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Meister und Epigonen des Impressionismus

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Zur Kunstlehre des Impressionismus mag man stehen wie man will: in Claude Debussy bewundern wir einen Meister, der die Musik um eine Reihe unvergänglicher Werke bereichert und einen sehr nachhaltigen Einfluß auf die gesamte Musikentwicklung der letzten 30 Jahre ausgeübt hat. Debussys einzelne Kompositionen sind deshalb so vollkommen, weil Technik, Klanggewand und Formgestalt durchaus dem Gehalt, dem thematischen Material entsprechen. Debussys besondere Vorzüge liegen nicht, wie es dem oberflächlichen Blick scheinen könnte, in seiner farbigen Harmonik und Instrumentierung, sondern vor allem in seinen Themen selbst. Diese kurzen Motive, viele nicht länger als ein Nachtigallenschlag, haben die Anmut, Süße und Selbstverständlichkeit des Naturlauts. Eine akademische „Verarbeitung“ solcher Melismen wäre eine Stillosigkeit. Kaum einer unter den neueren Künstlern kannte genauer als Debussy die Möglichkeiten und Grenzen seiner Begabung, innerhalb derer er sidi mit der größten Anmut und Sicherheit bewegte. Im gesamten Werk Debussys findet sich kaum eine banale Wendung. Nicht etwa deshalb, weil er besonders achtgegeben hätte, sie zu vermeiden, sondern weil Banalität, ebenso wie Derbheit, seinem Wesen völlig fremd war. Daher ist Debussys Technik, die man allgemein auch als die impressionistische Manier bezeichnet, von den anderen, ganz besonderen Qualitäten seines Werkes nicht zu trennen. Wer glaubt, Debussy seine Kunstmittel absehen zu können, dem mag es ergehen wie mit des Kaisers neuen Kleidern. In dieses Klanggewand läßt sich ebensowenig etwas Fremde? kleiden wie in die Form von Bruckner oder Brahms.

Ottorino Respighi (1879—19361 ist schon als Italiener von Debussys spezifi-

scher Klangsensibilität sehr weit entfernt (viel weiter als der deutsche oder der slawische Komponist). Mit der aus dem Augenblick geborenen Impression verbindet er die Idee der symphonischen Dichtung und liefert damit einen weiteren Beweis für die vollkommene Verwirrung und Verwilderung der ästhetischen Begriffe zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ihres glitzernden Klanggewandes entblößt, sind die Themen Respighis oft von erschreckender Banalität (Andere, erfreuliche Qualitäten des Komponisten seien unbestritten.) Wir hörten die symphonische Dichtuftg „Fontane die Roma“ (1916) in einer sehr wirkungsvollen, farbenprächtigen und rhythmisch belebten Aufführung durch die Wiener Symphoniker unter Janos Ferencs i k im Rahmen eines Orchesterkonzerts der Konzerthausgesellschaft.

Auch unter den zeitgenössischen Komponisten wandeln einige, nicht ohne Gefahr auf Debussys Pfaden. Denn der Vergleich mit dem Meister fällt gewöhnlich sehr zu ungunsten des Schülers aus. In William Waltons Violinkonzert h-moll (1939) stehen die disparatesten Stilelemente nebeneinander. Der melodischen Erfindung fehlt die Originalität, dem ganzen Werk das Zwingende der persönlichen Aussage Alles ist sehr wirkungsvoll „gemacht" — und wirkt nicht. Eine technisch brillante Aufführung könnte einiges retten. Aber auch diese Voraussetzung war bei der Aufführung durch die Philharmoniker unter Rudolf Moralt (Violinsolo: Carl Johannis) nicht gegeben. —

Nur Maurice Ravel (1875—1937) vermochte Debussys Stil eigenartig weiter-

zubilden. Seine melodische Erfindung ist plastischer, sein Streben nach Gestaltung und Wirkung bewußter als bei Debussy. Den Farben des modernen symphonischen Orchesters verlieh er eine Leuchtkraft, die bis heute von keinem lebenden Komponisten übertroffen wurde. Freilich gibt es bei Ravel einzelne Stellen, die Debussy nicht geschrieben haben wollte. Doch ist der Gesamteindruck der Ravelschen Orchesterwerke überzeugend, ja hinreißend, weil eine bedeutende, temperamentvolle und eigenwüchsige Künstlerpersönlichkeit hinter dem Werk steht. Wir hörten im 5. Abonnementkonzert der Gesellschaft der Musikfreunde die 2. Suite aus Ravels Ballettmusik „D aphnis und Chloe“. W i 1- helm Furtwängler dirigierte die Wiener Symphoniker. Mit der Aufführung dieses Werkes, dem Handels Concerto grosso D-dur vorausging und dem Tschaikowskys 6. Symphonie folgte, legte Furtwängler einen überzeugenden Beweis seiner Vielseitigkeit und unbegrenzt scheinenden Leistungsfähigkeit, ab. Die Symphoniker sind mit diesem Konzert im Ansehen der Öffentlichkeit einen großen Schritt weitergekommen. Ihre Leistung ließ kaum einen Wunsch offen.

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