6802238-1971_40_13.jpg
Digital In Arbeit

Moderne im Rückspiegel

19451960198020002020

Man hat zwar viel Prominenz zum 34. Internationalen Festival zeitgenössischer Musik nach Venedig gebeten: Karlheinz Stockhausen, Luigi Dallapiccola, Marius Constant, die Nuova Con- sonanza (Rom), Zubin Mehta mit seinem Israel Philharmonie Orchestra usw. Aber auch diese attraktive Revue täuschte nicht über eines hinweg: daß Venedigs Musikfest, die älteste, einst berühmteste und exklusivste Woche neuer Musik, in einer Krise steckt. Wie Venedigs Biennale überhaupt. Die Symptome sind die gleichen, wie sie bei allen „alt“ gewordenen Festivals auftauchen: eine repräsentative Idee trägt nicht mehr recht, und man gleicht das knappe Budget mit um so größeren Konzessionen an den Publikumsgeschmack aus; einflußreiche Musikverlage wollen ihre „Stars“ lancieren und’ diktieren somit mehr oder minder die Programmgestaltung mit. Ganz zu schweigen von politischen „Überlegungen“ ….

19451960198020002020

Man hat zwar viel Prominenz zum 34. Internationalen Festival zeitgenössischer Musik nach Venedig gebeten: Karlheinz Stockhausen, Luigi Dallapiccola, Marius Constant, die Nuova Con- sonanza (Rom), Zubin Mehta mit seinem Israel Philharmonie Orchestra usw. Aber auch diese attraktive Revue täuschte nicht über eines hinweg: daß Venedigs Musikfest, die älteste, einst berühmteste und exklusivste Woche neuer Musik, in einer Krise steckt. Wie Venedigs Biennale überhaupt. Die Symptome sind die gleichen, wie sie bei allen „alt“ gewordenen Festivals auftauchen: eine repräsentative Idee trägt nicht mehr recht, und man gleicht das knappe Budget mit um so größeren Konzessionen an den Publikumsgeschmack aus; einflußreiche Musikverlage wollen ihre „Stars“ lancieren und’ diktieren somit mehr oder minder die Programmgestaltung mit. Ganz zu schweigen von politischen „Überlegungen“ ….

Werbung
Werbung
Werbung

Schien das Musikfest in Venedig noch vor vier Jahren wegen fast zuviel Mutes der Veranstalter zu Neuem, Experimentellem, Extravagantem, ja mitunter Skandalösem sein Publikum zu vertreiben und nur noch für Kritiker veranstaltet zu werden, so hat man sich diesmal gerade des Publikums in erster Linie versichert. Wiewohl natürlich auch die internationale Kritik nicht fehlte: Musikzar Igor Strawinsky, Italiens Komponistendoyen Luigi Dallapiccola, der alte Kritikaster Erik Satie und Avantgardestar Karlheinz Stockhausen waren die „Zugpferde“, die das große Teatro La Fenice füllen müßten wie die Basilica dei Frari, das Teatro del Ridotto oder der Welt schönste Scuola, die von San Rocco.

Freilich, die erfolgreiche Besucherbilanz ging auf Kosten des Programms: Selten in der Geschichte des Festivals hat man sich derart auf Namen, auf die der großen Alten wie die der schon arrivierten Jungen verlassen. Selten hat man Moderne so sehr durch den Rückspiegel betrachtet.

Sieht nun so die angekündigte Kehrtwendung aus, seit das bisher als „autoritär“ verschriene Veranstaltungsbüro „Biennale di Venezia“ vor kurzem den Beinamen „Demokratische Institution“ erhielt? Sollte etwa hier, im intellektuellen Biennale-Cercle, wie neuerdings fast überall, „Demokratisierung“ so übersetzt werden, daß man’s jetzt allen recht machen muß?

100 Prozent Publikumswirksamkeit wären da quasi die Devise, als Zubin Mehta mit dem Israel Philharmonie Orchestra zur Eröffnung Mahlers „Erste“, Bartöks „Wunderbaren Mandarin“ und Weberns spätromantischen „Sommerwind“ aufführte. Strawinsky, der Venedig bis zuletzt die Treue gehalten hatte und sich hier sogar begraben ließ, war mit 17 Werken, wenn auch unverständlicherweise keinem einzigen seiner großen Orchesterstücke, vertreten; Dallapiccola und Satie widmete man ganze (technisch wenig überzeugende) Soireen… Aber ist die Bilanz eines solchen Festivals nicht blamabel, wenn unter 75 insgesamt aufgeführten größeren Werken nur noch sieben Uraufführungen und elf Erstaufführungen zu hören sind?

