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Ravel mit Cluytens und Casadesus

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Das letzte der heurigen Abonnementkonzerte der Philharmoniker leitete der in Antwerpen geborene, in Frankreich aufgewachsene und wirkende Dirigent Andre Cluytens. Mozarts Haffner-Symphonie und der „Don Juan“ Richard Strauß' bildeten den ersten Teil des Programms, den der unterzeichnete Musikreferent „geschwänzt“ hat, um an dem in jeder Hinsicht einmaligen Volksfest teilzunehmen, das sich während der Unterzeichnung des Staatsvertrages im Garten des Belvedere abspielte. — Aber auch im Großen Musikvereinssaal herrschte festliche Stimmung. Nicht nur bei Bekanntgabe des freudigen Ereignisses durch einen Sprecher der Philharmoniker und während der von dem belgisch-französischen Gast dirigierten Bundeshymne. Ein Fest des Klanges, der zauberischen Kantilenen und des bacchantischen Rhythmus war die Interpretation der 2. Suite aus dem Ballett „Daphnis und Chloe“ von Ravel durch Cluytens und die Philharmoniker. Strawinsky bezeichnete diese Partitur als die beste Ravels und eine der schönsten der französischen Musik überhaupt. Der triumphale Erfolg, den Cluytens schon einmal mit diesem Werk in Wien hatte, wiederholte sich im Konzert der Phifliarmoniker, deren Klangzauberspiele und deren Präzision unvergleichlich waren.

Bei der. szenischen Uraufführung von Ravels Ballettsuite „Ma mere l'oye“ im Pariser „Theätre des Arts“ am 21. Jänner 1912 saß im Orchester vor der Celesta ein blutjunger Musiker, der später einer der besten Interpreten Ravels wurde: Robert Casadesus. Glanzstück und Höhepunkt seines Konzertes unter Heinrich Hollreiser war Ravels letztes und persönlichstes Werk: das für Paul Wittgenstein geschriebene Klavierkonzert für die linke Hand. Es stand zwischen Mozarts Klavierkonzert D-dur, Webers Konzertstück und einem Konzert für zwei Klaviere von Robert Casadesus: Das Programm schien auf den ersten Blick nicht sehr glücklich und fast unausführbar. Aber, siehe da: die pianistische Meisterschaft und die hohen künstlerischen Qualitäten des Solisten machten den Konzertabend kurzweilig und erlebnisreich. Das Spiel von Casadesus besitzt Kraft, Feinheit und Poesie. Als Komponist verleugnet er die französische Schule und das Vorbild Ravels nicht. Dieses Concertino giocoso (mit Gaby Casadesus am zweiten Klavier) ist eigentlich eine sehr gestisch empfundene, mit gutem Formgefühl gebaute, ein wenig motorische Ballett-musik, die dem Publikum im vollbesetzten Großen Konzerthaussaal- gut gefiel. Der Solist und seine Gattin, der Dirigent und die Wiener Symphoniker, wurden lebhaft gefeiert.

Ein zweites Mal hörten wir Robert Casadesus im Mozart-Saal. Hier zeigte sich erneut der feinfühlige, poetische Musiker, der keinen „Stil“ forciert, nichts Fremdes, das heißt Allzupersönliches, in seine Interpretation legt und, gewissermaßen im Zeichen der Gewaltlosigkeit, den charakteristischen Ton jedes Komponisten, jedes einzelnen Werkes zum Klingen bringt. Mozart (Fantasie d-moll und Klaviersonate F-dur, KV. 332) erscheint unter der Hand von Casadesus Schubert näher als dem Rokoko; Schumann und Chopin (Klavierphantasie op. 17 und sechs Etüden) standen in jeder Hinsicht im Zentrum; mit zwei Stücken von Chabrier und F a u r e (Nocturne und Bourre fantastique) erwies sich Casadesus nochmals als Meisterinterpret neuerer französischer Musik.

Unter Karl Münchinger spielte das Stuttgarter K am m e r o r ch e s t e r im überfüllten Mozart-Saal Werke von J. S. Bach: das sechsstimmige R: c e r c a r e aus dem „Musikalischen Opfer“, die 2. Suite in h-moll und die Brandenburg i-schen Konzerte Nr. 3 und Nr. 5. Sämtliche Stücke waren ausgezeichnet studiert und wurden kraftvoll, mit schönem, großem Ton und konsequent durchgehaltenen Grundzeitmaßen, wie sich das bei Bach gehört, vorgetragen. Das Publikum war von den deutschen Gästen sehr begeistert und erzwang — etwas Ungewöhnliches bei einem Orchesterkonzert! — drei Zugaben.

Unsere virtuosen Chöre, ihre Intonationssicherheit, ihre Präzision und ihre Freude an farbigen Klangeffekten scheinen die österreichischen Komponisten (Konzert der OeGZM im Brahms-Saal) zu immer kühneren Versuchen zu inspirieren. Hierbei erweist sich die Miniatur (Kubi-zeks Morgenstern- und Rilke-Vertonungen sowie einzelne Chöre von Waldemar Bloch, Ernst Schandel und J. N. David) kaum weniger schwierig als die im strengeren, sakral-linearen Stil geschriebenen Chöre von Tittel, Heiller und Brandstetter, die die weitaus wertvollsten des Programms waren. Hans Bauernfeind begnügt sich mit einfachen, volksliedhaften Sätzen; eine umfangreiche Klaviersonate von Erwin Scholz begann interessant, erwies sich dann aber doch eher als Lückenbüßer. Zwei sakrale Chorwerke von J. N. David zum Abschluß gaben dem Konzert ein solides Fundament,

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