Wie kann man eine Gestalt der Geschichte dem Leser möglichst lebendig vor Augen führen? Abgesehen von den formalen Bedingungen des Umfangs und des dokumentarischen Aufwands, unter denen der Autor arbeitet, bleibt doch auch entscheidend, wieviel Imagination er einzubringen für erforderlich oder statthaft hält. Sensationsträchtige Persönlichkeiten sind zumeist in allen Spielarten vom voluminösen historischen Roman bis zur knappen Novelle, von der wissenschaftlichen Biographie bis zum Essay publizistisch präsent. Die Heiligen werden aber meist stiefmütterlich behandelt. Umso bedeutsamer
Für den PEN-Präsidenten und Weltbürger Alexander Giese, bekannt geworden als Autor historischer Romane, ist das Innviertel zur (zweiten) Heimat geworden.
Ein „Brief nach Hause” setzt ein Gegenüber voraus, das behaust ist und dem Schreibenden in seinem Unterwegssein das Gefühl der Geborgenheit vermittelt. Während des Briefschreibens aber wird deutlich, daß es keine andere Behausung geben kann als die Zeit in ihrer Vergänglichkeit, denn just sie liefert das Baumaterial zur Geschichte, sie aber ist das Haus des Lebens. Sobald jedoch die „Geschichte zu Ende ist” und nicht mehr zu erwarten bleibt, büßen wir diese Behausung ein.Mit der „Rückkehr in ein leeres Haus” erreichen diese Meditationen ihren Höhepunkt. Im Assoziationsfeld
Hier kann Europa seiner eigenen Hinrichtung zusehen”, und zwar in der Wassergasse 8 der sudetendeut-schen Kleinstadt Molnitz, in einerFamiliengeschichte, wie sie Ernst Vasovec in seinem Roman „Vor dem Fenster die Nacht” beschrieben hat. Dieser österreichische Romancier, der am 14. Dezember im 77sten Lebensjahr gestorben ist, stammte aus Mähren (Mög-litz) und hatte schon ortsbedingt ein empfindliches Organ für jene östlichen Weltwinkel Europas, die in diesem Jahrhundert so ausgiebig befreit wurden, bis die Befreiten allen Hab und Guts, und zuletzt auch ihrer Identität ledig waren.
„Wir strafen die Sätze mit Vieldeutigkeit”. Diese Formulierung als Beispiel dafür, wie Alfred Kolleritsch es vermag, weitläufige Konflikte unserer Geistesgeschichte als logische und zugleich poetische Aktion darzustellen. Tatsächlich ist es ja diese „Richterlichkeit” und der Strafvollzug durch Ironie oder verbale Deformation, eine Art moderner Sprachfolter, weis in vielen Fällen das sogenannte „Moderne” der Dichtung ausmacht. Davon geht Faszination aus, die umso unwiderstehlicher wird, je reicher, enigmatisch verwobener sich diese strafende Vieldeutigkeit entfaltet. Übersehen
lore tomans buch ist eine art feministisches weltgericht, vor das alle bereiche der zivilisation und kulturgeschichte geladen sind und bei dem tief in der erde geschürft wird.
„Die Ingeborg Teuffenbach ist der Trend”, rühmte sie ein junger Schriftsteller liebevoll. So zu lesen im Nachwort des vorliegenden Gedichtbandes, aus dem wir auch erfahren, daß im Jahre 1938 der Trend ein anderer war und die Autorin dem Führer in Gedichten huldigte. „Wer sie mochte, hat ihr verziehen.” Als ob uns Menschen das Recht zustünde zu lösen, was schicksalhaft gebunden ist. Unser ist das Mitleid und die Furcht gegenüber dem Tragischen. Mitleid mit Irrungen, denen jeder ausgeliefert sein kann, weshalb die Furcht vor uns selbst angebracht ist. Schade, daß doch die Sucht
Vorliegendes Buch mit dem warnenden Untertitel „Fast ein Roman" ist viel mehr, als ein Roman je zu bieten vermag. Sein Thema, Johann Wolfgang von Goethes Sommer- und Rerbstreise 1790 nach Schlesien, weitet sich allmählich von den Landschaftsimpressionen zu einer Epochengeschichte, da Schlesien damals wegweisend für die industrielle Revolution nicht nur Eu-ropas, sondern der ganzen Welt geworden war.In der rasch aufflammenden und unerfüllbar gebliebenen Liebe Goethes zu einer 21jährigen, sehr begüterten schlesischen Aristokratin glost auch bereits unterschwellig der Konflikt
us der Alltagsgeschichte einer geschwängerten jungen .Frau, die von dem Erzeuger indes im Stich gelassen, nun zu entscheiden hat, ob sie ^eit der Fristenlösung ver-len lassen soll, ist in dem t Werk von Matthias Man-„Cilia" eine überzeitliche >arabel geworden. Die junge in ihrer Verzweiflung der nacht des Bösen ausgelie-findet schließlich doch die ihre „Heimsuchung" und ngeborene, gezeugt „von ei-Gespenst", zu bejahen. Sie it die Mutterschaft und mit nen neuen gläubigen Bezug feit an. Dieser Wandel muß tiefer greifen, als Cilia, die ;enschwester des AKH,
In der Anthologie „Der Lerchenturm” ist der Schichtwechsel innerhalb der tschechischen Literatur weitgehend vollzogen. An die Stelle der bisher, etwa durch das Lyrikertreffen in Münster 1984, als führend bezeichneten Lyriker (Florian, Pilar, Skala, Bousek und Sajner) sind andere getreten. Nur eine „eiserne Garde” bleibt, die noch im Prager Poetismus Wurzeln schlagen konnte und welcher die Rolle einer klassischen Moderne zukommt: Viteslav Nezval, Jaroslav Seifert und Vilem Zävada. Dabei kann es Nezval nichts mehr anhaben, daß er nicht nur Aufbauverse, sondern auch eine Ode auf
Ob sie es eingestehen oder vertuschen - in großer Zahl sind die Schreibenden Reflektoren des Gelesenen. Ihr Fünklein entzündet sich an der Reibung mit fremden Texten, sie ähneln also einem „Schwefelhölzchen”. Im Gegensatz dazu stehen Menschen, die von der Fülle der Begegnungen und der sozialen Verflechtungen so vereinnahmt sind, daß sie von den schrift-stellernden Konjunkturen wenig oder gar nicht berührt werden können, und dies umso weniger, als sie - wie bei Gertraud Portisch, einer mehrsprachigen Existenz - die jeweilige Landessprache und die darin verkörperte
In Eva Philippoff, Professorin an der Universität Lille, hat der Styria Verlag die bestmögliche Autorin für eine moderne Rosegger-Biographie gefunden. Wie leicht hätte man sich getan, Rosegger als germanent(d)üm(m)li-chen, patriarchalen Antifeministen und (Proto)Na(r)zisten abzukanzeln.Ohne etwas an den vielen Widersprüchlichkeiten von Roseggers Persönlichkeit zu retuschieren, geht Eva Philippoff den Weg einer objektiven Analyse, deckt die Traumata einer Kindheit, all die schädigenden Behinderungen auf, welche dann kompensiert sein wollten. Wieso aber geriet dies Leben zu einer
Noch während des Zweiten Weltkriegs wurde in der Schweiz ein Stück gespielt, das die Welttragödie nicht unter dem aktuellen politischen, sondern unter einem allgemein anthropologischen Gesichtswinkel sah. In diesem Werk von Jean Girau-doux (1882-1944) „Sodoma und Gomorrha” tritt bei den Geschlechtern an Stelle des Einbe-kenntnisses gemeinsamer Schuld das Lagerdenken eines Parteiwesens, was zur Frontenbildung und zur Unversöhnlichkeit zwischen Männern und Frauen führt.
