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Französische Klaviermusik auf Schallplatten

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Von seinen „Preludes“, die eine neue Aera der Klaviermusik einleiten, sagte D e b u s s y einmal, daß sie zu intim für den Konzertsaal seien. Einige von ihnen sollte man jedenfalls nur „unter vier Augen“ spielen. Aber auch damit hat es seine Schwierigkeiten, denn die bedeutenden, zum Teil ungewöhnlichen Schwierigkeiten, die der Interpret dieser zauberhaften Miniaturen zu meistern hat, schließen sie aus dein Kreis der Hausmusik aus. So erscheint die Schallplatte als die ideale Vermittlerin. Obwohl Debussy die Titel, nicht über, sondern, in Klammern, jeweils ans Ende der einzelnen Stücke gesetzt hat, haben wir in diesen 24 Stücken, deren erste Hälfte 1910 geschrieben wurde, Programmusik im engeren Sinn vor uns. Daher sind auch die kurzen poetischen Kommentare, die der Platte beigegeben sind, nicht unwillkommen. Die meisten dieser Preludes sind, wie gesagt, intime Miniaturen (Delphische Tänzerinnen, Segel, Hügel von Anacapri. Versunkene Kathedrale, Schritte im Schnee, Nebel, Welke Blätter, Ondine, Heidekraut). Aber es gibt auch einige exzentrische und virtuose Nummern, wie die Huldigung an Dickens, das Porträt des Generals Lawine, Spielleute und Feuerwerk. Ins Grob-Naturalistische gleitet der Komponist nur einmal ab („Was der Westwind sah“). Der holländische Pianist Hans H e n k e m a n s, der bereits mit 20 Jahren fast das gesamte pianistische Werk Debussys auswendig spielte, interpretiert die 24 Preludes ohne eigene und eigenwillige Zutaten auf zwei technisch einwandfreien Philips-Langspielplatten (Bd. 1: A 00142, Bd. 2: A 00148).

Als Debussy 1915 seine „Zwölf Etüden“ beendet hatte, schwankte er, ob er sie Couperin oder Chopin widmen solle: beiden verdanke er gleich viel. Jede dieser Etüden verhüllt „unter der Blume der Harmonie“ ein streng technisches Problem. Das bezeugen die Titel: Für die 5 Finger, Sexten, Oktaven, Gegensätzliche Klänge, Arpeg-gien, Akkorde usw. Aber „man fängt Fliegen nicht mit Essig“, sondern lockt sie, wie Debussy es tat, mit süßen Harmonien und betäubenden Farbdüften. — Auch in den Etüden wirkt, wie in den Preludes, eine fast ostasiatisch anmutende Vorliebe für die Miniatur, sowie die gleichfalls an die großen japanischen Meister erinnernde Verbindung von kalligraphischer Linie und unscharfem Rand nebst atmosphärischer Farbgebung. M o-n i q u e Haas, die vom Pariser Conservatoir kommt und uns als Meisterinterpretin der alten Clavecinisten, Bachs und der neuen Franzosen bekannt ist, spielt die „Zwölf Etüden“ vollendet auf einer Langspielplatte der Deutschen Grammophon (Nr. 18064).

Das gesamte Klavierwerk von Maurice Ravel spielt, von seiner Gattin Gaby am zweiten Flügel ergänzt, Robert Casadesus auf drei Philips-Langspielplatten, von denen die ersten zwei (A 01112 und A 01113) bereits in Oesterreich zu haben sind. — Seit 1910 war Casadesus mit Ravel befreundet und hat häufig mit dem Komponisten konzertiert, so besonders im Jahr 1930, auf einer Reise durch mehrere europäische Länder. Das hohe Künstlertum von Casadesus, das wir in unserem Kunstreferat wiederholt hervorgehoben haben, sowie die enge Verbindung mit Ravel verbürgen eine wirklich authentische Interpretation. Ravcls Palette ist kräftiger, farbiger, als die Debussys. Seine Technik ist von Rameau, Couperin und Mozart ebenso inspiriert wie von Tschaikowskij und Liszt. Die erste Platte vereinigt die folgenden Klavierstücke: die bekannte Pavane, zwei anmutig-respektvolle Parodien (ä la maniere de Chabrier et de Borodine), die elegante Sonatine und die auf wirkliche Impressionen zurückgehenden „Spiegelbilder“ (Traurige Vögel, Tal der Glocken, Barke auf dem Ozean usw.). Auf der zweiten Platte finden sich die fünf (später auch für Orchester gesetzten) Miniaturen der Märchensuite „Ma mere l'oie“, die später ebenfalls instrumentierte „Habanera“, ferner „Jeux d'eau“ und „Gaspard de la nuit“: drei romantische Klavierdichtungen von höchster Virtuosität im Stil E. T. A. Hoffmanns („Ondine“. „Der Galgen“ und die nächtliche Spukszene „Scarbo“). Sämtliche Aufnahmen sind durch Farbenreichtum und besonders guten Ton ausgezeichnet.

An die großen Franzosen reihen wir hier noch ihren gelehrigen Schüler, den großen Russen Igor Strawinsky, der mit den vier Sätzen seines „Concerto per due pianoforti solo“ aus dem Jahre 1935 eines seiner gefälligsten und am leichtesten zugänglichen Werke geschaffen hat. Nach einem kräftigen Con moto folgt ein zart ornamentales Nocturno, darnach vier Variationen und als Abschluß ein Präludium mit Fuge. Auf der Rückseite der gleichen Philips-Langspielplatte (Nr. 03100) sind sechs kurze Stücke russischer Komponisten für zwei Klaviere aufgenommen: zwei Tänze von Rimsky-Korssakow, je eines von Babin und Arensky sowie die Zirkuspolka und ein Tango von Strawinsky. Die Interpreten sind zwei bei uns unbekannte Pianisten: Vitja Vronky und Victor Babin, die beide in Rußland geboren wurden, bei Schnabel in Berlin studierten und seit 1937 sehr erfolgreich in Amerika konzertieren.

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