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Wandlungen des Impressionismus

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Die ganz neue Musik stammt von ihm ab“, läßt Andre Maurois die Heldin eines seiner Romane über Claude Debussy sagen. Und man kann diesem kühnen Wort zustimmen, wenn man auch die Wandlungen mitberücksichtigt, die zahlreiche Komponisten durch den Impressionismus erfahren haben, und die Abwandlungen beachtet, die diese typisch französische Kunstrichtung in der Brechung durch die verschiedenen Nationalstile durchgemacht hat. Debussy, der fast noch unter uns leben könnte, ist in die Reihe der Klassiker aufgerückt, und was vor 40 Jahren noch heftig umkämpft war, ist auch für den konservativen Hörer längst der Sphäre des Diskutablen entrückt. Nur etwa die Hälfte von seinen Werken befindet sich im ständigen Repertoire. Erfreulich ist daher jeder Griff nach weniger Bekanntem. Im 2. Orchesterkonzert des Kammerorchesters hörten wir Dansesacreeetdanseprofane'für Harfe und Streichorchester. Es handelt sich hier um ein Nebenwerk aus der Zeit von .La Mer“, anmutig in der melodischen, besonders in der klanglichen Erfindung, eher etwas konventionell, aber doch in jedem Takt ein echter Debussy: poetisch, sensibel und ein wenig sentimental, aber auf jene feine Art, die nur an die Nerven rührt.

MauriceRavelist mehr als zehn Jahre jünger und stand, gleichstrebend vor allem auf dem Gebiet einer verfeinerten Klaviertechnik, stark unter Debussys Einfluß. Er ist kühler, eleganter, beweglicher und besaß eine Eigenschaft, die Debussy sehr fremd war: Ironie. Sein Verhältnis zum poetischen oder malerischen Vorwurf ist distanzierter, das absolut Musikalische erweist sich als robuster. Alle diese Eigenschaften machen ihn zum Erfolgreicheren, und in der Tat ist ihm ein Meisterwerk gelungen, das in seiner Art kaum zu übertreffen Ist: die Ballettmusik zu .Daph-nis und Chloe“. Wir hörten eine ganz hervorragende Wiedergabe dieser kunst-reidien Partitur, bei der das Atmosphärische und das Virtuose gleichermaßen faszinierend dargestellt wurden. (Herbert von Karajan dirigierte die Philharmoniker.)

Debussy begründete die letzte traditions-verpf lichtete, universalistische Kunstbewegung, und sein Einfluß reicht bis zu den Komponisten der Neuen Welt und bis ins ferne Polen. Ein Orchesterkonzert unter Rudolf Moralt gab hiefür sehr eindringliche Proben. Karol Szymanowskys erste Werke stehen stark im Banne der Franzosen, deren Schüler er war. In der Konzertouvertüre op. 12 ist auch der Einfluß von Richard Strauß unüberhörbar. Einen etwas zwiespältigen Eindruck — modernistisch“, ohne greifbares eigenes Profil — hinterließ das Klavierkonzert von G r a z y n a B a c e w i c z, dessen nicht sehr plastischen Solopart Stanislaw Szpinalski (Warschau) spielte. Eigenartiger und herber ist A n t o n i S z a 1 o w s k 1 (Ouvertüre), der aber von dem jungen Andrzej Panufnik in den Schatten gestellt wird. Die „Tragische Ouvertüre“ des ersten Preisträgers des Chopin-Wettbewerbs für Komposition verarbeitet — dem ersten Satz von Beethovens Fünfter vergleichbar — ein einziges Viernotenthema, zeigt eine eindeutig-kompromißlose stilistische Haltung und kann als eines der bedeutendsten Werke der neuen Orchesterliteratur bezeichnet werden. Panufniks Sprache ist weder universalistiscH noch ein nationaler Dialekt des Impressionismus, sondern harte, unerbittliche Aussage einer neuen Zeit, die durch zwei Weltkriege tiefgehend umgeformt wurde.

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