unterscheidet, ist die weitausgreifende Zusammenschau, mit der er das dichterische Schaffen unseres Volkes mit seinen geistesgeschichtlichen Grundlagen, mit der antiken Humanität, mit dem Christentum und mit dem eigenen Sagengut organisch verbindet. So kommt es, daß in den einleitenden Abschnitten sowohl Plato und Aristoteles, Alexander der Große, Julius Cäsar, Augustus und Vergil wie Augustinus, Benedikt, Justinian, Gregor der Große und Karl der Große als die geistigen Väter der abendländischen Kultur und damit auch der deutschen Literatur aufgeführt werden.

Noch mehr als dieser großzügige Univer- salismus interessiert uns hier aber die andere Seite dieses Buches: seine bewußte Ausrichtung auf Österreich und auf Tirol, seine energische Absage an die Aschenbrödelrolle, zu der unsere Heimat in der üblichen, deutschen Literaturgeschichtsschreibung verurteilt war. Schon be! der mittelhochdeutschen Heldenepik, bei den spätmittelalterlichen Volksschauspielen, beim Humanismus und beim barocken Jesuitendrama wird der Anteil Österreichs, und wo das in Frage kommt, auch der Tirols, gebührend gewürdigt, Goethe sind zwanzig, Schiller vierzehn, Grillparzer zwölf Seiten gewidmet, was ihrer tatsächlichen Bedeutung (und auch der Meinung, die Grillparzer selber davon hatte) so ziemlich entsprechen dürfte. Von den übrigen Dichtern aber werden di» nach des Verfassers Ansicht führenden dadurch hervorgehoben, daß ihre Namen in gefälliger Anordnung als Überschriften eigener Abschnitte figurieren. Die so Ausgezeichneten erscheinen also schon auf den ersten Blick als eine Art Elite, sozusagen als Mitglieder einer unsichtbaren Dichterakademie. Von rund vierzig Namen nun, denen nach den Klassikern und Romantikern dieser oberste Orden verliehen wird, gehören die Hälfte Österreichern an — ein Resultat, das selbst den überraschen wird, der sonst die Verdienste unserer Heimat um die deutsche Dichtung wohl zu würdigen weiß. Allerdings hat diese so sinnfällige Hervorhebung auch ihre bedenkliche Seite: sie wird in verschiedenen Fällen kaum ohne einen gewissen Subjektivismus möglich sein. Nach meiner Meinung zum Beispiel sind Uhland, Mörike und selbst Geibel oder, wenn man unbedingt Moderne und Österreicher haben will, Weinheber und Leitgeb wenigstens ebenso gute Lyriker wie Waldeck, Trakl und Henz. Doch mit solchen Bemerkungen gerät auch die Kritik selber noch mehr, als es ohnehin unvermeidlich ist, in den Bereich des Subjektiven.

Volle Anerkennung verdient die klare und übersichtliche Anordnung des Stoffes und die scharfe und zutreffende Charakterisierung der einzelnen Autoren. Hier zeigt sich zugleich der feste und konsequente Standpunkt des Verfassers, der in religiösem und kulturgeschichtlichem Boden sicher verankert und dabei doch alles eher als engherzig ist. Ein ebenso sympathisches wie brauchbares Budi, dessen aufeinanderfolgende Auflagen es deutlich beweisen, daß hier der Kritiker mit seiner Meinung nicht allein steht.

Zum Schlüsse sei auch noch eine dritte Schrift angekündigt, die zwar schmäler und minder gewichtig als die beiden anderen, aber für Tirol nicht weniger bezeichnend ist, „Die Kunst in Tirol" von Hans Semper (Innsbruck, Ditterich). Semper, damals Professor der Kunst- geschidite an der Innsbrucker Universität, hat diesen kurzen Überblick über die Kunstentwicklung von Tirol schon 1893 und dann nodi einmal 1894, aber beide Male an recht ungeeigneter Stelle, veröffentlicht. Nun hat Dr. Josef Ringler die für ihre Zpit sehr bedeutsame, seitdem aber völlig versdiollene Schrift neu herausgegeben, hat da und dort einige Korrekturen und Ergänzungen angebracht, im übrigen aber sich damit begnügt, dem Texte folgend in 83 Noten die seitdem erschienene Literatur zusammenzustellen — ein Versuch, der jedem Freund der tirolischen Kunstgeschichte auch für sich allein sehr willkommen sein wird.

Bei dem Eifer, mit dem die tirolischen Kunstgelehrten dasselbe Thema auch später wiederholt behandelt haben — wie denn überhaupt das Schrifttum über die Geschichte, Vorgeschichte, Kunstgeschichte, die schöne Literatur, die Geologie, die Botanik Tirols derartig reichhaltig ist wie kaum in einem zweiten österreichischen Bundeslande —, könnte es vielleicht überflüssig erscheinen, eine Schrift neu aufzulegen, die schon vor mehr als einem halben Jahrhundert verfaßt worden ist und daher dem heutigen' Stand der Forschung unmöglich mehr entsprechen kann. Aber ganz davon abgesehen, daß all» anderen ähnlichen Arbeiten im Buchhandel augenblicklich nicht zu haben sind, erlebt man hier eine sehr eigenartige Überraschung: von einzelnen Irrtümern und selbstverständlichen Lücken, die von Ringler größtenteils ohnehin beseitigt wurden, abgesehen, bietet nämlich Semper ein Gesamtbild der tirolischen Kunstgeschichte, das in allen wichtigen Linien auch heute noch bestehen kann und durch die spätere eingehendere Detailforschung kaum wesentlich verändert worden ist. Kein Zweifel, die respektable Leistung des Altmeisters tiro- licher Kunstforschung ist für alle nachfolgenden Forscher geradezu eine Mahnung zur Bescheidenheit. Soviel Beiträge zur genaueren Kenntnis der tirolischen Kunst sie auch geliefert haben, im wesentlichen hat das alles auch der alte Semper schon gewußt. Aus dieser dankbaren Erkenntnis heraus wollen wir dem alten Herrn auch seine gelegentlichen liberalen Seitenhiebe, wie sie damals zum Erweis fortschrittlicher Wissenschaftlichkeit noch für unentbehrlich angesehen wurden, nicht allzu stark ankreiden und uns mit der erfreulichen Feststellung begnügen, daß sie wesentlich antiquierter und überholter wirken als seine sachlichen Ausführungen,

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