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Memoiren eines Lebemannes

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„Jetzt, wo ich, fast sechzig Jahre alt, diese Memoiren schreibe, muß ich bekennen, daß ich zwar nicht immer glücklich, aber auch nicht immer unglücklich gewesen bin, und ich habe außerdem neben manchen Widersachern auch Menschen gefunden wie Huber und Mathias.“ (S. 95) Die Gelassenheit, die aus diesen Worten spricht, war gewiß nicht der Grundzug von Da Pontes Wesen, wie wir ihn aus den Zeugnissen der Zeitgenossen kennen und wie er uns auch, aus seinen Memoiren entgegentritt, aus denen dieser Satz stammt. Wenn der Achtzigjährige die Geschichte seines Lebens mit den Worten schließt: „Omnia nunc dicam, sed quae dicam, omnia vera“, zugleich auch als Devise für einen weiteren Band, den zu schreiben ihm nicht mehr vergönnt war, so kann man wnhl fiiir nachsirhtie lächeln.

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„Jetzt, wo ich, fast sechzig Jahre alt, diese Memoiren schreibe, muß ich bekennen, daß ich zwar nicht immer glücklich, aber auch nicht immer unglücklich gewesen bin, und ich habe außerdem neben manchen Widersachern auch Menschen gefunden wie Huber und Mathias.“ (S. 95) Die Gelassenheit, die aus diesen Worten spricht, war gewiß nicht der Grundzug von Da Pontes Wesen, wie wir ihn aus den Zeugnissen der Zeitgenossen kennen und wie er uns auch, aus seinen Memoiren entgegentritt, aus denen dieser Satz stammt. Wenn der Achtzigjährige die Geschichte seines Lebens mit den Worten schließt: „Omnia nunc dicam, sed quae dicam, omnia vera“, zugleich auch als Devise für einen weiteren Band, den zu schreiben ihm nicht mehr vergönnt war, so kann man wnhl fiiir nachsirhtie lächeln.

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Die Autobiographie, die nunmehr erneut im Deutschen, und zwar in der großartigen Ubersetzung durch Charlotte Birnbaum — hervorragendes Beispiel der Übertragung einer besonderen Sprache, des Norditalienischen des 18. Jahrhunderts, mit seinem Pathos und seiner eigentümlichen Syntax — und in einer ebenso glanzvollen Ausstattung voll prachtvoller Reproduktionen von Bildern Guardis und Longhis — in deren Farbe und Zeichnungen der hoffnungslose Verfall der Republik Venedig sichtbar wird — mit interessanten Porträts, Szenenbildern und Theaterzetteln; diese Autobiographie ist typisch für ihre Zeit. Sie zeigt uns den Menschen, der Da Ponte zu sein meinte, natürlich voller Fehler, aber „sympathischer“ Fehler, dessen Missetaten eher „Kavaliersdelikte“ als das Ergebnis verabscheuungs-würdiger Instinkte sind. Die Ereignisse, die er erzählt, sind fast nie völlig wahr, die Urteile über seine Zeitgenossen kaum je einigermaßen gerecht.

Bei der Lektüre dieser Erinnerungen drängt sich die Erkenntnis Machia-vellis auf; in einer bestimmten Gesellschaft, die sich nach besonderen Spielregeln verhält, muß man sich, um nicht unterzugehen, dieser Spielregeln bedienen, und jeder verwendet sie, wie es seiner Persönlichkeit entspricht. Wenn die Zeitgenossen Da Ponte als einen erbärmlichen und gefährlichen Intriganten ansahen, so müssen wir doch feststellen, daß seine Widersacher nicht viel besser waren und daß die wenigen Beispiele von Memoirenschreibern des 18. Jahrhunderts, die zugleich charakterlich einwandfrei und intelligent waren, nicht das Publikum, sondern höchstens die Historiker interessieren. Wer den Abstand zwischen Dichtung und Wahrheit ermessen will, der vergleiche Da Pontes Schilderung seiner unfreiwilligen Abreise von Wien mit den von Otto Michtner in den Mitteilungen des österreichischen Staatsarchivs, 19. Band 1966 veröffentlichten Akten über diese Affäre. Eigentümlich mutet an, daß sich der menschliche Gegensatz zwischen Da Ponte und seinem Rivalen Casti auf höchster Ebene in dem Unterschied zwischen ihren beiden Gönnern, Joseph II. und Leopold II-, wiederholt.

Da Ponte hat das große Glück gehabt, drei Libretti für Mozart zu schreiben — Figaro, Cosi fan tutte und Don Giovanni — und die Überlegenheit Mozarts gegenüber den anderen Komponisten wie Salieri und Cimarosa zu erkennen. Daß auch diese Libretti die anderen zeitgenössischen Textbücher überragen, kann nicht bezweifelt werden. Die treffende Analyse von Paolo Lecal-dano hat nicht die gewaltige Überlegenheit des Don Giovanni von Da Ponte gegenüber den anderen Bearbeitungen des gleichen Themas erwiesen; obgleich die Gehässigkeit peinlich wirkt, mit der Da Ponte von dem späteren Wiener Theaterdichter Bertati snricht. von dessen ..Steinernem Gast“ er ganze Sätze und Verse unbekümmert übernommen hat. Aber neben jenem großen Glück, der Librettist Mozarts gewesen zu sein, ist Da Ponte doch auch durch zwei positive Eigenschaften ausgezeichnet. Die eine ist seine echte Leidenschaft und sein Verständnis für das Wesen des Theatralischen, die er in seiner zutreffenden Kritik an den italienischen Librettisten seiner Zeit, so besonders an jenem der frühen Werke Rossinis und in seinem Reformprojekt für das Wiener Hof-theater mit auch heute noch gültigen Gedanken erweist. Die andere ist seine Liebe zur italienischen Sprache und die ungeheure Begeisterung und Vitalität, mit denen er besonders dann in London und New York bis ins hohe Greisenalter als Drucker, Buchhändler und Sprachlehrer für die Verbreitung der italienischen Sprache und Literatur wirkte. Zwischen ' seiner Geburt im Ghetto von Ceneda im Jahre 1749 und seinem Tod in New York im Jahre 1838 (der Bahre folgte unter anderem auch Piero Maroncelli, der Gefährte Silvio Pellicos auf dem Spielberg) verlief sein Leben in einer ununterbrochenen Kette von Abenteuern.

GESCHICHTE MEINES LEBENS, Memoiren eines “Venezianers. Von Lorenzo Da Ponte. Aus dem Italienischen übertragen und herausgegeben von Charlotte Birnbaum mit einem Vorwort von Hermann Kesten, Rainer Wunderlich — Verlag Hermann Leins, Tübingen, 1969. 362 Seiten mit HR Ahh DM 4X —

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