"Schwarzwasser" von Elfriede Jelinek: Szene der Obszönität
Anmerkungen zur Uraufführung von Elfriede Jelineks „Schwarzwasser“ am Wiener Akademietheater – eine Inszenierung, die einer gekürzten Vorlage folgt und auf beliebig anmutende Bildfindungen setzt.
Anmerkungen zur Uraufführung von Elfriede Jelineks „Schwarzwasser“ am Wiener Akademietheater – eine Inszenierung, die einer gekürzten Vorlage folgt und auf beliebig anmutende Bildfindungen setzt.
Parodien der Politik haben es heutzutage schwer. Das räumt auch Elfriede Jelinek in ihrem Beitrag im Programmheft ein, das anlässlich der Uraufführung ihres neuen Theatertextes „Schwarzwasser“ im Akademietheater erschienen ist. Ausgehend von der Ungeheuerlichkeit der Ibiza-Affäre, mit dem mehr als nur armseligen und billigen „Außersichgeraten“ in der Villa auf der Ferieninsel, den hinlänglich desavouierten Protagonisten, über das „fröhliche Festplatten-Schreddern“ bis hin zu den Wortverdrehungskünsten des einschlägig begnadeten Kanzlers, hat sie mit „Schwarzwasser“ eine launige Abrechnung mit der politischen Elite und den Zuständen des Landes vorgelegt.
Angesichts der Vorfälle, so Jelinek in dem besagten Beitrag, den sie selbstkritisch „Fischzug im Trüben“ betitelt, reiche es nur gerade zur Bloßstellung der Lächerlichkeit, ja eigentlich sei sie es, die sich lächerlich mache, da sie mit Theater gegen die Mechanismen der aktuellen Politik antrete. Nun, lächerlich macht sie sich fürwahr nicht. Seit den Roma-Morden im burgenländischen Oberwart Mitte der 1990er Jahre kommentiert und schreibt die Literaturnobelpreisträgerin von 2004 sprachmächtig gegen die Gefahren des Populismus, der Re-Ideologisierung, den Sittenzerfall etc. an. Die Lächerlichkeit, die sie dabei mitunter vor Augen führt, ist nicht ihre eigene, sondern mitunter zwar eine, die „eher Stoff für Kabarettisten“ sei, aber die eben auch nur einen „winzigen Spalt vom Schrecken entfernt“ ist, wie Jelinek schreibt. Und genau diese Tatsache macht daraus einen Stoff fürs Theater.
Angesichts der Obszönität des Ibiza-Videos und des daraus folgenden Glaubwürdigkeitsverlusts der Politik muss nämlich grundsätzlich die Frage gestellt werden: Comment taire? Wie schweigen? Mit dem Obszönen wird zwar gemeinhin das allzu Sichtbare bezeichnet, dem der Blick verweigert werden sollte. Aber gerade in der spezifischen Zeitlichkeit der Theaterperformance liegt der Wert und sogar die Notwendigkeit, solcherart Obszönes in Szene zu setzen. Denn die ästhetische Erscheinung, die Produktion von Präsenz im Theater erlaubt dem Zuschauer eine immer erneuerbare Realisierung des Erschreckens über die in ihm Dargestellten. Damit ist ein Grundmotiv des politischen Theaters benannt, nämlich das des Erschreckens, das zum Erkennen nötig ist, wie Brecht einst sagte. Und utopisch in die Zukunft gewendet, kann man nur hoffen, dass Heiner Müllers Wort, wonach der Schrecken die erste Erscheinung des Neuen sei, sich einmal bewahrheiten wird.
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