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Beifall und Buhrufe

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Von aufmerksamen Beobachtern der Kunstszene der letzten 50 Jahre werden die Chancen der zeitgenössischen Opernproduktion meist recht pessimistisch beurteilt. Man sieht die Gründe hiefür hauptsächlich im Mangel an geeigneten Libretti, das heißt: im Fehlen von Dichtern, die geneigt wären, mit Komponisten zusammenzuarbeiten. Und man sieht sie in den zu hohen Ansprüchen, die an alle Ausführenden sowie an das Publikum gestellt werden. Diesen Schwierigkeiten auszuweichen, hat der 1918 geborene österreichische Komponist Gottfried von Einem verstanden und hat, vor die Alternative „Spätromantik oder Avantgardismus“ gestellt, einen dritten, sehr erfolgreichen Wec eineeschlaeen.

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Von aufmerksamen Beobachtern der Kunstszene der letzten 50 Jahre werden die Chancen der zeitgenössischen Opernproduktion meist recht pessimistisch beurteilt. Man sieht die Gründe hiefür hauptsächlich im Mangel an geeigneten Libretti, das heißt: im Fehlen von Dichtern, die geneigt wären, mit Komponisten zusammenzuarbeiten. Und man sieht sie in den zu hohen Ansprüchen, die an alle Ausführenden sowie an das Publikum gestellt werden. Diesen Schwierigkeiten auszuweichen, hat der 1918 geborene österreichische Komponist Gottfried von Einem verstanden und hat, vor die Alternative „Spätromantik oder Avantgardismus“ gestellt, einen dritten, sehr erfolgreichen Wec eineeschlaeen.

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Seit „DantonsTTod“, 194? in Salzburg uraufgeführt, bedient er sich für seine Libretti klassischer Meisterwerke. Zuerst war es Büchners Woyzek-Fragment, danach griff Einem zu Kafkas „Prozeß“, es folgte die Nestroy-Oper „Der Zerrissene“, hierauf „Der Besuch der alten Dame“ nach Dür-. renmatt, und für sein letztes Opernwerk haben ihm Boris Blacher und Einems Frau, Lotte Ingrisch, Schillers „Kabale und Liebe“ als Opernlibretto eingerichtet Das~,,bürgerliche Trauerspiel“ von 1784 hatte fünf Akte und 42 Auftritte, das Libretto neun Szenen, die in zwei Teile gegliedert sind. Auch mit dieser Wahl bewies Einem eine glückliche Hand, denn „Kabale und Liebe“ gehört nicht nur zu den Meisterwerken Schillers, sondern gilt auch als das bestgebaute Stück der deutschen Klassik. Bereits 1849 machte Cammarone daraus für Verdi das Libretto zu „Luisa Miller“, und seit 1907 wurde Schillers „Kabale“ nicht weniger als fünfmal verfilmt, zuletzt 1959.

Zum zweiten Punkt der Schwierigkeiten „Oper heute“: Die Partituren Einems sind keineswegs einfach zu exekutieren, sondern erweisen sich, vor allem was das Rhythmische betrifft, als sehr heikel. Das weiß jeder Dirigent, Musiker, Sänger. Das Publikum merkt am wenigsten davon, weil Einem immer im Rahmen der Tonali-tät bleibt, auch wenn er chromatische Skalen und gelegentlich pentatoni-sche Reihen verwendet.

Diese Musik hat ein Tempo und einen Impetus, die geradezu aggressiv wirken. Und zwar vom ersten Augenblick an. Der erste Teü dauert eine Stunde und fünf Minuten, der zweite Teil eine Stunde und 15. Also eine Oper von „normaler“ Länge. Doch stellen wir dabei fest, daß uns kaum ein Opernabend so kurzweilig vorgekommen ist. Dazu trägt natürlich auch die leicht „durchhörbare“ Form bei: nicht eigentlich „Nummern“, wie Einem sie früher'bevorzugte, sondern meist kurze, dramaturgisch konzipierte Szenen. Natürlich spielt auch das Tempo eine Rolle, denn von den 16 Szenen haben nur drei ein getragenes, ruhigeres Zeitmaß. Auch gibt es für das Ohr „Anhaltspunkte“: Wiederholungen gewisser Themen oder Leitmotive, besser gesagt: magischer Formeln, die man meist unbewußt aufnimmt und deren Existenz uns erst bei wiederholtem Hören bewußt wird.

