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Westöstliches und zweimal die Siebente

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Das Jahr 1889 leitete einen wichtigen Prozeß innerhalb der neuen Musik ein: damals hörte Debussy auf der Pariser Weltausstellung Melodien aus Annam und javanische Gamelanmusik. Man weiß, welche Folgen das für die Musik Debussys hatte. Seither sind die Versuche, die europäische Musik durch Elemente der orientalischen zu bereichern, nicht abgerissen. Frankreichs jüngste Komponistenschule, die vor zehn Jahren auf Anregung Olivier Messiaens begründete „Jeune France”, hat die westöstliche Synthese, mehr noch: die Reinte- grierung der verschiedenen Musikdialekte in eine all- gemeinverständliche „musica mundana” auf ihrem Programm. Andre Jolivet (Jahrgang 1905), einer der führenden Komponisten Frankreichs, der bei Edgar Varžse studierte, für den Musik „magisch beschwörender Ausdruck menschlicher Vereinigung” ist, gibt in seinen Werken fesselnde Beispiele dieser Art Musik. Die Titel seiner Werke (Incantations, Danses rituelles, Cosmogonie) illustrieren sein Bekenntnis: „Ich bin immer mehr davon überzeugt, daß die Mission der Musik eine menschliche und religiöse ist.” — Das in einem vom Oesterreich i s c h e n Rundfunk veranstalteten öffentlichen Konzert unter der Leitung von Miltiades C a r i d i s mit Lola Granetman erstaufgeführte Klavierkonzert von Jolivet verzichtet auf ein Programm. Aber diese erregende, hochoriginelle und farbige Musik weiß sich auch so mitzuteilen. Freilich weder in der gewohnten Technik, zu der man heute ja auch schon die Dodekaphonik zählen kann, noch mit dem traditionellen Instrumentarium. Jolivet verwendet eigene Modi, erfindet komplizierte rhythmische Permutationen und setzt ein großes Schlagwerkorchester ein, welches er auf eine so differenzierte und neuartige Weise handhabt, wie wohl kein anderer zeitgenössischer Komponist, und man darf dem Oesterreichischen Rundfunk, der dieses Werk auf UKW übertrug, zu dieser Aufführung gratulieren.

Im Großen Musikvereinssaal leitete Joseph Krips ein außerordentliches Konzert der Wiener Symphoniker. Im Mittelpunkt des Programms stand das von dem jungen russischen Geiger Igor O i s t r a c h gespielte Violinkonzert Beethovens. — Seine fast makellose Technik, der schöne, runde Ton und eine weit über seine Jahre hinausreichende Reife der Auffassung bezeugen einen Geiger von Weltformat. Es gibt in diesem Konzert, und zwar in der Mitte des Larghettos, zwei kritische Stellen, eine für den Solisten und eine für den begleitenden Dirigenten: wo die Zeit gleichsam stillzustehen scheint (das war bei Adolf Busch so, aber man erlebt es selten). Hier zeigten sich die Grenzen des jungen Geigers, während der Dirigent Krips besser abschnitt. — Die Interpretation von Schuberts VII. Symphonie überraschte durch straffe Tempi und gelegentliches „Unterspielen” der lyrischen Stellen. Das Orchester war in bester Form, der Gesamteindruck stark.

Das zweite Philharmonische Abonnementskonzert wurde von Hans Knappertsbusch dirigiert. Schmidts „Variationen über ein Husą r e n l i e d” mit der ergreifend schönen meditativen Einleitung und dem wirkungsvollen Orchestersatz sind seit vielen Jahren ein Glanzstück der Interpretationskunst des lebhaft gefeierten Dirigenten. Den zweiten Teil des Programms bildete Schuberts Siebente, und obwohl die Gesamtdauer gegenüber der Aufführung durch Krips nur einen geringen Unterschied aufwies (50 zu 52 Minuten), war der Gesamteindruck ein völlig anderer: freiere, elastischere Zeitmaße, mehr romantisches Schwelgen als klassische Formgebung, Hervorhebung des Klanglichen usw. Durch die knappe, auf das Allerwesentlichste beschränkte Zeichengebung wurde das Orehester zur eigenen improvisatorischen Mitgestaltung weitgehend herangezogen.

Der Chopin-Abend des jungen polnischen Pianisten Adam Harasiewicz litt ein wenig unter dem stereotypen Programm. Im „jeu perle” des Scherzos cis-moll op. 39 kulminierte der erste Teil.

Das überaus natürliche und poetische Spiel des hoch- begabten jungen Künstlers wurde nach der b-moll- Sonate ebenso gefeiert wie seine verblüffende Virtuosität nach dem das Konzert beschließenden Scherzo h-moll.

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