Ihren größten Erfolg erzielte die Literatur dieses Jahrhunderts als Bürgerschreck. Den „Terreur" der Guillotine und anderer Mordwerkzeuge zu su-blimieren und doch noch schrecklich genug erscheinen zu lassen, daß die bürgerliche Welt gewisse Autoren undWerke nur mit Angst und Bangen zur Kenntnis nimmt, ist zweifellos eine erstaunliche Leistung. Und womit wurde sie vollbracht? Mit Sprachspielen und Verfremdungen! Mit deren Hilfe gelingt es, ein System von Tabus ins Wanken zu bringen. Sie sinddie Pfeiler eines Schongebiets, einer Art von Reservat, wo besonders empfindliche, vom
Ein Werk, das in Siebenstufenschritten von den Grundformen des Denkens über einen Panoramablick, umfassend die Erkenntnisse der Physik und Biologie, zu den Vergesellschaftungen des Lebendigen emporführt, von wo aus Hemmungen, Förderungen und Erfordernisse auf das Ich einwirken, sodaß nun Bausteine aus allen Wissensgebieten für die Welt des Menschen in großer Vollständigkeit vorliegen - ein solches Werk referieren wollen, heißt es ab- oder nachschreiben.
„Ein schlimmes Kind bin ich...", das dann in die Pubertät kommt und zwar „als Filmstar meiner Pubertät, wenn Samenfontänen mir den Kragen meiner Diphtin-Jacke streiften". Solcherart geht die Entwicklung rasant weiter: „Wortblitze schlagen in mich ein... Bin der Größte im Lästern... Bin Spezialist im Lallen".Bei diesem Ich-Bin-Test, den der Autor in seinen gesammelten Gedichten mitliefert, wird sich wohl schwerlich ein exakter gemeinsamer Nenner finden lassen, etwa der „bürgerliche" Name Wolfgang Bauer. In den Gedichten wütet eine Ekstase, welche dem Ausruf:
Eine ungewöhnlich dichte und tiefschürfende Städtemonographie, welche aber auch dem unmittelbaren Gebrauchswert eines üblichen Reiseführers Rechnung trägt. Was für den „Heim-Fahrer" ausschlaggebend ist: die Sammlung wird in ihrer Vielgestaltigkeit dem polynationalen Phänomen Triest gerecht, eine Leistung, die nur - so scheint es - von Österreich ausgehen kann, nachdem es nach 50jähriger sogenannter Herrschaft über Triest zum politischen und ethnischen Außenseiter geworden ist. Aber war es jemals mehr gewesen?Unter den vielen Zitaten sticht Hermann Bahr mit seiner kritischen
Der Sohn einer Aufsteiger- und die Tochter einer Absteiger-Familie begegnen einander. Der Aufsteiger, Abkömmling von Bauern und Handwerkern, nun aber Geheimer Staatsrat, nimmt das Bittgesuch der „Fabriksarbeiterin” für ihren Bruder freundlich entgegen, „nimmt” sich aber als Zuschlag auch das 23jährige Mädchen: So geschehen vermutlich am 12. Juli 1788 zwischen Johann Wolfgang von Goethe und Christiane Vulpius. Das war Ausgangspunkt einer langen Entwicklung von aufflammendem Begehren zur Liebe, von der Liebe zur Güte, von der Güte zum Guten, der Aufopferung, wobei die Frau dem Mann
In dem Theaterstück „Glasnost” des „ostdeutschen” Dramatikers Volker Braun heißt es zum Abschluß: „Als die Mauer fällt / seh ich die Mauer in mir”. In Kurt Adels, des Wiener Germanisten, groß angelegtem und die Fakten sorgfältig dokumentierendem Essay „Die Literatur der DDR - Ein Wintermärchen?” kommen auch die beiden universalen geschichtlichen Kräfte zur Geltung: einerseits die Mauern der Abgrenzung einer geschlossenen Gesellschaft, andererseits die „Glasnost”, das Streben nach Durchsichtigkeit, nach Offenheit aller jener Grenzen, welche Länder und Meere, vor
In den 60er Jahren sind „die Grazer” erfolgreich ausgezogen, um das Publikum ein unterhaltsames Fürchten zu lehren. Durch die subtile Unver-ständlichkeit ihrer Texte haben sie den - durch Kriegs- und Nachkriegszeit sowieso reichlich verunsicherten und schuldbewußten Intellektuellen das Gruseln ob der eigenen Dummheit beigebracht. Nur die „Sekundärliteratur” der Universitäten konnte hier den nötigen Nachhilfeunterricht gewähren: So kam es ähnlich wie bei den Mitgliedern von Schriftstellerverbänden und Klubs, diesen Hilfsund Lobgemeinschaften, zu einem Kurzschluß des Ruhms
Erinnere ich mich recht, so war es Ilse Leitenberger, welche Erik G. Wickenburg einen „Spaziergänger der Literatur” genannt hat. Diese gleichsam mit dem Spazierstock launig in die Praterluft gedrehte Wortpirouette wird aber, je länger man hinschaut, zu einem Geheimzeichen, ja zum Schlüsselwort eines Zaubers.
Wahnsinn zu simulieren ist ein seit der griechischen Tragodie immer wieder aufgegriffenes Thema. Aber den wirklich Geisteskranken, wenn er „verstummt in seiner Qual”, zum Sprechen und Dichten zu bringen, darin liegt das Verdienst des Psychiaters Leo Navratil. In seiner Griindung „Haus der Kiinste” in Gugging modi-fiziert er die Idee, welcher ehemals in den Heiligtumern des Asklepios wie zum Beispiel in Epidauros gehuldigt wurde: Kunst als Therapie.Die Arbeiten seines Patienten Ernst Herbeck (geboren 1920 in Stockerau) liegen nun nach dessen Tod (1991) in einem Sammelband vor. Gleichsam
Probieren wir's einmal - auch auf die Gefahr hin, uns in einem schwierigen Unterfangen zu überfordern und daher Dummheiten am laufenden Band zu begehen - definieren wir Dummheit als eine Immunitätsschwäche gegenüber den mannigfaltigen Bazillen, denen wir durch das U-Bahn ähnliche Gedrängel auf dem Globus ausgeliefert sind. Bevölkerungsexplosion und Verstädterung, winterlicher Smog und sommerliche Abgase vergrößern die Masse an bösen Miasmen. Daher wäre eine erhöhte Immunität erforderlich, just jene Immunität, welche durch die Großstadt geschwächt wird. In der Vereinzelung als
In seinen Jugenderinnerungen unternimmt Albert Janetschek das Wagnis, auch die pränatalen Bedingungen seines Werdens in ihrer absurden Tragik aufzudecken. Daß sich dabei Wahrhaftigkeit und Pietät nicht ausschließen, ist die ungewöhnliche charakterliche und stilistische Leistung des Autors.Er schreckt nicht davor zurück, das „Muß der Menschwerdung" als Erbfluch eines Ehedramas zum Ausgangspunkt seines „Erkenne dich selbst" zu machen. Und doch liegt über diesen ergreifenden Miniaturen vom Scheitern eines „Nicht-Wohlgeborenen" ein geheimer, tröstlicher und stiller
„Verlassen wir das weißflimmernde Feld der Lüge", ist eine der tiefgreifenden Forderungen, die Peter Paul Wiplinger auch an sich selbst und seine Dichtung stellt. Und schon deshalb verdient sie, allgemein beachtet und gewürdigt zu werden.Als gründlicher Kenner und Interpret der Künste weiß er natürlich, daß auf diesem „weißflimmernden Feld", auf dieser Abweichung von der „Wirklichkeit des Menschen", um die es ihm in seinen Gedichten geht, nicht nur die Lüge, sondern auch die Phantasie, die Metapher, die Utopien, Geschöpfe der produktiven Sehnsucht nach anderen
Nicht nur verlegerisch, auch was die wissenschaftliche Aufarbeitung anlangt, wurde das österreichische Phänomen Robert Musil „von der Flanke her" aufgerollt, von Hamburg (Rowohlt-Verlag) und von dem ersten Herausgeber des Hauptwerkes nach dem Zweiten Weltkrieg, dem Rheinländer Adolf Frise. Und inso-ferne war es eine typische Kreisky-Leistung, die französische Germanistin Marie-Louise Roth als Leiterin einer Internationalen Musilgesell-schaft mit Sitz an der Universität des Saarlandes gewonnen zu haben. Die Brillanz von Roths Interpretationsleistung in französischen Büchern hat
