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„Idomeneo" im Rückspiegel

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Mozarts „Idomeneo“, die erste seiner sieben großen Opern, muß man vorstellen, denn sie wurde in Wien zum letztenmal 1941 im Rahmen einer Mozart-Woche gegeben. Richard Strauss stand am Dirigentenpult und leitete die von ihm zehn Jahre vorher gemeinsam mit Lothar Wallerstein als Regisseur hergestellte deutschsprachige Neufassung. Das Werk hat ein merkwürdiges Schicksal. Der Auftrag des Kurfürsten Karl Theodor von Bayern, eine große italienische Opera seria zu schreiben, bedeutete für Mozart die Erfüllung eines Jugendtraumes, die er, bei der Hauptprobe im Münchener Residenztheater, an seinem 25. Geburtstag erlebte. Aber die große Enttäuschung folgte auf dem Fuß: „Idomeneo“, nach einem Text des Abbate Giambattista Varesco, fiel sosehr durch, daß in den Besprechungen nicht einmal der Name des Komponisten erwähnt wurde (sondern nur die effektvolle Ausstattung durch Lorenz Quaglio) und das Werk nach einmaliger Aufführung verschwand. Fünf Jahre später gab es eine Privataufführung in Wien, erst nach Mozarts Tod, und zwar fand eine offentliche Präsentation im k. k. Hofoperntheater in deutscher Spraehe unter dem Titel „Idomeneus, König von Kreta“, statt. Im großen Haus am Ring war „Idomeneo“ nur selten zu Gast. Die Inszenierung am vergangenen Sonntag bedient sich jener Fassung, die Bernhard Baumgartner 1956 für die Salzburger Festspiele hergestellt hat.

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Mozarts „Idomeneo“, die erste seiner sieben großen Opern, muß man vorstellen, denn sie wurde in Wien zum letztenmal 1941 im Rahmen einer Mozart-Woche gegeben. Richard Strauss stand am Dirigentenpult und leitete die von ihm zehn Jahre vorher gemeinsam mit Lothar Wallerstein als Regisseur hergestellte deutschsprachige Neufassung. Das Werk hat ein merkwürdiges Schicksal. Der Auftrag des Kurfürsten Karl Theodor von Bayern, eine große italienische Opera seria zu schreiben, bedeutete für Mozart die Erfüllung eines Jugendtraumes, die er, bei der Hauptprobe im Münchener Residenztheater, an seinem 25. Geburtstag erlebte. Aber die große Enttäuschung folgte auf dem Fuß: „Idomeneo“, nach einem Text des Abbate Giambattista Varesco, fiel sosehr durch, daß in den Besprechungen nicht einmal der Name des Komponisten erwähnt wurde (sondern nur die effektvolle Ausstattung durch Lorenz Quaglio) und das Werk nach einmaliger Aufführung verschwand. Fünf Jahre später gab es eine Privataufführung in Wien, erst nach Mozarts Tod, und zwar fand eine offentliche Präsentation im k. k. Hofoperntheater in deutscher Spraehe unter dem Titel „Idomeneus, König von Kreta“, statt. Im großen Haus am Ring war „Idomeneo“ nur selten zu Gast. Die Inszenierung am vergangenen Sonntag bedient sich jener Fassung, die Bernhard Baumgartner 1956 für die Salzburger Festspiele hergestellt hat.

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Die Handlung 1st hochdramatisch und durch persönliche Konflikte erhitzt. Einer erinnert an „Aida": Am Königshof zu Kreta lebt Ilia, die Tochter des besiegten Priamos, als Sklavin. Sie liebt der Königssohn Idamantes und will sie befreien. Der zweite Konflikt: Dem strandenden Idomeneo, der in seiner Not dem Poseidon den ersten ihm entgegenkommenden Menschen zu opfern versprochen hat, tritt sein Sohn Idamantes entgegen (das ist der mythische Konflikt Abrahams, Jephtas und Agamemnons). Außerdem gibt es noch Elektra aus dem Atriden-Heus am Hof von Kreta. In der mit rasanter Eile geschriebenen Musik Mozarts sind Elemente der italienischen imd der französischen Oper Gluckscher Richtung mit solchen des deutschen Klassizismus vereinigt. Wir erleben darin, so schrieb seinerzeit Alfred Einstein, „eine wahre Explosion miisikaUscher Erflndungskraft. Nicht bloß musikalischer, sondern auch musikdramatischer…"

