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„Die Gespräche der Karmeliterinnen”

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Am vergangenen Samstag fand in der Wiener Staatsoper, in Anwesenheit des Kardinal-Erzbischofs und anderer hoher geistlicher Würdenträger, die österreichische Erstaufführung der „D i a 1 o g u e s des Carmelite s”, Musik von Francis Pou- 1 e n c, statt. — Die Geschichte des Stoffes und des Librettos ist kompliziert, das künstlerische Ergebnis aber einfach, positiv und erfreulich. Beste Namen zeitgenössischer christlicher Dichtung sind damit verknüpft: Gertrud von le Fort schrieb nach historischen Quellen die 1 Novelle „Die Letzte am Schafott”. Hiernach entwarf Pater Bruckberger ein ursprünglich für einen Film gedachtes Szenario, nach dem Georges Bernanos (der in diesen Tagen 71 Jahre alt geworden wäre) sein Stück „Les Dialoguos des Carmėlites” schrieb, das über viele Bühnen ging. Dann kam Francis Poulenc, geboren 1899, der seit dem Jahr 1936 („Litanei der schwarzen Madonna von Rocamadour”) eine lange Reihe geistlicher Werke geschaffen hat und der zu diesem seinem Opus magnum, aų dem er drei Jahre lang gearbeitet hat (1953 bis 1956) von so zuständigen Bernanos-Freunden. wie dem Nachlaßverwalter Albert Bėguin und dem Beichtvater des Dichters, ermutigt wurde.

Es war ein kühnes und schwieriges Unternehmen, zu dem sich der Komponist entschloß, denn ‘dieser ‘ Stoff und dieses Stück — der profanen Liebes- intrige entbehrend, hochgeistig und anspruchsvoll, mehr dialektisch als lyrisch — scheint sich prima vista so ganz und gar nicht für eine Oper zu eignen. Aber wieviel innere Dramatik und Emotion enthält es, welche Spannungen, welche Konflikte — und welche Größe ..

Blanche de la Force, die von Gertrud von le Fort frei erfundene rührend-schwache Heldin, die ihren stolzen Namen erst in ihrer Todesstunde verdient, wurde bereits in der Angst geboren. Aus Lebensangst flieht sie ins Kloster, die Angst vor dem Tod treibt sie wieder in die Welt hinaus, aber . „die Angst macht hier der Gnade Platz — und der Uebertragung der Gnade”, sagt Poulenc. Für sie stirbt die erste Priorin des Carmel, mit der sie bei ihrem Eintritt in den Orden ein Gespräch hat, das ins Zentrum christlicher Problematik und Heilsgewißheit führt, einen ihr „nicht gemäßen Tod” in der Angst (— ein Bernanosscher Gedanke). Dieses Opfer gereicht der kleinen, schwachen Blanche zum Heil, zur Gnade, und sie, die sich den Namen „Soeur Blanche de l’Agonie du Christ” wünscht, besteigt’ im’Tttzfen Bird’TreSflHl ’hS’f fhfen Stern Üas Schafott, singend die letzten Veršzėilen des „Veni Creator Spiritus”: „Deo Patri sit gloria et filio, qui a mortuis surrexis ac Paraclito, in saeculorum saecula.”

Francis Poulenc, der mit Honegger, Milhaud, Auric, Madame Tailleferre und Durey zur Gruppe der „Six” gehörte, hat dieses Werk dem Andenken an seine Mutter sowie Debussy, Monteverdi, Verdi und Mussorgsky gewidmet. Man könnte noch weitere Schutzpatrone seiner Musik anführen, etwa Lully, Massenet, Puccini und den Satie des „Socrate”.

Poulenc’ Musik, eine Synthese von rezitativischem und lyrischem Stil, ist eingängig, aber ohne Banalitäten und wirkungsvoll, ohne je billige Effekte zu suchen. Sie ist vielleicht nicht immer „aus erster Hand”, aber im ganzen ehrlich erfunden und von einer wirklichen Ergriffenheit getragen. Ihre Melodien, Klangfarben und Akkordfolgen prägen sich ein, und der Reichtum der melodischen und orchestralen Erfindung wird von einem sicheren Geschmack gelenkt, wie man ihn — bei einem solchen Sujet — heute wohl nur in Frankreich findet.

1957 fand die erfolgreiche Premiere an der Mailänder „Scala” statt. Inzwischen folgten die Opernhäuser von London, San Francisco, Köln, Rom und Lissabon. In mehreren dieser Städte hat Margarethe W a 11 m a n n Regie geführt, die zusammen mit Georges Wakhewitsch, der die noblen und genau rekonstruierten Bühnenbilder (Compiėgne) und Kostüme schuf, dem Werk an der Wiener Staatsoper zu einer würdigen Aufführung verhalf. Orchester und Ensemble, mit 33 Solopartien und Chören, wurden von Heinrich Hollreiser musikalisch geleitet. Die Hauptrollen, unter denen die Frauenstimmen durchaus dominieren, sangen Irmgard Seefried (als Blanche eine instinktlose Fehlbesetzung), Elisabeth Höngen, Hilde Zadek, Christi Goltz, Anneliese Rothenberger, Rosette Anday, Ivo Zidek und Alfred Poell. Die Premierenbesucher waren vom Werk und der Aufführung sichtlich beeindruckt, und es wäre sehr zu wünschen, daß das Wiener Musikpublikum durch guten Besuch der künftigen Vorstellungen zeigt, daß es ein so ungewöhnliches, den Opernalltag überragendes Werk zu schätzen weiß.

Vor kurzem erschien auch eine Gesamtaufnahme der Oper „Dialogues des Carmėlites” auf drei Langspielplatten der Firma „LA VOIX DE SON MA1TRE”, welche bereits die 13 Interludes enthält, die Poulenc für die Pariser Oper nachkomponiert hat und die auch bei der Wiener Aufführung erklangen. Diese technisch und klanglich hervorragende Aufnahme hat gegenüber jeder szenischen Wiedergabe den Vorteil größerer Wortdeutlichkeit und sorgfältigster Klangaussteuerung („Jedem Sänger sein Mikrophon”). Die Besetzung mit Denise Duval, Denise Scharley, Regine Crespin, Rita Gorr, Liliane Berton, Xavier Depraz und Paul Finel in den Hauptrollen sowie das Orchester und die Chöre der Pariser Oper unter “Pierre Dervaux, vor allem aber die/Wiedergabe in der Originalsprache, verleihen dieser Aufnahme den Charakter des absolut Authentischen. Ein musterhaft gestaltetes Kommentarheft, das der Kassette beiliegt, enthält neben dem vollständigen Text die Photos sämtlicher an dem Werk beteiligten Autoren und Interpreten sowie Handschriftproben von Bernanos und Poulenc sowie Bühnenbilder von der Pariser Aufführung. — Die Gesamtaufnahme (FALP 523—525) wurde mit dem „Grand Prix” 1958 ausgezeichnet und kann bestens empfohlen werden.

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