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Angst und das Wunder

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Als Priester verkleidet“: So zeigt uns ein Lichtbild von 1900 den zwölfjährigen Georges. Doch der Talar macht ihn nicht devot. Mit ungewöhnlicher Energie und Schönheit des Ausdrucks, in Gebärde und Haltung ein gebändigtes Empör-Talent, blickt der Knabe inquisitorisch nach rechts auf ein unsichtbares Gegenüber. Mehr als drei Jahrzehnte später sehen wir ihn mit sechs Kindern, mit einer Frau von antikischer Harmonie der Gesichtszüge, ihn selbst gestützt auf Krük-ken, nach einem Motorradunfall verkrüppelt für immer.

Dies ist die Situation, in der er an seinem reifsten und wohl auch persönlichsten Werk arbeitet, an dem „Tagebuch eines Landpfar-rers“. Also war der kleine Georges keineswegs bloß als Priester verkleidet gewesen. Es gibt kein literarisches Schaffen, in dem der Priester - vom Abtrünnigen bis zum Heuigen—eine solche zentrale Stellung einnimmt wie beim Romancier Georges Bernanos. Die priesterliche Existenz ist für ihn der unerläßliche Gegenpol, um die Gefallenheit des Menschen, die er mit Erschrecken, ja mit einem bis zur Angstneurose eskalierenden Grauen wahrnimmt, zu bändigen und zu entsühnen.

Nicht nur Formulierungen sind es. die er von Frankreichs berühmtestem Priester im 19. Jahrhundert, dem Pfarrer von Ars (1786 bis 1859), übernimmt. Sein Leben vollendet sich in der Nachfolge jenes Opferpriestertums, das sich selber aufopfert. Trotzdem ist der polemische Elan, den man dem Kind bereits anmerkt, keineswegs erlahmt. Frei von jeglichem Bedürfnis nach Selbstinszenierung sieht er im Publikumserfolg („Die Sonne Satans“, 1927, „Die Freunde“, 1928, „Ein Verbrechen“, 1935) ebensowenig einen Beweis für seine Schriftstellerberufung wie in seinen Kindern das Anrecht auf die Würde des „pater familiae“. Gleich dem alttestamentarischen Propheten ist es ihm nicht genug, Wahrheiten zu sagen. Er stellt sich auch all den Niederlagen und Demütigungen, mit denen eine korrumpierte Welt ihm antwortet.

1937 verläßt Bernanos Spanien, wo er die fruchtbarsten Schaffensjahre verbracht hat, weil ihm die Morde der Falangisten das Atmen in diesem Staat unleidlich gemacht haben. 1939 verläßt er Europa, dessen wachsende Verkommenheit, Grausamkeit und Profitgier ihn anwidern. 1947 verläßt er Paris, in das er auf De Gaulies Einladung zurückgekehrt ist. Sein Gewissen verbietet es ihm, den technokratischen Staat als demokratische Anarchie gutzuheißen. In diesem Exilcharakter seines Lebens spiegelt sich der geschichtliche wie auch der personale Konflikt. Aus Bindung und Zurückweisung - gegeneinander wirkend - resultiert die Angst, eine der zentralen Gewalten in Bernanos Werken, zuletzt in dem Drama „Begnadete Angst“, in dem die vom Revolutionstribunal verurteilte Nonne ihre Angst vor dem Schafott besiegt.

Die vollkommene Selbstüberwindung ist Quell der Freude und des „Wunders“. Die französische Aufklärung und die ungeheuren Folgen der positivistischen Wissenschaft im 19. Jahrhundert haben das Wunder, „des Glaubens liebstes Kind“, zum Stiefkind, ja zum verstoßenen Sohn gemacht. Bernanos' Dichtung setzt sich zum Ziel, das Gefühl für das Ubersinnliche zu wecken, indem sie uns das Natürliche in seiner allseitigen symbolischen Transparenz zeigt. Bernanos moralisiert und pädagogisiert nicht, verfaßt keine gutgemeinten Rezepte. Er läßt uns teilhaben — ja, seine Kunst bringt uns so weit, daß wir an all dem teilnehmen, dem wir uns sonst so gern entziehen: so entsteht eine Art Existenzialis-mus der täglichen Entscheidung für das Nicht-Alltägliche. Denn die beängstigende Teufelsfratze ist die glatte Mittelmäßigkeit. Revolte und Tragik gleichen Verdunklungen und Mondesfinsternissen des himmlischen Lichts. Erst der Gleichmut der Bequemlichkeit wird zur Domäne des Teufels, dessen Reich die Welt heute so sehr oder auch noch viel mehr als je zuvor bedroht.

Häufig beanstanden Religionskritiker den konservativen Charakter der Religionen, die, Welteinverständnis suggerierend, dem einzelnen in ausweglosen Lagen Trost spenden, gleichzeitig aber den Willen zum Widerstand gegen die Greuel der Welt mindern. Georges Bernanos erörtert nicht theologisch, inwiefern das Kreuz die Lösung dieser Antinomie von Einverständnis und Widerstand darstellt. Das literarisch-religiöse Ereignis seines Werks liegt darin, daß er als Autor sich selber einbringt, Empörer und Beter in einer Person ist. Im Zeitalter der Angst (W. H. Auden), in dem wir leben und das uns paradoxerweise am Leben erhält, ist das vierzehnjährige Mädchen Mouchette eine Leitgestalt: Wenn ihre Angst, diese Wünschelrute des Numino-sen, ausschlägt, also begnadet wird, beginnt sie zu singen: „Nicht mein Lied ist unsterblich, sondern das, was ich singe.“

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