Typisch für die neue Haltung der Festivalorganisatoren wie für das Festivalklima war das Konzert Karlheinz Stockhausens. In Venedigs luxuriösem Rahmen werden da neuerdings selbst aggressive Revolutionäre domestiziert, zu Stars gemacht, wie Italiens Publikum sie liebt. Stockhausen, einst politisch überengagierter Vietnamvorkämpfer, Politagitator in den Konzertsälen und -höhlen der ganzen Welt und nun biederer Professor und Nachfolger Bernd Alois Zimmermanns an der Kölner Musikhochschule, hat sich da sittsam eingefügt. Für Spitzengagen verschmäht es der Revoluzzer von einst längst nicht mehr, wie ein Operndirigent im exzellent sitzenden Frack sein Publikum mit Musik zu verwöhnen. Daß er neue Musik so dirigiert, mag man ihm nachsehen. Aber daß er, der am meisten versprechende, wichtigste Komponist der frühen sechziger Jahre, so komponiert …!

Die europäische Erstaufführung seiner „Hymnen“ (in der „integralen Fassung“) in Venedig bestätigte diesen Eindruck erneut: ein Werk von Wagnerischen Ausmaßen, ein senti- mental-opernhafter Riesenschinken in pseudopolitischer Verpackung. Hymnen von, weiß Gott, wie vielen Nationen jodeln in elektronischer Verfremdung, mit Solistenzutaten wohl garniert, durchs Theater. In der sogenannten dritten Region des Werks breitet schließlich ein Riesenorchester unter Stockhausens Leitung das ganze Material noch einmal aus. Die Assoziation in Richtung Mahler-Symphonien, „Götterdämmerung“, der Grande Opera Meyer- beers reißen nicht ab. Zugleich spürt man, wie dieses musikalische Puzzlespiel im Grunde die „niedrigen“ Publikumsinstinkte aktiviert. Was man in einem Quiz erkennen kann, macht Spaß. Also macht auch das Erraten zusammengepantschter Nationalhymnen Spaß. Auch wenn sie noch so verdreht und kunstvoll überschichtet sind, bleibt das trivialste Parteitagsmusik. Stockhausen hat sich sozusagen den Jubel seiner Zuhörer mitkomponiert.

Luigi Dallapiccola widmete die Nuova Consonanza eine glanzvolle Soiree in San Rocco, zu der der Meister selbst als Dirigent zweier Werke gebeten wurde. Es war einer jener bestrickenden Abende, an denen alles kostbar, schön, edel, erlesen ist. Erlesen wie Dallapiccolas klassischebenmäßige Musik der Liriche greche (1942 bis 1945), der Goethe- Lieder (1953), der Michelangelo- Chöre oder der neuesten „Tempus“- Stücke…

Man spürte diese vornehme Ruhe eigentlich in den meisten Konzerten: So auch in dem des Wiener Ensembles „Kontraste“, das unter Günther Theuring ein Chorprogramm mit Werken Arnold Schönbergs und Igor Strawinskys mit erstaunlicher Akkuratesse in Intonation, Artikulation wie im Aussingen der großen Bögen absolvierte. (Unverständlich, daß sich Österreichs „Jeunesse Musicales“ dieses Musterkonzert für ihre Zyklen entgehen lassen!) Und man merkte diese Gemessenheit aber auch bei den Ur- und Erstaufführungen der Avantgarde: Beim ,/Minuziös gearbeiteten „Opus Daleth“ (1971) des linksorientierten jungen Giuseppe Sinpoli (man sollte sich den Namen vormerken), bei Cristobal Halffters „Anillos“, Morton Feldmans „The Viola in my Life“, bei Bėrio und Cage.

Das heißt: schon lange nicht war das Klima dieses Festivals so steril, so „unpolitisch“, so wenig zu Diskussionen herausfordernd. Man wird sich in Venedig fürs nächste Jahr grundlegend Neues einfallen lassen müssen, wenn dieses Fest sich in Hinkunft noch als „zeitgenössisch“ bezeichnen will. Man wird vor allem einmal vieles in Frage stellen und musikalische Moden verunsichern müssen, wenn die Musik hier nicht allmählich zu einem mondänen Schnörkel eines konservativen Gesellschaftslebens werden soll. Zu einem Alibi, einer gefälligen Attitüde.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung