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Die beiden Bernanos

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Zwei Bücher von Georges Bernanos: Die Sonne Satans“ (Neuauflage), Hegner-Bücherei im Summa-Verlag, Ölten, 354 Seiten, und „Vorhut der Christenheit“. Eine Auswahl aus den polemischen Schriften, Verlag L. Schwann, Düsseldorf. 245 Seiten

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Zwei Bücher von Georges Bernanos: Die Sonne Satans“ (Neuauflage), Hegner-Bücherei im Summa-Verlag, Ölten, 354 Seiten, und „Vorhut der Christenheit“. Eine Auswahl aus den polemischen Schriften, Verlag L. Schwann, Düsseldorf. 245 Seiten

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Die beiden Bernanos? Eine merkwürdige Fragestellung. Ist doch die Außergewöhnlichkeit vielleicht das einzige, was an jenem Katholiken, der ein Leben lang gegen die Katholiken polemisierte, der nicht müde wurde, offene Risse und gefährliche Sprünge in der Christenheit zu zeigen und der dabei weder andere noch 6ich selbst je geschont bat, unbestritten und unwidersprochen anerkannt wurde. Natürlich gab es nur einen Georges Bernanos, aber dieser eine Bernanos sprach zwei Sprachen. Große Meisterromane, in denen um letzte Fragen gerungen wird, stammen aus seiner Feder genau so wie zu Flugschriften geordnete Blätter, in denen ein Mensch des 20. Jahrhunderts Klage und Anklage gegen seine Zeit, gegen unsere Zeit, führt. Katholik und Franzose war Bernanos, Dichter und Polemiker. Die Gelegenheit ist günstig, die beiden Bernanos, zwei charakteristische Arbeiten des einen Bernanos kennenzulernen.

Jakob Hegner, dem nicht nur die deutsche Edition, sondern auch die Mitarbeit an der Ubersetzung von Bernanos' Meisterromanen zu danken ist, hat in der gewohnt kultivierten Ausstattung seines Verlages „Die Sonne Satans“ neu aufgelegt. Bernanos frühes Werk liegt wieder in deutscher Sprache vor. Ein Vierzigjähriger veröffentlichte e6 1927, ein Franzose der „Frontgeneration“, der im Frankreich der Ministerstürze und Finanzskandale keine Heimat fand. Trotzdem hatte er für die pseudo-religiösen Heilbringer der Linken und der Rechten taube Ohren und mied jene Pfade, auf die sich — nicht nur in Frankreich — eine Generation locken ließ. Bernanos' Blick ging weiter, besser noch: er sah tiefer. Er erkannte, daß die Welt nicht nur ein Schauplatz der Kämpfe von Faschisten, Kommunisten und Demokraten sei. Die Welt: das ist der Turnierplatz von Gut und Böse. Alle Kämpfe dieser Welt zusammen sind aber nur ein Kinderspiel, verglichen mit dem Ringen, das die wahrhaft Auserwählten — die Heiligen — auszutragen haben, solange sie auf dieser Erde sind, solange sie unter den Gesetzen des Fürsten dieser Welt 6tehen, solange über ihnen „Die Sonne Satans“ scheint. Denn gerade sie sind den Nachstellungen des Teufels besonders ausgesetzt. Eines Teufels, der vielleicht die Aussichtslosigkeit seines Vorhabens ahnt, der aber trotzdem mit Zähnen und Klauen, mit Trug und List bis zur letzten Sekunde um 6eine Beute kämpft, der — wenn es nicht anders geht — selbst in die Gebete der Gerechten einzudringen versteht, der mit die Geißel des Büßeis schwingt und der sich selbßt in die Gewissen einschleicht, um die Menschen in die Irre zu führen. An der Geschichte vom schlichten Leben des Pfarrers von Lumbres — der Pfarrer von Ars ist das große Modell — baut sich die mächtige Vision auf: nicht Pfarrer Donissan, nicht ein Dorf in der Campagne, sondern eine Welt ist es, die „Unter der Sonne Satans“ steht.

1927 war noch Zeit zur Dichtung, zum Gleichnis. Zehn Jahre später traf ein voller Strahl der Sonne Satans die Welt. Er fiel auf Spanien. Er zündete hier. Krieg, Mord, Tenor waren die Folge. Terror der Linken und Terror der Rechten. Unter blutigroten Fahnen und unter solchen, die das Kreuz als Symbol in Anspruch nahmen. Heiß brannte die Sonne Satans. Dem Dichter entfiel die Feder, der Polemiker nahm sie auf. Seit er auf Mallorka die Schüsse der Exekutionspelotons gehört und die brennenden Leichenhaufen bei der Friedhofmauer dieser einmal so stillen Insel gesehen hatte, kannte er nur mehr eine Aufgabe: die Wahrheit, die unverhüllte und unverbogene Wahrheit zu sagen und die Christen an der Elle des Evangeliums zu messen. Nach Spanien kamen Österreich, München, der 1. September 1939. Eine Welt im Krieg, eine Welt in Flammen, Kein Ereignis auf diesem steilen Abweg, das nicht eine neue Lawine von Beschwörungen, Aufrufen, prophetischen Warnungen und persönlichen Bekenntnissen Georges Bernanos, der nun die alte Kunst des politischen Pamphlets erneuerte, ausgelöst hätte. An eine Hoffnung klammerte er sich: an die Resistance, an die Kräfte des Widerstands. Vielleicht würden sie die Wendung bringen. Das Ende des zweiten Weltkrieges nahm auch diese Hoffnung. Da Leben ging weiter, die alten Spiele fanden neue Spieler. Ein letzter Aufschrei des vom Tod bereits Gezeichneten,dann schloß ein Stärkerer jenen Mund, den grimmige Feinde, aber auch allzu ängstliche und vorsichtige Freunde nicht zum Schweigen gebracht hatten.

Noch ist die Sammlung aller Kampfschriften Georges Bernanos' nicht abgeschlossen, nur zwei von ihnen — „Die großen Friedhöfe unter dem Mond“ (Spanien 1937} und „Wider die Roboter“ (1946) — sind ins Deutsche übersetzt. Aus ihnen und den Pamphleten „Die große Furcht der Wohlanständigen, „Wir Franzosen“ (1938) und den „Briefen an die Engländer“ (1940) hat der Schwan n-Verlag in Düsseldorf eine geschickte Auswahl getroffen, die gemeinsam mit dem scharf profilierten Essay Walter Warnachs über Bernanos' Persönlichkeit und Werk als Nachwort mithelfen soll, die deutschsprechende Leserschaft, denen der Name Bernanos wenig oder oft gar nichts 6agt, aufmerksam zu machen auf jenen „leidenschaftlichen Aufwühler des Menschenherzens“.

Zwei Seiten machen ein Blatt. Der Dichter und Polemiker den einen Bernanos.

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