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Bernanos zum fünften Todestag

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Für fast jeden beginnt schon vor dem Tode, und bestenfalls mit ihm, eine lange Periode der Vergessenheit, aus der wenige wiederauftauchen, gewöhnlich als glorreiche Tote. Nur in den seltensten Fällen wächst die Gestalt auch nach dem Tode, und bleibt der Tote Jahre und Jahrzehnte hindurch ein Zeitgenosse, bevor er endlich, aber nicht immer endgültig, zu einem Denkmal erstarrt.

Fünf Jahre sind es her, seit Bernanos am 5. Juli 1948 starb; schon ist seine Gestalt ins Riesenhalte gewachsen, und voraussichtlich wird er noch lange ein unbequemer Zeitgenosse bleiben. Als er starb, hätte es fast niemand gewagt, in ihm den Dostojewsky des Abendlandes zu erkennen, aber allmählich wird es zu einem Gemeinplatz, und bald kommt für ihn wie für Peguy der Tag, an dem es notwendig sein wird, kompromittierende Bewunderer abzuwehren: schon haben um das Erbe die Kämpfe unberufener Diadochen begonnen.

Auch, und dies macht die Wachsamkeit um so notwendiger, hat sich eine langsame, zum Teil irreführende Wandlung der Perspektive vollzogen. Die sogenannten „polemischen“ Schriften haben die Romane gewissermaßen in den Schatten gedrängt, mit der Ausnahme von „Monsieur Ouine“, der übrigens eher als eine Anklageschrift denn als ein Roman gedeutet wird-, vielleicht wird die posthume Aufführung der „Begnadeten Angst“ ein gewisses Gleichgewicht wiederherstellen. Wohl ist diese Verschiebung der Perspektive aus der Tatsache zu erklären, daß die Welt der Bernanos sehen Romane auf theologischen Postulaten zu ruhen scheint: auf der Existenz de; Teufels, auf der ständigen Intervention der Gnade, auf dem übernatürlichen Charaktei des Priestertums, und daher demjenigen scheinbar verschlossen ist, der diese Postulate “ nicht anerkennt oder nie anerkannt hat; während die „polemischen“ Schriften eine Anklage gegen eine Welt sind, die jeder Europäer unserer Zeit aus eigener Erfahrung nur allzu gut kennt. Aber trotz dieses Unterschieds, und obwohl sich Bernanos nach dem „Tagebuch eines Landplarrers“ von der Fiktion fast völlig abwandte, um sich der Zeitsatire immer mehr zuzuwenden (das Drehbuch „Die begnadete Angst“ ist merkwürdigerweise die Bearbeitung eines fremden Themas), sind Romane und Essays nur zwei Ausdrucksweisen einer einzigen Aussage, zwei Frontabschnitte eines einzigen Kampfes.

Sie sind Warnung und Anklage, visionäre Darstellung einer verwaisten Welt, einer Welt von vergreisten Waisenkindern. Ob in seinen Romanen oder in seinen Essays, Bernanos schildert eine Welt, eine Gesellschaft, die der Angst, der Verzweiflung und der Einsamkeit ausgeliefert ist, weil sie keinen Vater mehr hat, und welcher, wenn sie zum Vater nicht heimkehrt, kein anderer Ausweg übrigbleibt, als die Flucht in dii Sünde, in den Haß oder in die Entpersönlichung. Sie hat niemanden, den sie liebe; könnte, noch weiß sie, daß jemand sie trotz allem liebt: das organische Band ist zer rissen und die künstlichen Bande, die sie als Ersatz zu schmieden versucht, könnet nur Ketten sein.

Dies ist gewiß nicht der einzige Schlüssel, wohl aber einer der Hauptschlüssel zw Bernanos'sehen Welt. Bernanos ist vom Gefühl übermannt, daß jeder Mensch ein Kind gewesen und ein unglückliches, einer lieblosen Welt preisgegebenes Kind in sich birgt. Viele der Haupt- oder Nebengestalten seiner Romane sind verwahrloste, frühreife Kinder, in allen lebt die Erinnerung an eine unglückliche, mißglückte Kindheit, lebt eine mißglückte Kindheit weiter; dies gilt aber auch für seine Essays: man nennt sie polemische Schriften, aber Bernanos war kein Polemiker, denn er konnte nicht hassen, weil er das verkümmerte Kind nie vergaß, das im hassenswertesten Gegner, in einem Hitler, einem Maurras, oder im trostlosesten Spießer steckte.

Bernanos sieht im Schicksal der modernen Welt und in jedem einzelnen Schickse eine Wiederholung der Geschichte des verlorenen Sohns. Darum sind fast all sein' Romane, Priesterromane, denn der Priester ist eben Gesandter und Stellvertreter de: göttlichen Vaters, und zugleich ein verlorener Sohn auf verlorenem Posten, denn die Gemeinde stirbt ab und Gott ist lern und schweigt.

Daß in den letzten Jahren, unter dem Einfluß einer qualvollen Krankheit seine massiven Intuitionen zu fixen tdeen erstarrten und sein heiliger Zorn zu einem wilden Drautlosschimpfen entartete, daß aus dem Ankläger ein blinder Verächter und Ver-kenner seiner Zeit wurde, darf nicht übersehen werden, und manche Stellen seine letzten Reden, die jüngst bei Gallimard als der Sammelband „La Liberte, pour quo faire?“ erschienen sind, wären besser unveröffentlicht geblieben. Ab“er bis zum letzte Augenblick hatte der sterbende Löwe Ausbrüche herrlicher Vitalität, und der Rest soi vergessen werden.

Nach dem Erfolg des „Tagebuches eines Landpfarrers“ war seine Karriere gesichert; noch einige Zeit und er wäre reich geworden, die Academie FranQaise wäre ihm offen gestanden; aber er sah die ersten Hinrichtungen des spanischen Bürgerkriegs, und dieser Katholik und Monarchist fürchtete sich nicht, die Verbrechen anzuprangern, die im Namen seines Ideals, im Namen der Tradition mit dem Segen von Bischölen geschahen: er nannte die Verbrechen und die Verbrecher beim Namen und wählte damit die Armut im Exil.

Durch diesen unbestechlichen Mut ist Bernanos mehr als ein Prophet: er ist ein Vorbild, nicht der absoluten Gerechtigkeit, denn er war olt ungerecht, sondern des kompromißlosen Bemühens um die Gerechtigkeit, der wütenden, und doch bescheidenen Liebe zum „süßen Königreich der Erde“. Solche Vorbilder werden gebraucht.

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