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Dreimal Bernanos

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Der Betrug. Roman. Von Georges Bernanos. Jakob-Hegner-Verlag, Köln und Olten. 331 Seiten. — Gefährliche Wahrheiten. Gesammelte Aufsätze. Von Georges Bernanos. Verlag „Die Brigg“, Augsburg-Basel. 218 Seiten. — Freiheit — wozu? Ein Pamphlet für die Jugend Europas. Von Georges Bernanos. Verlag „Die Brigg“, Augsburg-Basel. 84 Seiten

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Der Betrug. Roman. Von Georges Bernanos. Jakob-Hegner-Verlag, Köln und Olten. 331 Seiten. — Gefährliche Wahrheiten. Gesammelte Aufsätze. Von Georges Bernanos. Verlag „Die Brigg“, Augsburg-Basel. 218 Seiten. — Freiheit — wozu? Ein Pamphlet für die Jugend Europas. Von Georges Bernanos. Verlag „Die Brigg“, Augsburg-Basel. 84 Seiten

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Die schöne Gesamtausgabe des Romanwerkes von Georges Bernanos durch den Jakob-Hegner-Verlag

— Jahr für Jahr erschienen ein oder zwei Bände — darf im großen und ganzen als abgeschlossen angesehen werden. (Die noch ausstehenden Novellen „Madame d’Angent", „Une Nuit“ und „Dialogue d’Ombres“ erschienen 1954 in der Uebersetzung von Hans Urs von Balthasar im Johannes-Verlag, Einsiedeln.) Mit Recht hat der Verlag anderen Werken dem in den Jahren 1926 bis 1930 entstandenen „Betrug“ zeitlich den Vorzug gegeben. Die schwarze Sonne Satans, unter die Bernanos in jenen Jahren soeben getreten war, lastet beinahe unerträglich über diesem Roman. Kaum, daß ein Strahl von oben dieses bleierne, alles lähmende Dunkel durchbricht. Da ist der „schreckliche Priester“ Cėnabre, der „die Heiligkeit beschreibt, als gäbe es keine Liebe“. Da ist Pernichon, die erbarmungswürdige Karikatur eines katholischen Journalisten, der trotz seiner Aengste und Aengstlichkeit — oder gerade deswegen? — von einer gewissen katholischen Gesellschaft regelrecht „fertiggemacht“ wird („Innerhalb einer Sekunde, und wie zwischen zwei Blitzen, spürte er die tiefe Gleichgültigkeit, die unüberwindliche, ungeheuerliche Gleichgültigkeit der hier versammelten Leute, glatt aus Dummheit, Einbildung oder Verlogenheit, geglättet durch das Leben, wie Uferkiesel durch den Wellenschlag.“ S. 146), da ist der abwegig veranlagte Schriftsteller Guėrou, die skurrile Gestalt eines Clochard, um nur einige Figuren dieses Lemurenreigens zu nennen. Fast kann dagegen das Licht der Liebe, das von dem Abbe Chevance

— einem Pfarrer von Ars — und dem Mädchen Chantal gehütet wird, nicht aufkommen. Ein bedrückendes Buch, das aber dessenungeachtet in einer Gesamtausgabe des Romanwerkes von Bernanos nicht fehlen durfte.

Ein ganz anderer Bernanos — jener Bernanos, der durch seine unerschrockene offene Rede eine junge katholische Generation am Vorabend des zweiten Weltkrieges, während desselben und nachher weit über Frankreich hinaus aufgerüttelt und geistig beeinflußt hat — tritt uns in den anderen beiden Büchern entgegen. Es ist der Bernanos der „gefährlichen Wahrheiten". — „Gefährliche Wahrheiten“ ist auch der Titel einer Sammlung pamphletischer Aufsätze, die Bernanos in den Jahren 1940 bis 1945 aus seinem Exil am Rande des brasilianischen Urwaldes für verschiedene Tageszeitungen und Zeitschriften schrieb. Natürlich steht der Kampf gegen Hitler und die geistige Auseinandersetzung mit Vichy im Vordergrund. Dennoch ist vieles, was Bernanos in jenen Jahren schrieb, noch heute von großem Interesse und die deutsche Auswahl und Herausgabe dieser anscheinend an den Tag gebundenen und vor allem für französische Leser bestimmten Aufsätze ein schönes Verdienst des Augsburger Verlages „Die Brigg“. Gewiß ist viel von De Gaulle und Marschall Pėtain die Rede. Dem Kampf des „Freien Frankreich“ wird das Wort geredet, die Kollaboration in jeder Form demaskiert und abgelehnt. Kapitel also von historischem Interesse. Daneben stehen aber Gedanken und Aufsätze, die ihre Aktualität über ein Jahrzehnt hinweg, über das Grab von Bernanos hinaus, unverändert bewahrt haben. — So die Warnung an die katholische Presse, sich nicht in — wie es Bernanos drastisch nennt — „Altjungfernhä'ndel“ zu verlieren und ihre wahren Aufgaben zu vernachlässigen. Bernanos’ Herzblut vermischt sich mit der Tinte, wenn er schreibt: „Es gibt ein Problem der katholischen Presse. Pius X. und Pius XL haben sie unablässig gefördert. Diese beiden großen Päpste hatten sie als Mittel der Eroberung gedacht, der Eroberung des Geistes, der Herzen und der Seelen. Aber ein gewisser kleinlicher Geist, den der unerschrockene Bischof von Toulouse, Monsignore Saliėges, vor kurzem brandmarkte, wollte sie, häufig erfolglos, zu einem gewöhnlichen halbamtlichen Organ machen, um die Erfolge der mächtigen Gönner übertrieben zu bejubeln. ihre Mißerfolge zu tarnen und ihre Fehler zu decken . .. Wie soll eine solche Presse den Weg zu Leuten finden, die der Kirche fernstehen? Anstatt ihnen die Türe zu öffnen, schlägt man sie ihnen vor der Nase zu“ (S. 161).

