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Mozarts Andante als Droge

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„Deine Droge, das war das An- dante des Klavierkonzertes Nr. 21, welche Du die ganze Zeit in Dir getragen hast." Mit diesen Worten greift Marie Caldor, Adoptivtoch- ter des berühmtesten Pianisten der Welt die junge Michele Cormeil, ihre Rivalin um dessen Gunst, vor Gericht an, in jener Verhandlungs- serie vor dem Genfer Richter, wo sie sich wegen des Mords an ihrem Adoptivvater verantworten muß, durchgeführt in der Konzertpause, bevor der alternde Künstler, nach über dreißig Jahren, erstmals wie- der das ihm als Gipfel der Klavier- literatur geltende Klavierkonzert Mozarts (= Konzert für Klavier und Orchester C-Dur, Nr. 21, Kochel- Verzeichnis 467) öffentlich spielen wollte - aus persönlichen Gründen hatte er diese von der ganzen Mu- sikwelt bedauerte Abstinenz ein- gehalten, und für seine junge Ge- liebte wollte er sie jetzt unterbre- chen.

Warum der Mord tatsächlich geschah, läßt sich in dem Roman, in dem die Geschichte jener Gerichts- verhandlung erzählt wird, nicht mehr klären, und das ist auch für uns hier unwichtig. Wichtig ist die zentrale Funktion, die dort ein Musikstück Mozarts spielt, näm- lich in dem Roman „Le concerto en ut majeur" (Paris: Plön, 1982) des französischen Autors und Politi- kers Maurice Schumann (der übri- gens im Jahre 1989 die Eröffnungs- rede bei den Salzburger Festspie- len gehalten hat).

Eine solche Funktion ist Mozarts Musik im Roman des 20. Jahrhun- derts nicht fremd: In dem ironi- schen Liebesroman der italieni- schen Germanistin Laura Manci- nelli „II fantasma di Mozart" (1986; deutsch 1987: „Mozart in Turin?") hat die „Haffner-Serenade" (Sere- nade D-Dur, Kochel-Verzeichnis 250) eine vergleichbare, wieder mit Liebe und Verbrechen zusammen- hängende Bedeutung, und in Her- mann Hesses Aussteiger-Roman „Der Steppenwolf" (1927) sind Mozart und seine Musik die Ver- körperung des höchsten Prinzips der Vervollkommnung, dem „Step- penwolf" Harry Haller auf seiner verzweifelten Sinn-Suche nach- strebt.

Daß Mozarts Musik und sein Werk, also nicht seine Person, im Roman des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle spielen, ist weitge- hend unbeachtet geblieben. Allge- mein bekannt ist dagegen, daß die Gestalten des Don Giovanni und Figaro, und zwar in ihrer Ausfor- mung durch Da Ponte und Mozart, die Theater-Autoren/innen unseres Jahrhunderts zu neuen Darstellun- gen provoziert haben, von George Bernard Shaw („Man and

Superman" 1903), Ödön von Hor- väth („Figaro läßt sich scheiden" 1934, „Don Juan kommt aus dem Krieg" 1935), Max Frisch („Don Juan oder Die Liebe zur Geome- trie" 1953) und Jean Anouilh („Ornifle" 1955)-um nur einige zu nennen - bis hin zu den Mexikane- rinnen der aufregenden „Donna Giovanni" (Divas A.C., 1983) und dem von Claus Peymanns Bochu- mer Ensemble abgespaltenen „Zelt- theater" in Niederbayern („Figaro & Co." 1987).

Der „Don Giovanni" von Da Ponte und Mozart war aber auch für die Roman-Autoren/innen des 20. Jahrhunderts wichtig - hervor- heben möchte ich nur Hermann Brochs zeitgeschichtlichen Episo- den-Roman „Die Schuldlosen" (publiziert 1950; entstanden 1913-1950) und Herbert Rosendor- fers groteskes Buch „Die Ruinen- baumeister" 1969.

Von Rosendorfer stammt auch das Libretto zu der Oper „Mozart in New York" von Helmut Eder; das im Auftrag der Salzburger „Stif- tung Mozarteum" geschriebene Werk soll im Sommer 1991 am Salzburger Landestheater seine Uraufführung haben. Der Roman „After the Death of Don Juan" der Engländerin Sylvia Townsend Warner (1938) nimmt unter völlig anderen, nämlich stark sozialkriti- schen Vorzeichen den Gag von Max Frischs Theaterstück vorweg und das Erstlingswerk der Australierin Christina Stead, „The Salzburg Tales" (1934), ist ein aus Novellen aufgebauter Roman.

Christina Steads Roman verar- beitet nicht nur Mozarts „Don Giovanni", sondern er spielt auch an einem mit Mozart eng verbunde- nen Ort und Termin, nämlich in Salzburg, während der Festspiele Anfang der dreißiger Jahre.

Gegenseitig und mit wechselnder Zusammensetzung erzählt sich eine internationale Gruppe von Fest- spiel-Gästen nun im Verlauf einer Festspiel-Woche Geschichten, die in der ganzen Welt der Gegenwart spielen, die von ganz unterschiedli- cher Art sind und die scheinbar nicht miteinander zusammenhän- gen. Was auf diese Weise entsteht, ist ein assoziativ verbundenes Mo- saik-Bild, das mit scheinbarer Zu- fälligkeit, vom scheinbar zufälli- gen Zusammentreffen in Salzburg aus, eine ganze Welt vorführt. Der Titel des Werkes spielt natürlich auf Chaucers „Canterbury Tales" an.

Der Autor ist Ordinarius für Germanistik in Salzburg; der Text ist ein Auszug aus seinem Referat beim Salzburger Symposion „Das Phä- nomen Mozart im 20. Jahrhundert" im August dieses Jahres.

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