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Dichter und Diener der Freiheit

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BEKNANOS UND DIE MENSCHLICHE FREIHEIT. Von Andre Espli Maestre. Otto-Müller-Verla(, Salibur , 1963. 231 Selten. Preis 18.50 DM.

Vergebens sucht man auf den ersten Seiten den Namen des Übersetzers dieses Buches eines französischen Autors über einen französischen Dichter und Schriftsteller. Kein Zweifel endlich: er hat es auf deutsch geschrieben, in einer höchst sensiblen, nervigen, treffsicheren Sprache, die in keinem Augenblick übersetzt klingt und höchstens vom französischen Geist her noch zu- setzlich den Vorteil kristallklarer Prägnanz und formreiner Eleganz besitzt. Ursprünglich gedacht als ein Kapitel in dem größeren, das gleiche Sprachenwunder bezeugenden Werk „Der Sinn und das Absurde” über Malraux, Camus, Sartre, Claudel und Pėguy (Otto Müller, Salzburg, 1961), hat sich der Stoff zu einem selbständigen Werk ausgewachsen, wie es der vielschichtigen Persönlichkeit von Georges Bernanos und seiner aktuellen Bedeutung entspricht. Die erstaunliche Fülle der Zitate, die umfangreiche Bibliographie, die umsichtig erarbeitete Konkordanz legen von der intensiven Beschäftigung und der intimen Vertrautheit des Verfassers mit seinem nicht leicht zu fassenden Gegenstand ein großartiges Zeugnis ab. Das Buch muß neben dem Werk von Urs von Balthasar wohl als die bedeutendste, tiefstschürfende Arbeit über Barna- nos betrachtet werden, die zudem den Vorzug besitzt, auch der politischen Botschaft des großen Franzosen den ihr eigentümlichen Stellenwert einzuräumen.

Der großangelegte Essay wird leitmotivisch von einem logisch und konsequent durßhgeführten Thema in je verschiedenen Abwandlungen beherrscht. Es wirkt durchaus überzeugend, wenn Espiau die Einheit des so facettenreichen Werkes wie des so widerspruchsvoll scheinenden Charakters von Georges Bernanos in dem Gedanken der Freiheit begründet sieht. Von hier gelingt es ihm denn auch, den Bogen zwischen dem Romanwerk und den polemisch-politischen Schriften zu spannen, die den meisten, die sich mit Bernanos abgeben, auf völlig verschiedenen Ebenen zu liegen scheinen, so daß ihnen der Mensch und Dichter zur , Chimäre wird. Wer das Glück hafte, Ihn peVfcönlieh zu kennen, wird bestätigen, daß in der Tat das Freiheitspathos und das Freiheitsethos das Wesen dieses Mannes bestimmte und die Gestalten seiner Dichtung ebenso beseelte wie den Kampf um den Menschen auf der Bühne der Geschichte inspirierte.

Nach einem problemortenden Vorwort und einer kurzen Biographie dieses Dichters und Dieners der Freiheit sucht Espiau sein Motiv bezeichnenderweise zuerst im Romanwerk und im Kraftfeld jener metaphysischen Anthropologie auf, die gewissermaßen die neue Dimension dieser dichterischen Aussage darstellt. Hier — und nicht, wie man zunächst glauben möchte, im politischen Bereich — ist die Vision der Freiheit als jenes Urelement, das den Menschen eigentlich zum Menschen macht, und zugleich ihr dialektischer Bezug zur Unfreiheit im Dienst des Bösen einerseits und zur Gefährdung in der Angst anderseits behaust. Mit einer subtilen Analyse und einem großen Aufgebot aufschlußreichster Texte wird das an den Hauptgestalten aufgezeigt. Dabei werden auch dem Kenner der Romane aus der Charakterdeutung Handlungszusammenhänge erschlossen, die er so noch nicht erfaßt haben mochte. Merkwürdig freilich, daß die Freiheit als metaphysischmystisches Phänomen und als Bedingung der Möglichkeit von Menschsein überhaupt vor allem an den konkaven Gegenbildern anschaulich gemacht wird und nicht so sehr an den in die Freiheit gelangten Gestalten, wie etwa am Landpfarrer, dem Pfarrer von Torcy, Chantal de Clergerie oder den Heiligen selbst, die Bernanos geliebt und über die er geschrieben hat: Dominikus, Jeanne d’Arc.

Ein besonderes Kabinettstück der Einfühlung, Dar- und Klarstellung ist der Abschnitt über Gertrud von Le Fort und Bernanos, in dem es nicht etwa um Quisquillien über Fragen literarische Eigentums geht, sondern um jenen anderen Schlüsselbegriff in Seele und Werk des Dichters: die Angst.

Der letzte Teil bringt dann den großangelegten Versuch, den politischen Freiheitsbegriff aus dem polemischen Werk herauszuarbeiten. Hier ist ja Bernanos wohl am meisten mißverstanden worden, und er hat auch alles getan und nichts unterlassen, um mißverstanden zu werden, obwohl er sich dann doch immer wieder auf fast kindliche Art zu wundem pflegte, daß man ihn nicht richtig verstand, obwohl er doch weiß Gott laut genug zu reden pflegte… Espiau weist nun überzeugend nach, daß auch hier Bernanos seinem Bild vom Menschen und von der menschlichen Gesellschaft im Raum und Rahmen von christlicher Ehre und christlicher Freiheit unverbrüchlich treu geblieben ist, wenn es ihm auch nicht gelingen konnte, den Anschein der Widersprüchlichkeit je und je zu vermeiden. Die Position der Freiheit, von der er um keinen Preis zu weichen gewillt war, zwang ihn jedoch geradezu, sich an keinen Pakt zu binden, kompromißlos bis zum Starrsinn zu sein und sein Zeugnis abzulegen, mochte es nun willkommen sein oder nicht.

Espiau schreibt vielleicht dem Temperament und der flammenden Leidenschaft manchmal Töne und Ausdrücke zu, die in Wirklichkeit bewußt gewählte, künstlerische Ausdrucksmittel waren; auch hält er sich gelegentlich nicht ganz davon frei, die Gestalten der Dichtung auf ihre politische Überzeugung hin zu befragen, als wären sie nur das Spraohrohr ihres Schöpfers, obwohl er anderseits, sehr mit Recht, gegen Karl Thieme und P. H. Simon diese Methode bedenklich findet. Aber dann unterläßt er es doch nicht, den freilich aufwühlenden Text aus „Monsieur Ouine” zu zitieren

(S. 118), jene grandiose Diatribe des Pfarrers von Fenouille, in der eine religiöse Revolution von apokalyptischen Ausmaßen vorhergesagt wird. Und so wichtig ist ihm diese Stelle, daß er sie noch einmal aufnimmt (S. 151 f.), und zwar höchst merkwürdigerweise in einer von der ersten abweichenden Übersetzung.

Nun ist kein Zweifel, daß zwischen der Dichtung und dem polemischen Schrifttum eine innige Einheit besteht, sonst müßte man bei dem Autor beider Teile des Gesamtoeuvre auf Schizophrenie erkennen. Aber während Bernanos in seiner Dichtung selbst für die Ökonomie des Ganzen durch Spieler und Gegenspieler, denen beiden er etwas von seinem Herzen und seinem Geiste lieh, zu sorgen hatte und zu sorgen wußte — wirklich steht er zugleich auf seiten des Landpfarrers und des Pfarrers von Torcy wie auf Seiten der M. Marie de l’Incamation und der M. Lidoine —, konnte und mußte er in dem Engagement für die Freiheit sein ganzes Gewicht in die eine Waagschale werfen, da die andere durch die Übermacht der Tatsachen schon ohnehin schwer genug war. Das vor allem erklärt wohl seinen unbändigen Extremismus, mit dem dieser fromme Christ und ritterliche Franzose sein Jahrhundert in die Schranken forderte. Das Jahrhundert wird noch zu beweisen haben, ob es dieser Herausforderung durch einen solchen Geist überhaupt würdig war…

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