Oder die. beiden Worte an Rechts und Links. An Rechts: die Warnung, auch im katholischen Raum den Faschismus, „der in eure Eliten und insbesondere unter dem Namen Integralismus in die kirchlichen Eliten eingedrungen war“, für auf immer überwunden zu halten. „Es wäre höchst unvorsichtig, zu glauben, die Infektion sei ausgeheilt“ (S. 177). Und an die linke Adresse: Eine massive Auseinandersetzung mit der „kommunistischen Inquisition". (Damals kam, was zunächst große Verwunderung erregte, Bernanos dem von Louis Aragon angegriffenen Andre Gide zu Hilfe.)

Bernanos’ im zweiten Weltkrieg ausgesprochene Befürchtung: „Man hat den Krieg verdorben, man wird auch den Frieden verderben“ (S. 197) wird gar bald nach 1945 offen sichtbar. Den in die Heimat zurückgekehrten Mahner hält es nicht am Schreibtisch. Schon mit der Todeskrankheit im Leibe, zieht der allzeit Ruhelose durch die Länder, hält Vorträge und beschwört die Jugend Europas, nicht Abschied von der Freiheit zu nehmen. Die Auseinandersetzung mit dem bekannten Lenin-Wort: „Die F r e‘i h e i t — wozu?” ist das Grundthema eines Vortrages, den Bernanos 1947 in verschiedenen

Orten der Schweiz gehalten hat. Er kann als sein Vermächtnis gelten. Hitler ist tot, die nazistische und faschistische Drohung, die Bernanos jederzeit bekämpft hat, gehört der Vergangenheit an. Eine andere Gefahr liegt über der Welt. Aber Bernanos sieht noch weiter voraus: „Die Drohung, die auf der Welt lastet, ist die einer weltumspannenden, totalitären, nach dem Muster des Konzentrationslagers gebildeten Organisation, die früher oder später unter irgendeinem beliebigen Namen — darauf kommt es ja nicht an! — den freien Menschen zu einer Art Ungeheuer stempelt, zu einer Gefahr für das Kollektiv, zu einem Wesen, dessen Vorhandensein in der zukünftigen Gesellschaft ebenso ungewöhnlich wäre, wie heute das Auftauchen eines Mammuts am Genfer See. Damit will ich keines wegs bloß auf den Kommunismus anspielen. Selbst wenn der Kommunismus morgen von der Bildfläche verschwände, wie das Hitlertum verschwunden ist, so würde die moderne Welt sich trotzdem weiter auf jenes Regime der Staatsallmacht zu entwickeln, nach dem auch die Demokratien zu streben scheinen. Kein vernünftiger Mensch kann sich in dieser Beziehung einer Täuschung hingeben“ (S. 26).

Gegen die Gefahren einer solchen „Maschinenzivilisation" hilft aber nur das Standhalten einzelner freier Menschen. „Standhalten“ ist deswegen das Motto dieser letzten Botschaft. „Standhalten“ war aber auch das Gesetz, nach dem der Polemiker und Zeitkritiker Bernanos Zeit seines Lebens selbst handelte.

Der Romancier Bernanos hat seine deutsche Gesamtausgabe. Es wäre nun Zeit, auch das Lebenswerk des „anderen Bernanos“, das bisher auf verschiedene Verlage verstreut, nur in Bruchstücken und Einzelpublikationen in den deutschen Sprachraum vorgedrungen ist, in einer repräsentativen Zusam- menschau zu vereinigen. Welcher Verlag übernimmt diese Aufgabe?

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