Lohnt es sich, die Mentalitätsgeschichte von Sprachgemeinschaften und Völkern noch ernst zu nehmen, wo doch Supermächte mit Erdöl, Uranisotopen und Computern unsere Geschicke global bestimmen? Aber diese Frage steht auf derselben Qualitätsstufe wie diejenige, ob eine Blinddarmentzündung ernst zu nehmen sei.In seinem ebenso witzigen wie abgründigen Buch spürt Georg Kövary den anziehenden und einander abstoßenden Kräften seiner beiden Seelen nach, der ungarischen und der österreichischen. In bald unbeschwert launiger, aber auch tragisch-komischer Weise erschließt sich dem
Wenn die Literatur immer mehr dem Kampfgeschehen in einer Arena gleicht, darf es nicht wunder nehmen, daß ein bedeutender und literaturgeschichtlich bereits seit Jahrzehnten anerkannter Autor wie Michael Gut-tenbrunner die Gedichte einer Lebensdekade gewissermaßen unter Ausschluß dessen zirkulieren läßt, was sich für Öffentlichkeit hält oder dafür gehalten wird. So weit hat man es also gebracht: Man wird es nicht leicht haben, in den Besitz dieses Gedichtbandes zu kommen, welcher zu dem Bedeutendsten gehört, was die österreichische Literatur seit 1945 aufzuweisen hat.Hier tritt uns
Ein spannungsreiches Empfindungsleben im „Quantensprung von Astarte zur Marlene, von Kassandra zu Marilyn“ ist das Quellgebiet dieses reichen lyrischen Ertrages. So divergierend die Namen und Personen, denen manche Gedichte nachspüren (von Herbert von Karajan bis Bruno Kreisky und Thomas Bernhard), so eindeutig ist doch die Zielrichtung der Autorin: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder...“ Dieses Kindhafte wieder zu erlangen, obwohl man weiß: „Leid, dein Name ist Mensch“, dies vermag nur ein geistiger Entschlußund letztmögliche Reife.Solchen Aufbruch in die „zweite
„Emigration" ist ein durch die Brutalität der Weltgeschichte ins Tragische verschärfter Konfliktstoff, der aber dem menschlichen Dasein an sich anhaftet. Überall ereignen sich Odysseen, „Heimsuchungen" und ge- oder mißglückte Ortungen im Hier und Jetzt.Es gehört zu den Besonderheiten des Menschen und Künstlers Friedrich Bergammer, der Wien 1939 verlassen hat und es mit New York fortan vertauschen mußte, daß er seine Emigration in den Teil einer geistigen Odyssee zu verwandeln vermochte. Er blieb in New York, der ihm fremden Stadt „auf der Suche nach der verlorenen
Auch zu den Dichtem wurde gesprochen: „Ihr seid das Salz der Erde.“ Aber welches Salz, bitte? Der Ex-Chemiker und Würdigungspreisträger für Literatur Andreas Okopenko nimmt Bittersalz. Also ein Abführmittel, das ganz „locker“ macht, so daß in seinen „Lockergedichten“ alle Gedankenschlacken, seien sie nun nur unverdaut oder unverdaulich, sehr flott und lakonisch zumeist in Zweizeilern abgehen: „Konsens ist Nonsense“, sagt der Pessimist. Und auch der Kunstgeschichtler kapituliert im Streitgespräch: „Alles, was du sagst, das stimmt. Nicht umsonst heißt Schiele
Auch dies eine Leistung der EG: Zum hundertsten Geburtstag von Juan Ramön Jimenez (1881 -1956) hat eine Kommission der EG zehn poetische Fragmente des spanischen Nobelpreisträgers herausgebracht. Es ist ja ein altbekanntes Problem, daß just dort, wo sich der Nationalcharakter am unmittelbarsten und von soziologischen Faktoren zumeist ungebrochen aussprechen kann, nämlich in der Lyrik, wir auf die größten Schwierigkeiten stoßen, diese Wesenszeugnisse in überzeugender und ungeschmälerter Form in andere Sprachen zu übertragen.Im deutschen Sprachbereich war es vor allem der
Wie ist die „poetische Poesie" zu erreichen, fragt der niederländische, bisher durch Romane und Reisebücher auch in Deutschland bekannte Autor Cees Nooteboom. In einem programmatischen Eröffnungsgedicht heißt es, „Gedichte gleichen Steinen, die glänzen und schmerzen." Assoziativ nicht weit davon entfernt sind dann die musealen Waffenkammern, deren mit Elfenbein und kostbarer Ornamentik geschmückte Marterwerkzeuge uns von der Überkreuzung zweier menschlicher (oder unmenschlicher) Bedürfnisse überzeugen: zu schmücken und zu töten. „Der Tod lüpfte den Hut. So gehört
Wer dächte je daran, Stefan Zweigs Gedichtbände als jüdische Lyrik einzustufen? Schlimmstenfalls ein Antisemit der dreißiger Jahre. Und nun am Ende des Jahrhunderts eine Anthologie „Jüdische Lyrik aus Österreich"? Wie doch die Aura der Namen deren Wesen zu verändern vermag!Die Herausgeber Peter Daniel, Johannes Diethart und Herbert Kuhner hätten keinen besseren Untertitel für diese Sammlung von Gedichten finden können, in denen immer wieder die Dreizahl der Schicksalsmotive jüdischer Geschichte anklingen: Hiobs Hader mit Gott, wie etwa bei David Axmann, die Klage des
In Brigitte Pixners Gedichtband findet sich nichts von Selbstbespiege-lung, von intellektueller Koketterie und Wehleidigkeit, von arrogantem Pathos der Negation, welche sonst häufig die Substanz der Lyrik liefert.Was Brigitte Pixner zur künstlerischen Gestaltung veranlaßt, ist ihre Solidarität mit der Natur- und Menschenwelt. Viel stärker als in der „Männerlyrik" zeigt sich hier die Bereitschaft zum Überstieg ins Überindividuelle. Das Natürliche der Geschlechtlichkeit verschmilzt mit dem Allgemein-Menschlichen des Geistes und der Kultur. In solche Solidarität der persönlichen
Hier ist ein Buch, an dem Herz und Mund mitgeschrieben haben: ein gesprochenes Buch, dessen Poesie mit der Quellfrische eines ungetrübten Gewässers dahinperlt, während doch zur modischen Praxis der Poeten der geheimnisumwitterte Aggregatzustand des Nebels gehört, eines Zwitters aus Gas und schwebender Feuchtigkeit, die es nicht einmal zu einem anständigen Landregen bringt.Christiane Singer, die Französin aus Marseille, die „gelernte Österreicherin", schreibt eine mediterrane Prosa voller Strahlkraft. Ihr Gegenstand ist nicht mehr und nicht weniger als das Leben in seiner
Elfriede Jelinek gehört zu jenen Individuen, welche sehr früh von Urkon-flikten des Daseins in solchem Maße erfaßt worden sind, daß ihnen ihre Kindheit - wie sie selber sagt - dämo-nisiert erscheint. Es ist eben nicht zu leugnen, daß Menschen in ihrem staat-1 ichen Prokrustesbett - dem Garanten ihrer Geborgenheit - oft um Hand, Kopf und Fuß gebracht werden. In der Praxis der Geschichte wird die Freiheit der einen oft mit der Gewalt an den anderen bezahlt.Zu einer ganz eigenartigen Mischkulanz von unerläßlicher Notwendigkeit und mutwilliger Gewalt ist die Ökonomie geworden. In
Die Lyrik des 72jährigen Innsbrucker Arztes Walter Schlorhaufer folgt dem zeitgemäßen Trend. In synästhetisch-semantischer Stell vertreung der Wirk-lichkeit erreicht die Sprache einen Schwebezustand zwischen Erinnern und Vergessen, zwischen vertraulicher Annäherung und verfremdender Abweisung, zwischen Aussage und deren Widerrufung. Wie die Erfolge Ingeborg Bachmanns und Paul Celans in dieser Stillage bewiesen haben, bedarf die technokratische Welt mit ihrer Verpflichtung, sich als verständlich und durchschaubar auszugeben auch einer Gegenwelt, welche die Freiheit und das Glück des
Wer sich künftig von der österreichischen Literatur in der Ersten und Zweiten Republik ein Bild machen will, wird Hermann Hakeis Aufzeichnungen nicht übergehen dürfen. Die tausend Einwände - auf jeder Seite des 400 Seiten-Buches werden sich bestimmt zwei finden lassen, welche von jedem wachsamen Leser gegen den Text erhoben werden könnten - summieren sich aber nicht zu einem Argument gegen die Bedeutung des Ganzen.
