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Bernanos und die Revolution

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Die Wiener Aufführung von „Die begnadete Angst“ von G. Bernanos gab zu derart divergenten Kommentaren Anlaß, daß der Laie sich manchmal fragen konnte, ob die verschiedenen Blätter der österreichischen Hauptstadt von einem und demselben Theaterstück sprachen. Noch mehr als in Paris ist die „Begnadete Angst“ zu einer Art „signum cui contradicetur“ geworden: die einen meinen, es sei die Ausgeburt der Phantasie eines Schriftstellers, dessen monarchistische, reaktionäre Auffassung am Ende seines Lebens seine unbedingte Freiheitsliebe unterdrückt habe, die anderen hingegen behaupten, es handle sich um ein rein religiöses Stück, das historische Ereignisse nur als Hintergrund benützt, ohne sie irgendwie zu verurteilen oder zu schmähen, und das einzig und allein auf die innere Entwicklung der menschlichen Seele Wert legt.

Der Verfasser dieses Artikels könnte diesen Zwiespalt ganz gelassen betrachten und ad acta legen; er könnte auch den bekannten Spruch anführen, der manchmal zwischen den Menschen die Scheidelinie bildet: „Für diejenigen, die glauben, ist keine Erklärung nötig; und für diejenigen, die nicht glauben, ist keine Erklärung möglich“. Es ist aber gar nicht seine Absicht, eine Art apologetischen Prozeß zu führen.

Die stark divergierenden Rezensionen haben jedoch ein Problem aufgestellt, dessen Elemente und Lösung die Persönlichkeit von Bernanos selbst und dessen wahre Weltanschauung betreffen, und es ist eine Pflicht der Wahrheit gegenüber, die Ungenauig-keiten, die Irrtümer oder die tendenziösen Urteile aufzuzeigen und als solche anzuklagen, woher immer sie stammen, um Bernanos' ureigenstes Gut, seine Gedankenwelt, respektvoll zu schützen.

Eines sollte von allen, die das Leben und den geistigen Werdegang von Bernanos aufrichtig studiert haben, als unumstritten angenommen werden: daß nämlich der Dichter, als er die Abfassung seines Filmszenarios nach dem bekannten Thema von G. von Le Fort begann, gar nicht die Absicht haben konnte, ein politisches Stück zu verfassen. Die Ber-nanos-Forschung hat an Hand der vor kurzem veröffentlichten Briefe und Tagebücher schon rein kritisch das beweisen können, was der aufmerksame Leser der Romane und der Kampfschriften des verstorbenen Schriftstellers öfter wahrnehmen konnte, daß nämlich die Seele des optimistischen und kampflustigen Franzosen immer, seit seiner Jugend schon, wie in Nacht und Nebel gegen die Todesangst angekämpft hatte, daß Bernanos sich sogar gezwungen sah, mehrere Psychiater aufzusuchen, um sich von seinen Angstzuständen zu befreien (Cf. Esprit, Nr. 12. Dezember 1952). Es ist auch bekannt, daß Bernanos der frei von G. von Le Fort erfundenen Heldin Blandne de La Force schon in zweien seiner Romane eine schwesterliche Figur vorangestellt hatte, Chantal de Cler-gerie, die gleich der jungen Märtyrerin von 1794 den Sieg über ihre Todesangst feiert, und dann bestialisch ermordet wird. „Der Konflikt“, sagte dazu treffend der Rezensent von „Le Temps Modernes“, „der Konflikt liegt nicht zwischen den Revolutionären und den Vertretern der französischen Reaktion. Der Konflikt liegt in Blanche selbst, zwischen Blanche und dem Karmel, zwischen Blanche und dtr Revolution, in ihrem innersten Inneren.“ Der schon vom Tode gezeichnete Schriftsteller hatte also im Winter 1947/48 wirklich andere Sorgen und literarische Ambitionen, als über historische, unabweisliche Tatsachen zu berichten oder zu phantasieren, zu denen er schon lange ausführlich und mit genügendem Nachdruck Stellung genommen hatte.

Bernanos' Einstellung zur französischen

Monarchie und zur Französischen Revolution ist nämlich sonnenklar,»mehr noch, sie ist außerordentlich lehrreich, und der Chronist braucht nur die Ereignisse und den Schriftsteller selbst zu Worte kommen zu lassen, um diese Auffassung klarzulegen, ohne einen Kommentar einzuschalten. — Der Monarchist Bernanos ist wohl bekannt. Schon vor dem ersten Weltkrieg, als er noch an der Pariser Universität studierte, Mitglied der französischen royalistischen Partei „l'Action Franchise“, wird er 1913 Chefredakteur einer monarchistischen Zeitung in Rouen, wo er sich mit Madeleine Talbert d'Arc, die von Jeanne d'Arcs Bruder abstammte, verlobt; er tritt freilich unmittelbar nach dem Krieg aus der Partei Maurras' aus und bricht im Jahre 1932 öffentlich mit diesem. Seiner monarchistischen Ueberzeugung bleibt er aber unverändert treu, und bis zum Ende seines Lebens wird er mit den führenden Mitgliedern der ehemaligen französischen Königsfamilie den Kontakt aufrechterhalten und ihnen mit der direkten Aufrichtigkeit eines echten Edelmannes unverblümte Wahrheiten kredenzen und eindeutige Ratschläge erteilen.

