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Vorspiel zum Debussy-Jahr

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In dem Roman „Die Fabrik“ von Andre Maurois gibt es ein Gespräch, das die Hauptpersonen nach einer Aufführung von Debussys Oper „Pelleas et Melisande“ führen. „Das Seltsame ist“, sagt jemand, „daß diese Musik zwar nicht veraltet ist, allem Anschein zum Trotz aber kein anderes Werk beeinflußt hat. Sie hat nicht Schule gemacht...“ Worauf eine Frau erwidert: „Wie können Sie das behaupten, die ganze moderne Musik stammt von ihm ab!“ — Seit Debussys Tod am 25. März 1918, während des Bombardements von Paris, ist seine Wirkung weltweit geworden. Seine so heftig umstrittenen Werke sind für uns eitel Wohlklang und haben auch in die konservativsten Programme Eingang gefunden. Im Jahre 1962, da die Musikwelt des 10 0. Geburtstages von Debussy gedenkt, werden wir auch in Wien einige, leider nicht allzu viele, seiner Hauptwerke hören. Den Anfang machte Jörg D e m u s mit einem Klavierabend, dem drei weitere folgen sollen und in deren Verlauf fast das gesamte Klavierwerk von Debussy erklin-, gen wird. (Wir vermissen in der Vorankündigung nur einige kleinere Stücke, vor allem aber „Hommage ä Haydn“.)

Schon beim Anhören dieses ersten Klavierabends im Mozart-Saal mag auch denen, die es bisher nicht wußten, klar geworden sein, daß Debussy sowohl „Schule gemacht“ als auch — Zeichen echter, epochaler Wirkung — das ganze Gesicht der neueren Musik entscheidend mitbestimmt hat. Sein Einfluß erstreckt sich nicht nur auf alles, was wir mit dem Terminus „impressionistische Musik“ kennzeichnen, sondern ebenso auf Puccini und Richard Strauss, ja selbst auf den ihm so wesensfremden Max Reger, auf die Meister der Wiener Schule und auf einen Großteil der modernen Unterhaltungsmusik. (Ohne Debussy ist zum Beispiel Gershwins Musik nicht vorstellbar.)

Wir werden im Laufe dieses Debussy-lahres, das bei uns durch ein Konzert der Philharmoniker unter Karajan und die Aufführung von „Pelleas et Melisande“ in der Staatsoper gefeiert wird, auf Einzelheiten noch zurückkommen.

Jörg D e m u s kennt und liebt seinen Debussy, er hat im Programmheft des 1. Klavierabends eine kluge, lesenswerte Einführung geschrieben — und er spielt ihr vorbildlich zart, klangschön und ausdrucksvoll. Der Bogen des ersten Konzerts spannte sich von den beiden „Arabesques“ von 1888 bis zu sechs Preludes aus dem zweiten Heft von 1913. Dazwischen liegen die berühmte „Suite bergamasque“, in deren zweitem Stück, „Clair de lune“, schon der ganze spätere Debussy zu finden ist, eine virtuose „Ta-rantelle styrienne“, drei Stücke aus „Images“ und die gemeinsam mit Paul Badura-Skoda vorgetragene, noch ein wenig nach Salonmusik klingende „Petite Suite“, deren sich, in entsprechendem Arrangement, schon seit vielen Jahren die Salonmusikkapellen bemächtigt haben. Das ist ein ganz natürlicher und ähnlicher Vorgang: so wie man in der Gebrauchsgraphik von heute zahlreiche Elemente und Stileigentümlichkeiten von Leger, Matisse und Kandinsky, ja sogar von Paul Klee und Chagall wahrnehmen kann.

Jörg Demus liegen die lyrisch-zarten, gedämpft-sonoren Stücke Debussys besser als die virtuos-brillanten, wie etwa „La Puerta del vino“ aus den Preludes oder „L'isle joyeuse“. — Jedenfalls ist dem jungen Pianisten für die Initiative zu diesem Zyklus und einem wohlgelungenen ersten Abend herzlich zu danken — was denn das Publikum im vollbesetzten Mozart-Saal auch ausgiebig tat.

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