Ohne Wortverrenkungen - originell, ohne Ballungen - dicht, ohne extravagante Sensationen - fesselnd, ohne die Sprache zu komplizieren - komplizierte Empfindung, ohne große Gesten - eindringliche Wärme, ohne Indiskretion - leidenschaftliche Liebe: Das sind einige Abgrenzungen, welche verdeutlichen sollen, was für ein weites Gebiet von Ilse Brems Lyrik umworben und umkreist wird.Zur gleichsam unabdingbaren Berufskrankheit des Künstlers, insbesondere des Lyrikers, gehört ja seine Anfälligkeit für Neurosen. Sie zählt zu seinen Stimulantien, aber zugleich auch zu seiner Bedrohung. Mit einem
Die Gegenkräfte sind ja allenthalben spürbar geworden: Gegenüber der Vereinheitlichung der Welt mit Hilfe von Coca Cola, dem Kaliber der Waffen und anderen Industrienormen pochen Europas Provinzen auf das Recht der Differenzierung und der Individuation. Dazu gehört die Erinnerung und die Rückführung ins Geschichtliche.Dem „Schatzhaus Österreich", wo vorallem das Auge spricht, stellt Alois Vogel „eine Passion" gegenüber. Ein nordöstliches Triptychon der nieder-österreichischen Landschaft. Es sind Gedichte, in denen auch das Verschüttete und Verdrängte aus Jahrhunderten
Ist dies ein Alterswerk oder eine Dichtung über das Alter, geschrieben im Vollbesitz aller jener Ausdrucksmittel, die Heinz Pototschnig in den vorausgegangenen sechs Bänden den Rang eines der bedeutendsten Lyriker Österreichs gesichert haben? Oder vielleicht gar ein Alterswerk über das Alter, insofern als die Letzten Dinge, von denen dieser Band handelt, auch zur letztmöglichen Herausforderung an den Dichter werden?Die dekadische Gliederung des Ganzen, der formale Kontrapost des ersten und zehnten Abschnitts und das Herzstück, das genau in der Mitte, in den fünften Abschnitt zu liegen
An dem Schriftsteller und Lyriker Georg Bydlinkski (geboren 1956) ist vieles erstaunlich. Der gemeinsame Nenner seiner Ungewöhnlichkeiten ist vielleicht in dem zu suchen, was er selber als „gezügelten Ausbruch" beschreibt. Gezügelt insofern, als ihm, dem Vater einer Großfamilie, die verantwortungsvolle Betreuungsarbeit in und an ihr zum Quell poetischer Motive zu werden vermag. Familie bedeutet hier nicht ein freu-dianisches Spannungsfeld. Im Gedicht wird sie zum generationsübergreifen-den Organ, um Wirklichkeit pluralistisch wahrzunehmen, was dem Soli-tär häufig versagt bleiben
Der leib-seelische Zusammenhang, den jeder einzelne für sich und vor anderen zwar darstellt, den er aber niemals ganz durchschaut - wird dieses psycho-physische Problem durch die Verschmelzung mit einem Partner bewältigt? Oder wird es im Gegenteil verdoppelt, ja vielleicht sogar potenziert? Jeder Versuch, dieses Lebensmysterium mit Worten irgendwie zu umschreiben oder der Vernunftspähre doch wenigstens näher zu bringen, ist fesselnd.Unter solchem Aspekt kann ein Lyrikband wie dieser Erstling von Ursula Hössl nicht minder spannend sein als ein Kriminalroman. Wortgebilde wie
Eine Anthologie aus „der Schatzkammer der US-amerikanischen Poesie" verheißt uns der Umschlag des Buches. Bei der Durchsicht stellt sich dann heraus, daß in dieser Schatzkammer die Küchenschaben (siehe Edwin Field) beherzte und unausrottbare Gemeinschaften errichten, die Ausgüsse mit ihren Tellern als Spucknapf dienen und zuweilen sogar noch andere sanitäre Funktionen übernehmen müssen. Diese hygienischen Schlagschatten könnten durch viele Hinweise auf moralisch dunkle Flek-ken ergänzt werden. So etwa wenn man den dunklen Bruder „zum Essen in die Küche schickte".All das
In der Umkehr der Tasso-Stelle „... und wenn der Mensch verstummt in seinerQual, gab mirein Gott, zu sagen, was ich leide ..." gehört es zum Gemeinplatz der modernen Poetolo-gie, daß derjenige zu den Auserwählten gehört, dem es in Anbetracht der Menschheitsmisere die Sprache oder die Red' verschlägt. Inmitten einer mündig gewordenen und heftig plappernden Publizität erscheint dieses poetische Verstummen ebenso natürlich-verständlich wie parodistisch-tragisch.Mit dieser „verschlagenen Sprache", die oftmals so schmerzhaft und biologisch belastend wirkt wie verschlagene
Mit der Fortschrittsskepsis geht in den Künsten auch die Bestrebung / einher, Archaisches mit dem Intellektuellen zu verbinden. Wenn schon nichts besseres, sondern immer wieder nur anderes entsteht, warum sollen wir auf das andere von ehemals, auf frühere Stufen der Menschheitsgeschichte verzichten? Diese allgemeine Tendenz findet in Albanien besondere geschichtliche Antriebskräfte.In der vorliegenden Auswahl aus acht Gedichtbänden des Autors Ali Podrimja aus dem Kosowo (geboren 1942) verschmelzen Motive des Märchens, der Mythen und ballades-ker archaischer Figuren mit den bestürzenden
Unlängst hat die Marktgemeinde Perchtoldsdorf in einem Festakt das lyrische Lebenswerk des 95jährigen ehemaligen Archivars des Wiener Künstlerhauses Walther Maria Neu-wirth vorgestellt. In diesem siebenstufigen Gedichtzyklus heißt es unter anderem: „Entäffen wir uns, noch sind wir redende Tiere".In dem fünften Band der mit sieben Bänden projektierten Gesamtausgabe von Paul Valery finden wir den Aphorismus: „Die Eindrücke eines Affen wären von großem literarischen Wert - heutzutage. Und wenn sie der Affe unter einem Menschennamen veröffentlicht, wäre er ein Genie". Es
Jede Begegnung mit dem Werk Silvia Plaths, der amerikanischen Dichterin, die in London 1963 noch nicht 31 jährig ihrem Leben ein Ende gesetzt hat, wird für den Leser zu einem aufwühlenden Ereignis, weil es ihn zwingt, seinem eigenen Schicksal Rede und Antwort zu stehen, denn was immer Silvia Plath behandelt, wie privat es zunächst anmuten mag, es wird alles in uns aufgerufen, was Gefahr und Hoffnung unseres Menschseins ausmacht. Langsamer als in den anderen literarischen Formen vollzieht sich der Wandel der Lyrik, wobei es immer über die Jahrhunderte hinweg auch zu Rückgriffen kommt.Der
