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Wenn Leute jubeln, war es kein Mißerfolg!

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Heinrich Wiesmüller bezeichnet sich als „Sanftmann vom Dienst” und ist innerhalb des dreiköpfigen Direktoriums der Salzburger Festspiele unter anderem für den Kontakt mit den Geldgebern und für den Kartenverkauf zuständig.

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Heinrich Wiesmüller bezeichnet sich als „Sanftmann vom Dienst” und ist innerhalb des dreiköpfigen Direktoriums der Salzburger Festspiele unter anderem für den Kontakt mit den Geldgebern und für den Kartenverkauf zuständig.

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Der Jurist und Bankfachmann, Salzburger und Festspielverantwortlicher seit Mitte der siebziger Jahre, als er dem damals fünfköpfigen Direktorium unter Leitung Herbert von Karajans angehörte, antwortet auf die Frage „Was ist heute neu und anders an den Festspielen?”, daß es eben Festspiele ohne Karajan seien: „Hätte man versuchen sollen - und es gab nicht wenige Befürworter dieser Lösung -, Kara-jan-Festspiele ohne Karajan zu machen? Oder mußten die Festspiele nicht bewußt anders werden?Ich habe mich für letzteres eingesetzt, alles andere wäre eine leere Hülse ohne Inhalt geworden!”

Daß die Festspielleitung durch drei Personen - Heinrich Wiesmüller als Präsidenten, Gerard Mortier als Intendanten und künstlerischen Leiter, Hans Landesmann als Konzertdirektor und kaufmännischen Leiter - auch verhindere, daß das Urteil und der Geschmack nur eines Menschen über Ausrichtung und Programmierung der Festspiele entscheiden, sei eine mögliche Version. Wie alle alten Institutionen - 1995 feiert Salzburg sein 75-Jahr-Jubiläum - hat auch Salzburg das Problem der Erneuerung, auch der Erneuerung des Publikums.

„Die Diskussion um eine notwendige Öffnung der Festspiele gibt es, solange es die Festspiele gibt. Schon Max Reinhardt hat geraten, durch billige Karten all jenen den Zugang zu ermöglichen, die dies wollen. Er hat vom Theater der Fünftausend gesprochen, das haben wir jetzt mit Großem Festspielhaus, Kleinem Festspielhaus und Felsenreitschule erreicht. Besonders im Schauspiel versuchen wir, möglichst viele billige Karten anzubieten. Im Schauspiel gibt es derzeit fast 80.000 Karten (gegenüber früher 30.000) einschließlich aller Randveranstaltungen. Niemand kann jetzt noch sagen, daß er nicht hineinkommt, wenn er etwas davon sehen möchte!” Daß die billigen Karten von heute auch eine Investition in die Festspielbesucher von morgen seien, ist dem Präsidenten zu kalt formuliert.

Aber natürlich gebe es noch immer einen Teil des Publikums, der Wert auf Exklusivität lege. Auch für die Barockoper „L'Incoronazione di Pop-pea” würden innerhalb von nicht ganz vier Wochen insgesamt 15.000 Karten angeboten Die Konzerte mit den Wiener Philharmonikern stünden jeweils zweimal am Programm, immerhin seien das 4.400 Karten.

Was hat es nun mit dem angeblich schleppenden Kartenvorverkauf auf sich? „Wir legen heute doppelt soviel Karten auf wie vor zehn Jahren, nämlich für fünf Wochen 200.000 Stück -nun, dann bleiben eben auch doppelt so viele Restkarten übrig wie seinerzeit. Das ist ja gewollt. Es kann schon sein, daß wir mit diesem Kartenangebot bereits eine Grenze überschritten haben. An Tagen mit acht Veranstaltungen machen wir uns einfach selbst Konkurrenz. Mehr als zwei Veranstaltungen am Tag kann auch der interessierteste Besucher nicht wahrnehmen.” Gerade bei den teuren Karten sei heuer ein Rückgang bei von Firmen für Repräsentationszwecke gekauften Karten zu verzeichnen, wofür die Wirtschaftsrezession verantwortlich sei. Ausgenommen das Mozartjahr 1991 seien heuer mehr Karten als je zuvor verkauft worden.

Dem Vorwurf eines zum Teil weniger attraktiven Programms als früher entgegnet Wiesmüller, daß man nicht immer jene etwa 25 Opern spielen könne, die beim Publikum immer ankommen: „Wer sonst soll eine Monteverdi-Oper in dieser Besetzung auf die Bühne bringen, wenn nicht Salzburg. Wer ,Aus einem Totenhaus' von LeoS Janäcek oder die Franziskus-Oper von Olivier Messiaen?” Von Anfang an seien bei den Festspielen zeitgenössische Werke wichtig gewesen, Uraufführungen von Richard Strauss, von Hugo von Hofmannsthal oder nach dem Zweiten Weltkrieg Gottfried von Einem.

Bewältigbare Schwierigkeiten

Nur de iure ist das von Wiesmüller seit 1991 ausgeübte Präsidentenamt eine Kommandofunktion. In der Praxis werden bei den wöchentlichen Direktoriumssitzungen das ganze Jahr hindurch die Beschlüsse gemeinsam gefällt, wird die Verantwortung gemeinsam getragen: „Wir fassen unsere Beschlüsse einstimmig, manchmal dauert dies etwas länger. Drei Personen mit unterschiedlichen Meinungen suchen dann eben nach einem gemeinsamen Nenner. Die dabei auftretenden Schwierigkeiten scheinen mir bewältigbar.”

Bis zu 4.000Personen seien im Sommer in Salzburg beschäftigt: Schlosser, Tischler und so weiter, mit denen höchstens darüber diskutiert werde, wie die 60-Stunden-Woche zu vermeiden sei. Görard Mortier verstehe es sehr gut, die Leute zu motivieren.

Was wünscht Wiesmüller sich für die Zukunft der Festspiele? „Daß am Ende des zweiten Sommers der neuen Ära der Versuch einer Neuorientierung der Festspiele als geglückt zu bezeichnen ist.”

Und wer sollte dies tun? „Einmal wir selbst, aber vor allem das Publikum, zu messen am Kartenverkauf, am Beifall. Wenn die Leute jubeln, lasse ich mir nicht einreden, daß es ein Mißerfolg war.” Und im übrigen wünsche er sich eine Stabilisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse hier und in den Ländern, die Gäste entsenden, meint er nüchtern.

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