Es mag vielleicht manchem als ein Wagnis erschienen sein, die Neuinszenierung dieses selten gespielten Werkes vier tschechischen Künstlern anzuvertrauen. Der Regisseur Voclau Koslifc und der Bühnenbildner Josef Svohoda, die Erfinder der Prager „Latema Magica", haben auch hier Hand in Hand gearbeitet. Die vielen phantastischen Kcjstüme schuf Jon Skalicki. Im Bestreben, die gefürchtete ,vgepflegte Langeweile" zu vermeiden, die die Ausgrabung barocker Meisterwerke oft begleitet, ließen sich die Künstler einen Riesengag einfallen: Ein gewaltiger Spiegel, der etwa von der halben Bühnenhöhe von hinten nach vorne, bis oberiialb der Rampe angebracht ist, verdoppelt alle Aktionen imd alle Personen, die man auf diese Weise von vorne und von rückwärts sehen kann. Besonders die Auf- und Abmärsche der Krieger und des Volkes auf zwei riesigen, die Bühne flankierenden Treppen, sind äußerst eifektvoll und durchaus im StU des Barocks, das ja den Spiegelsaal erfunden hat und die Multiplikation der Wirkungen kannte. Auch die Laternen in Muschelform („rocaü-les") bezeugen, daß man sich an den Ursprung des Wortes „barock" erinnerte. Von barocker Pracht waren auch viele Kostüme, von denen das der mit einer brandroten Perücke ausgestatteten Elektra in Schwarz und Silber mit Purpurschleppe besonders hervorstach. Weniger schön waren die rechteckigen Ausschnitte im Hintergrund, durch die man auf einige reizlose abstrakte Projektionen sehen konnte. Wann der Hintergrund gewechselt wurde, wann ein Purpurvorhang in halber Höhe (eine Art luxuriöser Brechtgardine) niederging und sich hob, wann es dunkel und wann es hell wurde — das blieb meist der Phantasie des Zuschauers überlassen, das heißt: er mußte sich dafür selbst die Erklärung finden. Wirkungsvoll und dekorativ war das Ballett eingesetzt. (Elinen schönen Pas de deux tanzten Susanne Kirnbauer und Michael Birkmeyer.)

Jaroslav Krombholc, der Mozart sehr liebt, hat die Aufführung sorgfältig einstudiert und das philharmonische Ersatzorchester mit großer Aufmerksamkeit und Vorsicht geleitet. Vorsicht war geboten. Denn mit der Besetzung war es nicht eben gut bestellt. Seno Jurinoc als Elektra und Waldemar Kmentt als Idomeneo entsprachen den bedeutenden Anforderungen; von Lisa Dcllo Cosa, Werner Krenn und mehreren Nebenrollenträgem kann man das nur mit Einschränkung sagen. Es war kein Fest großer, ^anzvoller Stlm-ipen; eher ein interessantes, optisches Schauspiel mit Musikbegleitung. Und ein in mancherlei Hinsicht lehrreicher Abend …

Die Partitur Mozarts, in der die Chöre eine große Rolle spielen, weist Züge auf, wie sie erst viel später, und eigentlich nur ein einziges Mal, wieder auftauchen: im „Don Giovanni". Die Klanggewalt der Chöre, des Orchesters und deren zuweilen realistische Schilderungen weisen auf das Musikdrama des 19. Jahrhunderts voraus: Meeresaufruhr und Schiffbruch, das Erscheinen des Meerungeheuers, Elektras Furienarie mit den züngelnden Flötenfiguren und die „unter-

irdische Stimme". An dieser einen Stelle sieht man, wie erfolgreich Mozart in das Libretto eingegriffen hat, mit dem er sich Seite für Seite auseinandersetzte. Man kann das in seinen Briefen an dpn Vater nachlesen.) 82 Takte war diese Stelle lang, dann wurde sie auf 32, in der dritten Fassung auf nur neun Takte reduziert, denn sie sollte „schireckbar" sein und erforderte daher wirkungsvolle Kürze. Mozart verlangte ferner, daß die Auf- und Abtritte der Personen glaubwürdig seien und wandte sich gegen das a parte Singen

(das im Unterschied zum Zur-Seite-Reden im Drama in der Oper nicht statthaft sei). Und er schrieb zu dieser Oper seine kürzeste und konzentrierteste Ouvertüre, ein Wunderwerk leidenschaftlicher Lebendigkeit und Zeugnis eines hoch entwickelten Kunstverstandes. Aber als Mozart diese Musik komponierte und auf-fülrrte, war die Zeit der Barockoper schon vorbei. Ist dies der geheime und geheimnisvolle Grund für das schwache Leben, das dieses Meisterwerk auf der Bühne fristet?

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