Seit der Romantik war es eine bis zu Stefan George wirksame Zielvorstellung, die drei Kulturen, die griechischrömische, die abendländische und die orientalische zu vereinigen. Und nun, ohne daß der Autor eine solche Absicht bewußt verfolgt hätte, liegt ein lyrisches Lebenswerk vor, in dem Ost und West, als wären sie das Spiel- und das Standbein eines Körpers, zur unlösbaren Einheit und zur Voraussetzung von dessen geistig überraschender Beweglichkeit geworden sind.Hinter dieser Einheit steht das Doppelleben des Neffen des gestürzten Schahs, des persischen Prinzen Cyrus Atabay, der
Auch ein kleines Stückchen Geschichte der FURCHE verbirgt sich in diesem repräsentativen Band, welcher Thomas Bernhards Jugendentwicklung anhand seiner Gedichte aufzeichnet. Es sind drei Sonette, die am 31. Juli 1954 in der FURCHE erschienen sind, also Gedichte eines 23jährigen. In ihnen wird bereits die Traklsche Verfallskadenz spürbar, aber noch wirft die Salzburger Domkuppel ihren Schatten „ohne Mühe", was sie der „klaren Frühe" verdankt, vielmehr aber noch dem ,,-ühe", auf das sich die Mühe reimen soll.Später im Mittag des Lebens wird Bernhards Schattenarbeit um
Stefan George, ein literarischer Grenzgänger, hat immer die Extreme herausgefordert, den erbarmungslosen Verriß durch einen Eduard Engels ebenso wie die kultische Anbetung durch seinen Jüngerkreis. Insofern hat sich nach einem halben Jahrhundert ein stabiles Gleichgewicht eingestellt, als sich nunmehr die Extreme in einem „objektiven Staunen“ über das Phänomen Stefan George wechselseitig aufheben. Mögen anderen Dichtem zuweilen Zaubersprüche gelingen, Stefan George spricht eine Zaubersprache, die, indem sie die Dinge nennt, sie zugleich in Reim, Rhythmus und in ein Ranken werk von
Die Tochter Peter Schlemihls hat mit ihrem Schatten kein böses Geschäft gemacht, um sich wie ihr Vater zwischen Rationalität und Romantik die, Siebenmeilenstiefel der modernen Forschung und Entdeckungen anmessen zu lassen, Ihr ist der Schatten völlig natürlich abhanden gekommen: in dem Silberlicht der unteren Donau, in den hellhäutigen Zimmern ihres Wolkenhauses zwischen Feldern von Sonne.Da ist also keine männliche Alternative des Entweder-Oder: denn die Tochter Schlemihls findet, wenn sie will, jederzeit den dunkelkühlen Abdruck der Welt wieder, um aufzuatmen „im Schatten der
Edwin Hartl ist vom Einzelkind (geboren 14. Juli 1906) zum Einzelmenschen geworden. Will das sagen, daß beide Vereinzelungen auf die Matrix, ob nun Familie oder Epoche, zurückzuführen sind? Material zu diesem Thema finden wir in Edwin Haitis jetzt erschienenen Buch „Wenn ich so zurückdenke, Hintergedanken an die gute alte Zeit" (siehe Seite 14). Sehr früh irritierte das Einzelkind all das, was von Le Bon bis zu Ortega y Gasset als „Aufstand der Masse" registiert wurde. Heute nach Jahrzehnten der drei Explosionen, der Beton-, der Atom- und der Bevölkerungsexplosion, hat sich
Während das kommunistische Weltexperiment abgebrochen wird, weil sich die Menschen von der Freiheit mehr Gleichheit versprechen als von einem System, dessen oberstes Prinzip angeblich die Gleichheit selber ist, steht Andre Breton, jener Künstler, der sich berufen fühlte, die ästhetische Parallelaktion zu Lenin mit Despotenmanier zu lenken, derzeit im Mittelpunkt einer Pariser Ausstellung des Surrealismus. Noch immer gehört der Surrealismus gleichsam zu den Grundmustem der Moderne.Es ist jedoch eine der Besonderheiten von Alfred Kolleritsch, daß er jahrzehntelang all diesen Modemismen als
Nachdem man durch Hans Magnus Enzensbergers Raffinesse das ganze Repertoire an zeitgenösischem Elend schmunzelnd und schließlich intellektuell angeheitert durchgewankt ist, fragt man sich und vielleicht auch den Autor: ja, darf man denn so virtuos souverän mit den Bedrohungen unserer Gegenwart spielen? Ist denn soviel Sodomie zwischen unserer unmittelbaren Sinnlichkeit und ausgetüftelten Intellektualität überhaupt statthaft?Vom alten Ehepaar bis zum ausrangierten Revolutionär, dessen Kimme in der Maschinenpistole leer bleibt, weil der Feind ihn vergessen hat, kommen wir aus dem
Dank Ilse Brems Doppelbegabung gewähren ihre Bücher Einblick in Entwicklung und Wechselwirkung von Graphik und Sprachgestalt. Sind doch ihre Graphiken keine Illustrationen im üblichen Sinn, vielmehr Spiegelungen ihrer dichterischen Individualität in einem anderen Medium. Analog dem dialektischen Zuwachs an Sprache erschließt sich auch in den neuen Bildern eine bisher unbekannte Dimension. Anstelle vegetativer Wuchsformen, die als antropomor-phe Ausdrucksgebärden gesehen wurden, ist nun die labyrinthische Raumtiefe von Bergstädten getreten.In diesen mediterran geprägten
Zweifellos geht vom Raumerlebnis eine Kraft aus, für die bildende und darstellende Kunst nicht minder prägend, ja entscheidend ist wie für religiöse Empfindungsweisen. Das lyrische Gesamtwerk von Klaus Demus läßt sich als Versuch deuten, dem Medium der Sprache Raumerfahrungen einzuverleiben und zwar solche, die über das bloß Beschreibbare von Landschaften mit ihren Gebirgen, Flüssen und Gletschern hinausgehen. Deshalb hat der Band einen raumbezogenen Titel: „Hinausgang". Ein programmatisches Gedicht heißt „Halb innen - halb außen", gehören ja auch Innenräume mit
Als 1989 die Weltende-Euphorik auf ihrem Höhepunkt angelangt war, beurteilten russische Autoren wie zum Beispiel Andre Bitow die Lage eher als unvermeidlche Operation, die allerdings von einem so großen Risikofaktor belastet sei, daß man nicht voraussagen könne, ob und wie amputiert der Patient überleben wird.Nun liegt erstmals in deutscher Sprache ein Werk vor, das beweist, wie unvermeidbar die „Operation" gewesen ist, und dies nicht durch Statistiken des Terrors, sondern durch die Stimme eines eingekerkerten Gerechten. Ein Gerechter, der als Künstler mit Stephane Mallarme,
