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Die Gnade der Angst

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In einem gewissen Sinn, sehen Sie, ist die Furcht dennoch eine Tochter Gottes, die in der Karfreitagnacht freigekauft ward. Sie ist nicht schön anzuschauen, gewiß nicht. Die einen verspotten, die anderen verfluchen sie, alle verzichten gerne auf sie . . . Und dennoch, täuschen Sie sich nicht: in jedem Todeskampf steht sie zu Haupt en des Sterbelagers i sie ist für den Menschen Mittlerin zu Gott.

Bernanos: „Die Freude"

Die 16 Karmelitinnen, die am 27. Mai 1906 seliggesprochen wurden, sind historisch. Die Pariser Kommune jagte sie am 14. September 1792 aus dem Kloster, worauf sie fast zwei Jahre lang verstreut in Compiėgne lebten. Am 22. Juni 1794 wurden sie verhaftet, am 17. Juli schritten sie unter dem Gesang des „Laudate Dominum, omnes gentes“ die Stufen zur Guillotine hinauf. Historisch ist auch die Novizenmeisterin, die Mutter Marie de Tlncarnation — sie überlebte die Katastrophe und starb erst 1836. Historisch ist schließlich die Schwester Constance de Saint Denis aus adeligem Blut, die der royalistische Bruder zur Flucht aus dem Kloster bewegen und dem Untergang entreißen wollte — sie aber blieb. Frei erfunden aber ist die Gestalt der Blanche de la Force (Schwester Blanche de Jesus au jardin de l’Agonie), ein Geschöpf der Dichterin Gertrud von Le Fort, die in der Novelle „Die Letzte am Schafott" (1931) Züge der historischen Constance mit denen der Phantasie-Blanche mischte und damit, nur zwei Jahre vor dem Beginn der “deutschen Katastrophe, das existenziellste, politischeste und christlichste Gleichnis für das Jahrhundertphänomen der Angst erfand, die seither nicht nur weite Zonen der Erde (nach dem mitteleuropäischen Unglück die blutgetränkten Schlachtfelder der Schweigenden Kirche in Osteuropa und Asien), sondern auch das innerste Leben des einzelnen Menschen beherrscht. Eineinhalb Jahrzehnte nach der Novelle Gertrud von Le Forts, im Winter 1947/48, schrieb der französische Dichter Georges Bernanos in Tunesien nach einer Synopsis P. Raymond Bruckbergers, die als Drehbuch gedachten „Dialogues des Carmelites"(deutsche Bühnenfassung 1951, „Die begnadete Angst“, darnach auch eine deutsche Fernsehfassung 1960). Die Ar beit Bernanos’ wurde Mitte März 1948 noch vollendet. Unmittelbar darauf wurde der Dichter bettlägerig und starb am 5. Juli 1948 über der Arbeit an einem Leben Jesu. In mehr als zehnjährigen Bemühungen ist es nun P. Bruckberger gelungen, zusammen mit dem Regisseur Philippe Agostini den geplanten Film fertigzustellen, der nunmehr, mit dem, Großen Preis des Internationalen Katholischen Filmbüros (OCIC), in Österreich mit dem Prädikat „Besonders wertvoll", in Deutschland „Wertvoll" ausgezeichnet, unter dem Titel „O pfergang ein er Nonne“ zu uns kommt.

Der Film ist von großem künstlerischem Ernst, geistlich wohlberaten und groß besetzt. Die deutsche Sprachfassung ist ohne Tadel. Von den beiden Hauptrollen ist Pascale Audret als Blanche makellos, die Novizenmeisterin schwebt uns äußerlich' anders vor als mit dem trotzigen Mündchen der Jeanne Moreau. In eindrucks-’ vollen Episoden Alida Valli, Madeleine Renaud, Sophie Grimaldi, Pierre Brasseur und Jean-Louis Barrault. Mit diesem ergreifenden Film ist der Anschluß an die große Tradition des französischen reli-' giösen Films, der in den letzten Jahren unterbrochen war, wiederhergestellt. Mit dem Blick auf die Neue Welle scheint er uns fast so etwas wie ein Sühnekreuzzug.

Filmschau (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Österreich): I a (Zu empfehlen ab 14): „Opfergang einer Nonne"** - II a (Für alle; für Kin-, der gewisse Vorbehalte): „Es grüßen die, Sterne ‘ — III (Für Erwachsene und reifere Jugend): „Agathe, laß das Morden sein“*, „Der Tierfänger“, „Die Verschworenen", „Dreimal Dick und Doof“ — IV (Für Erwachsene): „Das Rätsel der grünen Spinne", „Ein charmanter Hochstapler“ — IV a (Für Erwachsene mit Vorbehalt);- „41 Grad Liebe“, „Mord bei 45 Touren", „Karthago in Flammen“ — IV b (Für Er-; wachsene mit ernstem Vorbehalt): „Die Französin und die Liebe“, „Insel der Sadisten“. — ** = empfehlenswerter Film,' * = sehenswerter Film.

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