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Beinahe ein slawisches Fest

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Selbst professionelle Konzertbesucher, die an neun Abenden 37 Werke zu prüfen hatten, darunter neun in Uraufführungen, zwei in europäischen, eine in deutschsprachiger und 16 in österreichischen Erstaufführungen — selbst die geplagten Rezensenten hatten am Ende in summa Eindrücke empfangen, die sie des Lebens und ihres Berufes durchaus froh sein ließen. Nicht alle Tage und nicht überall findet der Musikfreund solche Chancen vor, sich zu informieren; vergleichen, messen und ermessen zu können, wohin die Musik unserer Zeit sich dreht und wendet, welche Kapriolen sie schlägt, in welche Sackgassen sie schlittert. Und das ausgerechnet in Graz, nachdem Warschau und Agram immer mehr in Bedrängnis gekommen sind hinsichtlich der Auswahl an Werken und Donaueschingen eher aus Prestigegründen seine Pförtchen noch offenhält!

Das „Musikprotokoll 1968 des österreichischen Rundfunks, Studio Steiermark, wurde dieser Tage mit einem Konzert des Sinfonieorchesters von Radio-Televizija Ljubljana abgeschlossen» Im dicht besetzten Stephaniensaal gruppierten die Gäste aus Laibach um Alban Bergs Violinkonzert drei Werke zeitgenössischer südslawischer Komponisten, von denen just der aus Agram gebürtige Kroate Ivo Malec mit seinen „Mouvements en couleur“ den stärksten Eindruck hinterließ — mit einer Musik, deren Farbigkeit nicht allein im ästhetischen Bewegumgsspiel aufglänzt, sondern auch in echter Erregung, in gebändigter Emotion. Sie gab dem Abend wie der ganzen Veranstaltungsserie einen gehaltvollen Ausklang.

Blickt man zurück auf die Heerschau des Gebotenen, verfestigt sich der Eindruck, mit dem Werk, das dem „Musikprotokoll“ den Auftakt gab, mit György Ligetis 16stimmiger Motette „Lux aeterna“, das Stärkste, am meisten in der Erinnerung Haftende, das Außergewöhnlichste erlebt zu haben. Im allgemeinen bedeutet es für ein Erlebnis keinen Vorteil, an der Spitze einer Reihe von dem Stoff nach gleichartigen Eindrücken zu stehen. Ligetis Motette jedoch war stark genug, das ganze Fest (das nicht als solches deklariert wurde) zu überstrahlen. Sie hatte damit eine Funktion übernommen, die an anderen Abenden (und nur für diese) die Werke der klassischen Moderne erfüllten. Sie setzte einen Maßstab für das, was man mit den Mitteln der neuen Musik sagen kann, so man diese beherrscht und überhaupt etwas zu sagen hat. Und sie ließ am selben Abend ein Wesentlich r’ längeres, doch;’ rnüsi- bälisch’ dünnes Stück weiter hiritef sich, nämlich Luigi Dallapiccolas „Sacra Rappresentazione“ betiteltes, sprechchorreiches Oratorium „Hiob“.

Stark im Gedächtnis haften blieben, hört man zurück und in sich hinein, etliche Werke südslawischer Komponisten. Die Kroaten, mit ihrem Kammerorchester von Radio- Televizija Zagreb angereist, stellten mit den „Formen und Flächen“ von Dübravko Detoni die reizvolle, graphische Ästhetik assoziierende Beschäftigung mit dem Werden und Vergehen von Klangschichten vor — ein Stück Poesie in unserer ausgelaugten Welt. Und Stanko Hor- vats „Taches“ für Klavier und Karn- merorchester, ebenfalls eine Uraufführung, verblüfften durch den nahtlosen und zugleich effektvollen Übergang vom strukturell aufgefächerten Orchesterklang zu den motorisch-musikantischen Passagen des Soloinstruments, den poly- rhythmischen und polytonalen Einwürfen des Klaviers.

In summa vielleicht das beste, im Niveau am meisten ausgeglichen wirkende Konzert spielten die Musiker des Großen Sinfonieorchesters des Tschechoslowakischen Rundfunks Bratislava. Altmeister Eugen Suchons drei Orchesterstücke wiesen dm expressiven Gewand der Spätromantik plastischen Einfall und brillante Verarbeitung nach, Peter Kolman gewinnt seinem „Monu- mento per sei milioni“ im jähen Wechsel von traditionellem Orchesterklang mit Echowirkungen und anderen Nachhallspielen den legitimen Reiz der Überraschung ab und Ivan Parik läßt in seiner „Musik für ein Ballett“ instrumentale Verfremdungseffekte mit althergebrachten Kompositionstechniken eine vergnügliche Ehe eingehen, zu der Silberpapier raschelt und Blech, das sonst zu schmettern hat, die Funktion van Glocken übernimmt; Verschachtelungen durch Imitation und anderes mehr bereiten Anfangsverwirrung angenehmsten Grades. Humor in der Musik ist selten — Parik weiß ihn zu formulieren.

Der vorletzte Abend des „Musikprotokolls“ brachte schließlich noch einen Wahlösterreicher in die vorderste Front: den aus Ostdeutschland gebürtigen, in Graz als Kunstkritiker tätigen Dietmar Polaczek mit einer „Lesabendio“ benannten „musica centralis“ für Bläserquintett. Rhythmischer Impetus und nicht alltäglicher Sinn für das Klangmaterial machen diese dichte, Noten ohne Erbarmen durch den Komponierwolf drehende Formenstudie überaus fesselnd. Der Zuhörer wird sozusagen polyphon mitverarbeitet, erkennt sich aber am Ende wieder.

Im übrigen blieb der österreichische Beitrag, sieht man von der Stückzahl ab, eher bescheiden, was die Zeitgenossen betrifft. Möglicherweise spiegelte sich darin Veranstaltemoblesse oder auch die Hypothek, im Lande bleiben und sich redlich durch die Qual der Wahl schlagen zu müssen. Sieht man von Egon Wellesz, von Ligeti und Polaczek ab, langte kaum etwas wesentlich über den langjährigen Durchschnitt hinaus, gleich, ob es sich um Angerer, David (Thomas Christian), Eder, Einem, Eröd, Haidmayer, Krenek oder Leitermeyer drehte.

Hier wäre, bei allem Respekt vor Gastgeberhöflichkeit, im nächsten Jahr, beim „Musikprotokoll 1969“, doch qualitätvoller auszuwählen (wozu manche der erwähnten Komponisten Chancen geben) oder auf andere Namen zurück- oder vorzugreifen. Sie bieten sich an, gerade weil sich ihre Träger nicht anbiedern. Der in Ehren ergraute Zwölf- töner Hans Erich Apostel zählt ebenso zu ihnen wie Marcel Rubin, die beide weit kurzweiliger schreiben als so manche ihrer jüngeren Kollegen, und von Ligeti zu Haubenstock- Ramati sollte es der Reihe nach auch nicht zu weit sein.

Am Erfolg des ersten „Musik- protokolls“ ist Indes nicht zu zweifeln. Er machte sich nicht zuletzt an der Präsenz eines begeisterungswilligen Publikums bemerkbar, das gekommen war, zu hören, und gehört hatte, um wiederzukommen.

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