Die erste Aprilwoche dieses Jahres hat die europäische Literatur ärmer gemacht: Am 3. April starb der englische Erfolgsautor Graham Greene, einen Tag später der bedeutende Schweizer Schriftsteller Max Frisch und der österreichische Literat Ernst Schönwiese.In manchem erinnerte der am 2. Oktober 1904 in Berkhamsted geborene Greene an Ernest Hemingway. Auch er kam als Redakteur der „Times" vom Journalismus und hat diese Ausbildung in reißerischen Romanen gekonnt genützt. Auch er war Abenteurer, lebensgierig und rastlos. Beiden genügten keine „Second-hand-Informationen", sie
Hilflos in unserer Trauer stellen wir fest, wieviel Arten von Geschöpfen beider Naturreiche Jahr für Jahr aussterben, eine Verarmung, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Ist der Gefühlsschwund, welcher als Begleiterscheinung all der Dauerzerstörungen in Krieg und Frieden die Herzen verhärtet und das Gemüthafte verdorren läßt, ebenfalls unumkehrbar?Kriemhilde Natmessnig hat jedenfalls mit den Möglichkeiten ihrer Begabung versucht, dem „ Kahlschlagmund", der sprachverdrossen und sprachverschlossen hinwelkt, wiederum eine empfindungsfrische und blutvolle Lebendigkeit
Wenn uns die Bilder aus Tel Aviv auch zeigen, was die Scuds anrichteten, die seelischen Verletztungen, die Vernichtung von unersetzlichen Lebensräumen der inneren Wirklichkeit, mit all ihren Erinnerungen, Fotos, Briefen und Büchern hinterläßt auf der Elektronik keine Spur. Dazu bedarf es der Gedichte. Und es gibt sie: Deutschsprachige Gedichte in Israel! Wie man diesen Staat auch sehen mag, als gelobtes Land oderais belastendes Exil, berühmte und hervorragende Autoren wie etwa der 90jährige Werner Kraft haben es immer für einen Auftrag gehalten, auch in Jerusalem innerhalb des deutschen
Zwischen Franz Grillparzer und Peter Handke bestehen tatsächlich Schicksalsanalogien. Da ist der Selbstmord ihrer Mutter, da ist beider Prägung durch eine Jugend in konfliktbeladener Familienatmosphäre und bedrückender Dürftigkeit, wobei es für die nachhaltige Wirkung wenig bedeutsam sein mag, daß Grillparzer einem bürgerlichen Verfallsprozeß, Handke jedoch einem eher proletarischen Milieu ausgesetzt gewesen ist.Reichen solche Analogien aus, einen Grillparzerpreis für Handke zu rechtfertigen? Gab man sich zufrieden, zwei berühmte Namen gekoppelt zu haben, ohne sich zu fragen, ob man
In der derzeitigen Lage kommt dem Buch „Die europäische Sprachengemeinschaft” von Mario Wan-druszkua, dem weitbekannten Romanisten, über die fachliche Bedeutung hinaus auch politische Aktualität zu. Und dies umso mehr, als hier ein Gelehrter mit der unbestechlichen Sachlichkeit seiner Erläuterungen zugleich auch zur Läuterung des noch immer nationalistisch getrübten Selbstbewußtseins der europäischen Völker beiträgt.Weil dieses „Sachbuch” in einer universalen Geisteshaltung geschrieben ist, also Witz und Amüsement mit einschließt, besteht die Hoffnung, daß viele Menschen
Christa Peikert-Flaspöhler, die 1983 im internationalen Wettbewerb für christliche Literatur preisgekrönte Lyrikerin, hat den Mut, die schmerzhafte Wunde in dem neuentstandenen Europa nicht zu verleugnen: Deutschlands Ostgrenze. Sie tut dies aber nicht, um die Wunde offen zu halten und daraus einen Eiterherd zu züchten, sie will heilen. Just deshalb, weil ihr Schmerz als Schlesierin so tief reicht, vertraut sie nicht auf politische Pragmatik, sondern nur auf die geistige Auseinandersetzung, auf die von religiösen Glaubenskräften genährte Liebe. Nur diese wird grenzüberwindend zu
Hier gelingt es, Melancholie und Weltüberdruß goustiös ä la carte zu servieren. Eine fein gewürzte Hoffnungslosigkeit schmeichelt dem verwöhntesten Sprachgaumen. Zu solcher kulinarischen Vollendung gehört nun freilich nicht nur eine enorme Sprachphantasie, sondern auch Selbstzweifel: „Wer hat dich eigentlich aufgefordert / dir von allem ein Bild zu machen", fragt sich der Dichter, weil er selbst fühlt, daß diese Metaphernkunst („Der Sonntag schreint Bewohner ein..."), wie suggestiv sie auch sein mag, nichts daran ändert: „An dem heftigen Glanz eines strotzend
Daß die Dichtung nicht bloß Erfindungen ausmalt, sondern zusätzlich zum phänotypischen den genotypischen Bereich des Lebens und einer Epoche ans Licht hebt, alsoein Verborgenes, das aber doch auf Existenz hin angelegt ist, dies gehört zum Urwissen, dem alle Poesie entspringt. In einer Zeit wie der unseren, da wir ohne Metaphern wie Inspiration, Genius oder Muse auskommen müssen, drückt sich dieses Urwissen folgendermaßen aus: „Es hat sich immer wieder herausgestellt, daß künstlerische Texte in viel stärkerem Maß Träger von .Information' sind als wissenschaftliche Texte".
Nochmals wird von dem Schweizer Dichter Franz Fassbind (geboren 1919) der Versuch unternommen, in einer von Dante geprägten Form, dem Terzinenepos und dessen strengem Reim- und Wortritual das Weltgeschehen unseres Jahrhunderts in einem Sinnbild zu deuten.Den Dantesken Dreischritt von Hölle, Fegefeuer und Himmel transponiert Fassbind in die Dreigliederung von Opferung, Wandlung und Kommunion, also in die Eucharistie.Während aber bei Dante das dialogische Prinzip darauf beruht, daß Vergil die ihm vertrauende Seele durch die Zonen der Welt führt, durchzieht die Dichtung Fassbinds eine
Wer wie Heinz Piontek „bis zum Hals in Wörtern steckt", weiß auch Bescheid, welches Risiko mit der Literatur und mit einer Lebenssinngebung als Literat verbunden ist: „Man setzt sein Leben aufs Spiel." Ironisch beschwört hier Piontek den Doppelsinn, denn einerseits hat er in seinen jüngeren Jahren in einer weltschmerzlichen Selbstgefühlsliteratur als ein Homo ludens auf spielerische Pointen gesetzt, um sich vor den entsetzlichen Erinnerungen unserer Geschichte abzuschirmen, andererseits hat er in seinem 65jährigen Leben die beste Kraft dahin investiert, sehr ernste
„Am deutschen Wesen soll die Welt genesen", so lautete die Devise einer Epoche, welche das Heil wie keine andere im Munde führte, aber wie keine andere Unheil über uns gebracht hat. Nun aber ist die Zeit gekommen, da man sich bis nach Moskau hin von Deutschland und das heißt von dessen harter Währung die Genesung verspricht. Hat sich die DM als der Kern des deutschen Wesens entpuppt?Mit dieser Frage sind wir aber schon mitten drin in den 136Takten der unaufhörlich scheinenden Es-Dur Fluten, aus denen das Rheingold herausgeschwemmt worden ist, der Nibelungenhort, dessen später