Uberhaupt sind Einems Kunstgriffe und Tricks schwer zu definieren. Der Wiener Musikologe Friedrich Saathen hat darüber einen sehr lesenswerten Essay im Programmheft geschrieben, und auch Einems erster Biograph, der frühverstorbene Wiener Musikkritiker Dominik Hartmann, hat sich ausführlich damit beschäftigt - noch bevor die beiden letzten Opern erschienen sind. Denn verglichen mit seinem Erstling „Dantons Tod“ haben sich Einems Kunstmittel und seine Tonsprache nicht wesentlich verändert, sondern nur perfektioniert und präzisiert Und doch hat jede seiner fünf Opern ein ganz eigenes Gesicht.

Wie wichtig die Wiedergabe, die Realisierung auf der Bühne ist, konnte man am vergangenen Freitag in der Wiener Staatsoper waeder einmal feststellen. Otto Schenk führte Regie, und man weiß, wie er es macht, wenn man ihm das richtige Stück gibt. Diese realistische bürgerliche Tragödie von der unglücklichen Liebe des jungen Majors Ferdinand, der aus einer hochadligen Familie stammt, zu einer „Bürgerlichen“, zur Tochter des Stadtmusikus Müler, im Müieu eines deutschen Duodezfürstentums des 18. Jahrhunderts, mit seinen servilen Hofbeamten, Standesvorurteilen, Intrigen, Nötigung, Schiebung und Betrug, Polizeiwillkür und Gewaltjustiz - bis zum Doppelselbstmord mittels giftiger Limonade -, das ist ein brisanter Stoff, der schon im Trauerspiel Schillers als Zündstoff künftiger Revolten angelegt ist, der aber erst durch die Musik so richtig zum Explodieren gebracht werden konnte. Das alles war etwas für Otto Schenk.

Dazu etwa ein Dutzend scharfkontu-rierter Gestalten: der Präsident Walter (Hans Beirer), sein Sohn Ferdinand (Bernd Weikl), Vater Müler (Walter Berry) und Hofmarschall von Kalb (von Heinz Zednik etwas zu lakaienhaft gespielt): das waren alles plastische Figuren und gute sängerische Leistungen. Doch wurden sie von einigen Damen des Ensembles übertroffen: in weitem Abstand von allen übrigen Anja Silja, bühnenbeherrschend, sobald sie auftritt, obwohl als Luise mehr leidend als aktiv eingreifend; Brigitte Fassbaender, als einflußreiche Favoritin des Fürsten, ist sowohl bei Schiller wie in der Musik Einems zu wenig profiliert. Martha Mödl hingegen war als Frau Miller, Luises Mutter, ganz in ihrem Element. Christoph von Dohnänyi hat die schwierige Partitur mit Akribie einstudiert und mit Elan dirigiert, das auf Mozart-Maß verkleinerte Orchester ließ keinen Wunsch offen. Die weißgrauen Bühnenbilder Schneider-Siemssens waren ein wenig karg, aber nicht unschön. Sie bildeten den Rahmen für eine heute fast nur noch historisch anmutende Tragödie und lenkten nicht von ihr ab. Mit viel Sorgfalt hat Hill Reihs-Gromes die vielen Personen, Adel, Bürger und Dienerschaft, eingekleidet. Viel Beifall, auch nach einzelnen Szenen, mit Buhrufen für den Komponisten von der Galerie und aus dem Stehparterre, dem diese Musik offenbar nicht „modern“ genug war.

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