Wer nun aber daraus zu schließen versucht wäre, Bernanos zu einem Ewiggestrigen, einem zeitverkrampften Konservativen zu stempeln, der würde in ziemlich einfältiger Weise einen Irrtum begehen, und das andere, ebenso wesentliche Grundelement der Ber-nanos'schen politischen Auffassung verkennen. Denn dieser Monarchist war ein leidenschaftlicher Anhänger der Revolution und doch dabei tief überzeugt, auf diese Weise sowohl der schicksalhaften Bedeutung der französischen Monarchie zu huldigen und zu dienen, wie dem wahren Geist des Evangeliums treu zu bleiben. Diese Behauptung wird vielleicht den Durchschnittsbürger von heute in Staunen versetzen, er möge nur folgende Texte von Bernanos aufmerksam lesen:

„Meine Leser kennen wohl meine Auffassung über die Französische Revolution und wissen, daß ich dabei einen klaren Unterschied machen muß zwischen der Erhebung von 1789 und der schon übermäßig nationalistischen, zentralisierenden und totalitären Bewegung von 1793. Der Aufruhr von

89 bezeichnet, meiner Ansicht nach, gar nicht den Zusammenbruch des monarchistischen Frankreich, sondern vielmehr seine Entfaltung, ich würde sogar noch besser sagen, sein Explodieren mitten in einer Welt, die schon angesichts der künftigen Tyrannei auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet zu erstarren begann. Eine Revolution kann man nicht ausschließlich nach ihrer Wirkung beurteilen: ihre Mystik muß auch gewertet werden. Die Mystik der Französischen Revolution aber kann in keiner Weise im Sinne des Totalitarismus, des Nazismus oder des Marxismus ausgelegt oder ausgenützt werden. Das ganze reaktionäre Europa im 18. und im 19. Jahrhundert, das Europa von Pitt, Alexander II. und Metternich hatte dies wohl verstanden. Es wurde nicht einmal der Versuch unternommen, der französischen Ideologie der Revolution irgendeine Gegenideologie entgegenzusetzen: man wußte nur zu gut, daß die französische Ideologie der Revolution mit der ganzen abendländischen Tradition zutiefst verknüpft war, daß sie im Christentum selbst wurzelte, während die Gegenrevolution nur ein Interessen- oder Prestigebündnis bildete.“ (Chemin de la Croix des Arnes, S. 407—408.)

Diese Zeilen schrieb Bernanos im Februar 1944: sechs Monate später legte er seine Auffassung noch klarer und eindeutiger dar:

„Die Französische Revolution hätte die Einigung von allen Franzosen herbeiführen sollen, sie hätte es sogar tun können. Nur eine ganz kurze Zeit ist es ihr gelungen. Die Franzosen haben leider diese Einigung bald zerspalten: oder, besser gesagt, sie zerbrach unter ihren Händen. Keiner von ihnen dürfte jedoch die Erinnerung an jene inbrünstige, heldenhafte Menschen- und Seelengemeinschaft vergessen haben, durch die die Feierlichkeiten der .Föderation Nationale' zu einer der außerordentlichsten Kundgebungen der französischen Geschichte geworden sind. Ein Jahrhundert später sollte der letzte Bourbonenkönig, der Comte de Chambord, den Pariser Arbeitern die berühmte Erklärung geben, die die ,Bien-Pensants' der damaligen Zeit so sehr entrüstete und die sie ihm niemals verzeihen sollten: ,Wir alle werden, zusammen mit Ihnen, wann immer Sie es wollen', sprach der große Nachkomme von Heinrich IV., ,die große Bewegung von 1789 wieder in Schwung bringen.“ „Jawohl“, führt Bernanos weiter aus, „dieses großartige Experiment war an keine Partei gebunden: die Parteien aber sind es, die es sabotiert haben, als sie wahrnahmen, daß sie es zugunsten ihrer Ambitionen, ihrer Vorurteile und ihres Hasses nicht ausnützen konnten. Die große Bewegung von 1789 war weder für noch gegen die Monarchie gerichtet und sie hätte im Rahmen selbst der erneuerten und reformierten Monarchie ihre Entwicklung erleben können. Das Experiment von 1789 war weder klerikal noch antiklerikal (ich sage nicht .religiös' noch .antireligiös', denn es war in seinem Wesen tief religiös) und es hätte im Rahmen der französischen Christenheit seinen Verlauf nehmen können ... Das Experiment von 1793 basiert im Gegenteil auf einer ganz entgegengesetzten Tradition, der Tradition der Rechtsgelehrten des 15. Jahrhunderts und der Renaissance, die den Geist des römischen Juridismus verkörperten. Das Experiment von 89 knüpft an den heiligen Ludwig an, das von 93 hingegen an Philipp den Schönen. Die Menschen von 89, mögen sie auch noch so republikanisch eingestellt gewesen sein, hätten sich reibungslos mit Heinrich IV. verstanden, denn sie waren Menschen einer volksverbundenen Monarchie. Die Menschen von 93 aber, obwohl sie Königsmörder waren, gehörten zu der Tradition der absoluten Monarchie, der Tradition von Karl V., Philipp II. und von Ludwig XIV. selbst. Die Menschen von 89 haben keine Nachfolger gehabt: ihre Sache muß wiederaufgenommen werden. Die Menschen von 93 aber, die unbeugsamen Konventler nach dem Muster von Robespierre, haben Söhne, die sie nicht verleugnen können, nämlich die modernen Diktatoren und ihre Mitschuldigen. Kurz und gut: 89 heißt Peguy; 93 heißt Maurras oder Lenin.“ (Ibid. S. 437—438.)