Aus dem Lateinischen trahere ist die Tradition und viel später der traditionslose Traktor hervorge-gangen. Leider haftet der Tradition oft das Mißverständnis an, Ge-schichtlichkeit sei etwas, daß sich sofort in nichts auflöste, würde man sich den Energieaufwand'des Erin-nerns ersparen. Das ist purer Unsinn. Wir tragen die Kiementradition der Fische in unseren eustachi-schen Röhren, ob wir das wissen oder nicht. Und genauso ist es in der Geschichte einer Kultur und deren geographischen Räumen.Für einen Gelehrten wie Robert Mühlher gehört solche unablässige Bewußtseinserweiterung
Eine Anthologie wie diese, die auf ein Thema konzentriert ist, vereint den Reiz der Vielfalt der Autoren (19) mit der Einheitlichkeit der Problemstellung. Aus diesem Wechselspiel der Extreme ergibt sich ein Spannungsreichtum, von dem auch schwächere Beiträge profitieren. Mit dem Titel "Loch im Verstand" haben die beiden Her-ausgeber Brigitte und Wilhelm Meissel bereits die beiden Möglich-keiten aufgezeigt, die all diesen irrationalen Geschichten und deren psychische Einstellung zugrun-degelegt werden kann. Entweder ist das Loch im Verstand die Nabe, in welcher sich die Weltachse dreht und
Wie heilsam sind doch in der Leistimgsgesellschaft, wo die Zeit immer unerschwinglich teurer wird, alle Arten von Steuern, welche den Leistungsbeflissenen ins Finanzamt beordern und ihm dort eine Ruhepause des Wartens und der Besinnung gönnen. So kam ich in die Radetzkystraße Nr. 2. Ich betrat das Foyer und war überwältigt. Dieses Erlebnis hätte ich mir schon ängst gönnen müssen. Wer hätte das geahnt?Der Empfangshalle des Bürogebäudes lag das altchristliche Symbol des Wassers, das Achteck, Bauplan so vieler frühchristlicher und romanischer Baptisterien und Taufbecken,
Ein vorstädtischer Lebensraum, wie es ihn jetzt nirgendwo mehr in Wien gibt, in dem aber noch vor 70 Jahren Stadt und Land verzahnt waren, und wo in weitläufigen Hinterhöfen grüne Oasen den Stallungen für die Kühe genügend Platz boten, hat das Lebensgefühl von Ernst Waldinger ebenso entscheidend beeinflußt wie das seines Otta-kringer Bezirksgenossen Josef Weinheber. Trotz leidvollem Exil und dem Lebensrhythmus eines anderen Kontinents hielt der Dichter seiner Herkunft die Treue, läuterte er in seinen Dichtungen, diesen „erbitterten Idyllen", seinen Patriotismus so
Ist es Weisheit der Ökonomie oder ist es Denkfaulheit, wenn wir unser Reden und Argumentieren mit rhe- torischen Fertigteilen zusammen- bauen als wäre es ein modernes Bü- rohaus? Faktum bleibt, daß unsere sprachliche Wirklichkeit sich so öd ausnimmt wie unsere Reihenhäu- ser. Dieser Versteinerung bei le- bendigem Sprachleib verdankt H. C. Artmann seinen Ruhm als locke- rer Schaumschläger.Er ist sehr tief in die Physik der Schäume eingedrungen, von den mythologischen Meerschäumen, aus denen Venus hervorging, bis zu den süßen und fetten Schäumen der Konditorwaren. Aber auch Gold-
Gelegentlich finden sich in zeit- genössischer Lyrik und Prosa Par- tien, in denen man den Tod als „Blamage" im Schöpfungsplan zu entlarven meint. Auch Potoschnigs „Westdrift", die Fahrt des Toten- schiffs in die westwärts gelegene Todeswüste, ist schwerbeladen mit Trauer über die Endlichkeit, mit der peinigenden Wehmut über Ver- säumnisse, aber das wahre Endziel bleibt doch die Aussöhnung mit der irdischen Sterblichkeit. Denn auch „der Tod will leben", muß leben.Nur um den Preis des Abdankens können sich die höheren Ideen der Schöpfung evolutionär entfalten. Nur die
In den Gedichten der Burgenlän- derin Frieda Hirsch fand György Sebestyön ein Echo seiner eigenen Verbundenheit mit diesem Land- schafts- und Kulturraum. Daß er auch bei ihrem zweiten Gedicht- band Pate gestanden ist, hängt aber mit charakterlichen Motiven zu- sammen: Sebesty£n, der vielseitige und komplexe Autor, sehnte sich nach Aussöhnung in der Reinheit elementarischer Empfindungen und nach dem schlichten Wort, wie es Frieda Hirsch inmitten einer Welt gegeben ist, wo Sprache nur noch als Juxartikel oder als Zaubertrick höchsten Anwert erlangt.In seinem Vorwort apostrophiert
In einer der autobiographisch getönten Berichte dieses Bandes „Stretta. Nichts als Vorwände", meint Professor Raupenstrauch, der anerkannte Klavierpädagoge: „Aus dem Hans Raimund könnte was werden, er müßte nur einmal rich- tig zu arbeiten anfangen." Nun, der Autor Hans Raimund, so „neben- bei" auch ein exzellenter Musiker, hat schon längst zu arbeiten begon- nen, und zwar vor 25 Jahren. Seine Intensität unaufhörlich steigernd, arbeitet er mit und an der Sprache, seinem Werkzeug: „Ein feines, scharfes, immer noch vervollkom- menbares."Überdies hat er im täglichen Training
Hans Egon Holthusen hat in den fünfziger und sechziger Jahren versucht, in der Auseinanderset- zung mit dem metaphysischen Gedicht T. S. Eliots und W. H. Audens die Artikulationsmöglich- keiten des deutschen Gedichts zu erweitern und sie den Ausdrucks- bedürfnissen der labyrinthischen Nachkriegsjahre anzupassen. Ob gelungen oder nicht, jedenfalls hat dieses lyrische Schaffen gemein- sam mit einer sehr detaillierten Kenntnis der amerikanischen Lite- ratur dazu beigetragen, in Holthu- sen eine Weltsicht heranreifen zu lassen, deren Synoptik in Hinblick auf Raum und Zeit im deutschen
Noch nimmt Rudolf Kassner weder in Österreich noch im übri- gen Europa den ihm gebührenden Platz ein, und zwar als „bedeu- tendster Kulturschriftsteller, den wir jehatten" (Hugo von Hofmanns- thal). Immerhin hat eine treue Gemeinde in Wien, geleitet von Frau Herta Staub und Viktor Suchy, so lange durchgehalten, daß nun auch der neunte Band der sämtlichen Werke in einer mustergültigen Edition erschienen ist.Eine ungewöhnlich scharfe Be- obachtungsgabe gegenüber dem Physiognomischen in allen Berei- chen der Natur verbindet Kassner mit poetischer Phantasie als Wis- sen des Unbewußten.