Diese überaus reichhaltigen und zugleich eindeutigen Texte hat Bernanos zur Zeit seines Aufenthaltes in Brasilien veröffentlicht, .als er dank des geographischen Abstandes von dem alten zerwühlten Europa die geschichtliche Optik noch schärfer einzustellen vermochte: sie sind die ausführliche Darlegung einer schon lange zur Reife gekommenen Ueberzeugung. In dem berühmten Essay: „Les grands eimetieres sous la lune“ (1936.'37), erinnert der ungestüme Pamphletist seine Leser an die sozialpolitische Auffassung seiner Jugend. Er schreibt: „Es ist wahr: von 1908 bis 1914 war ich ein „Camelot du Roi“, ein Mitglied der Partei Maurras. Wir waren aber damals keine Rechtskonservativen. Der Kreis für sozialpolitische Studien, den wir gegründet hatten, hieß „Cercle Proudhon“ und trug diese „skandalöse“ Patronanz zur Schau. Wir wollten lieber einer Arbeiterrevolution ihre Chance geben, als die Monarchie durch eine Gesellschaftsschichte kompromittieren, die seit über einem Jahrhundert der uralten Tradition und dem tiefen Sinn unserer Geschichte vollkommen fremd geblieben war...“ (S. 48).

Bernanos unter diesen Umständen- in irgendeine politische Partei eingliedern zu wollen, hieße die Reinheit und die permanente Aktualität seiner geistigen Botschaft total verkennen: Bernanos als den Fahnenträger irgendeiner politischen Ideologie westlicher oder östlicher Prägung hinzustellen, hieße seine zeitlose und doch höchst maßgebende Bedeutungprostituieren. Er selbst hat sich immer zu denen gezählt, die, wie er so anschaulich in „Scandale de la Verite“ (S. 277) sagt, „ein katholisches Gewissen, ein monarchistisches Herz und ein republikanisches Temperament“ haben. Die Ideenwelt von Bernanos, so wie seine Person selbst und die Schriften, die er uns geschenkt hat, entziehen sich jeder engstirnigen Katalogisierung. Bernanos' Einstellung aber zur modernen Welt bildet ein Kapitel für sich, das hier nicht zu besprechen war. Das Endergebnis einer solchen Enquete könnte übrigens zu keinem anderen Schluß führen, alsdietotaleUnabhän-gigkeit des Schriftstellers sämt-lichenlsmen gegenüber unwiderruflich zu beweisen, so wie die verständnisvolle Haltung des Menschen Bernanos allen anderen Menschen gegenüber in hellstes Licht zu rücken. „Ich bin einer von diesen alltäglichen Franzosen“, schrieb er in „Chemin de la Croix des Arnes“, und seine Worte sollen diese wenigen LTexte zum Denken“ abrunden, „die im Laufe der Geschichte immer für unerträglich und unlenkbar gehalten wurden, bis die Philister sie zu .Individualisten' stempelten ... Morgen vielleicht wird man sie als .Anarchisten' brandmarken. Denjenigen, die Gefahr laufen wollen, unabhängig zu denken, habe ich keine Vorschriften zu erteilen: ich versuche nur, einen Weg zu bahnen. Ich bin kein Philosoph, kein Denker, kein Schulmeister: ich bin bloß ein Mensch, wie Sie...“

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