Wahltag in der Demokratie ist der große Tag des wählenden Wil- lens, der sich hierauf in langen Jahren des zulassenden Willens verdünnt, verflacht, ja völlig ver- flüchtigt. Deshalb bedarf es nach abgelaufener Legislaturperiode immer einer beträchtlichen An- strengung und einer runden Sum- me Geldes, um diesen ermüdet zu-lassenden Willen des Wahlvolkes wiederum in einen energisch wäh- lenden Willen zu verwandeln...Dieses Verdichten von Willens- energie, die sich im Alltag von Stun- de zu Stunde verzettelt, nunmehr auf einem Wahlzettel zur Entschei- dung zu bringen, um ein Kreuzes-
Der Wesensgehalt von Franz Grillparzers „Der Traum ein Le- ben" wurzelt so tief in der österrei- chischen Veranlagung, daß man ihn nach eineinhalb Jahrhunderten in einem durchaus modernen Buch wiederfinden kann, in dem stili- stisch betrachtet zweifellos auch Anklänge an Heimito von Doderer, Alfred Kubin, Jörg Mauthe und Franz Kafka nachweisbar sein mö- gen: Also ein durch und durch öster- reichisches Buch.Aus Rusfan, dem verhinderten Tatmenschen und Helden Grillpar- zers, wird bei Helmut Pfandler ein Amtsrat Zwipp. Den Dämon Zanga des Ehrgeizes und der schlauen In- trige
Der Leser wird in seiner Bezie- hung zu diesem Buch drei Phasen durchlaufen: Vom Erstaunen wird er zum Respekt vor der Leistung des Dichters und schließlich zur Meditation geführt werden, die ihn Stufe um Stufe in die Tiefe des alt- ägyptischen Weltbilds führt. Welt- bild im eigentlichen Wortsinn, denn es handelt sich nicht um ein ausge- tüfteltes Begriffssystem, sondern um dynamische Bilder, wo sich das Diesseits im Jenseits und das Jen- seits im Diesseits spiegelt, weshalb Alois Vogel seinem Buch ein Al- bert-Camus-Zitat voranstellt: Wis- sen und Imagination sind auch heu- te
Daß Fußball-Länderkämpfe zur psychischen Hygiene der Völker einiges beitragen, ist seit Konrad Lorenz allgemein bekannt. Dem großen Verhaltensforscher kam diese Idee nicht während des spannungsentladenden Gebrülls auf dem Rapidplatz, sondern auf einsamer Gedankenpirsch im Alm- tal, während er die Ritualkämpfe der Böcke und Hirsche beobachte- te. Daß aber beim Ländermatch,dessen Ziel es sein müßte, den Wahn des Nationalismus gefahrlos abzu- leiten, heute häufiger denn je Tote als Nebenprodukt der Seelenhygie- ne an- und abfallen, könnte als Beweis herangezogen werden, wie
„Immer ein Gestöber aus Wör- tern im Kopf" durchwandert Ed- win Wolfram Dahl, wie er selbst sagt, Wien, Paris, Venedig, aber auch seine eigene Seelenlandschaft. Doch ist sein Kopf so geartet, daß sich in ihm dieses Wortgestöber in Sprachfiguren verwandelt, die ganz im Gegensatz zur windigen Flüch- tigkeit wie Kletten an uns, den Lesern, haften bleiben, uns nicht los lassen, bis sie unsere eigene Einbildungskraft erreicht und be- fruchtet haben: Eine Bereicherung durch Welthaltigkeit.Ob nun Dahl in einem Salome- Gedicht alliterierend verfährt („Im Achselhaar / verknotet / klappert
Zwanzig Jahre nach Hofmanns- thals Jugendphase hat sich in dem Kärntner Dorf Moosburg Vergleich- bares ereignet: In einem 17jährigen verbanden sich Spürsinn für das Musikalische in der Sprache und ein hochsensibles Organ für Rhyth- mik mit elementarer Anschauungs- kraft, um mystische Zusammenhän- ge bildhaft darzustellen. Das Phä- nomen der Inspiration, mag man es auch heute aus Vorsicht gegenüber allzu aufdringlichen Irrationalis- mus abtun, es bleibt das Rätsel des Genialischen, das die frühen Ge- dichte des Kärntners Johannes Lindner umgibt: Überraschender- weise war daher der
Schwer nur lösen wir uns von der Vorstellung, die Sprache hänge an der Wirklichkeit wie die Etiketten an den Objekten eines Museums oder wie die Namensschildchen an den Käfigen im Taubenzüchter- verein. Wort und Wesen seien in prästabilierter Harmonie aufeinan- der bezogen. In einem fulminanten Auftakt macht Julian Schütting in seinem neuen Gedichtband diesen Ansichten den Garaus, indem er zeigt, wie sich das Verhältnis von der Laut- zur Wesensgestalt wan- delt.Ob Baum oder Taube: Wie grund- legend ändern sich diese Vorstel- lungen im Laufe des Lebens, mag auch die Lautgestalt
Wenn Beethoven im Theater an der Wien in der Winter- saison konzertierte, mußten die glü- hendsten Adoranten Pelzmäntel an- ziehen, um nicht mit Zähneklap- pern die Weihe des Hauses zu stö- ren. Seither sind wir in allen Thea- tern längst klimatisiert, weshalb dem unklimatisierbaren Klima- theater der Freiluftbühnen alleror- ten das Interesse zufliegt. Aber viel- leicht ist keiner Nachfolgerin die- ser antikischen Bühnentradition ein so schönes Panorama beschieden wie den Bregenzer Festspielen mit ihrer Bühneninsel am Bodensee.Manchmal freilich beansprucht das Klimatheater sein
Ein weitverzweigtes Leben geht hier mit. sich zu Rate, inwiefern es ichbedingt,familien-und/oderzeit???? bedingt gewesen ist. Oder sind solche Abgrenzungen allesamt vergleichbar der euklidischen Axiomatik von Punkt und Linie, also von Gedanken, die sich in die Wirklichkeit nicht exakt übertragen lassen? „Wem kannst du trauen", fragt der Autor, denn „Die Götter sind tot", Friedrich Nietzsche - in die M;????????lμ, übersetztr????N????????????inf.i auch alle 'Mythen zu Mahmhalen des Grauens versteinert. Das lliusionsdefizit, welches Nietzsche in einen Wirklichkeitsgewinn verwandeln
Ost-West Begegnung Dertheologischewieauch derphilosophische Sprachgebrauch sind häufig von der Gefahr bedroht, sich mit Wörten zu behelfen, die gleich naturgeschichtlichen Museumspräparaten in Spiritus konserviert jeglichen Glanz und alle frische Farbigkeit des Lebens eingebüßt haben.Auch Predigten und Ansprachen gelingt es nicht immer, dieser Gefahr zu entgehen. Deshalb ist die Tradition des Priester-Dichters, von denen Österreich eine Anzahl besitzt, so nachhaltig wirksam. Der Abt des Stiftes Lilienfeld, Norbert Mussbacher, ist hier zusammenmitHeinrichSuso-Waldeggund Hans Bausenwein zu
In der Musik hat man es immerhin soweit gebracht, für die Durchdringu ????g von Motiven eine Disziplin als handwerkliche Hilfe des Künstlers zu· entwickeln: den Kontrapunkt. Der Wortkünstler ist weitgehend auf sich selber angewiesen, will er sich eine zeitgemäße Technik der Motivdurchdringung schaffen. Alfred Gesswein (19P- 1983) ist dies gelungen.In dem von Alois Vogel entworfe- . nen Cparakterbild, das diesen Gectichte ???? '3.'llS dem Nachlaff vorange- ' · stellt ist, wird wieder bewußt gemacht, wie viele auseinanderstrebende Kräfte hier in Wechselbezug gebracht worden sind: Hier
Kann man berühmt und zugleich eine „Unperson" sein, von der sich der Zeit- und Ortsgeist abkehrt, um der Unperson nicht allzu tief in die Augen sehen zu müssen? Arnold Zweig ( 1887-1968) war als Exilierter'in Israel ebenso ein Fremder wie im wilhelminischen Deutschland als Frontsoldat. Obwohl ein Jasager, fiel er zuletzt auch in der DDR leise durch alle Maschen.Ein solches Leben zwischen den Fronten, die im Gang der J ahrzehnte Standort und Kampfweise wechseln, wird dem Biographen Wilhelm von Sternberg zum Anlaß, von den Trommelfeuern um Verdun, über die Weimarer Republik bis zu den
In diesem Buch findet sich eine Schilderung der Flucht Friedrich Torbergs quer durch Frankreich zur spanischen Grenze. Wenige Tage nach den katastrophalen Ereignissen des Juni 1940 in der portugiesischen Stadt Curia verfaßt, sind diese Aufzeichnungen nicht Aufarbeitung der Vergangenheit, sondern schmerzdurchbebter Reflex einer unsäglichen Gegenwart.Nach der Überfahrt nach Amerika vermitteln Briefe an den bekannten Kultur publizisten Willi Schlamm den seelischen Zustand Torbergs in der Emigration: Noch nie zuvor war ihm so leer, so schäbig zumute. Aber, und darin liegt das
Seinem hohen Anspruch, das Profil und die Entwicklung der österreichischen Literatur von 1880 bis 1980 aufzuzeigen, wird dieses zweibändige Werk, Ergebnis der Forschungen von europäischen und amerikanischen Germanisten, in hohem Maße gerecht. Einer großen Gefahr ist hier gesteuert, denn je näher solche Werke an die Gegenwart heranführen, desto mehr gleichen sie einer Inventur von mehr oder minder geläufigen Namen, welche dann notdürftig rubriziert werden.Ganz anders verfährt dieses Buch dank seines von Herbert Zeman vorgegebenen Konzepts. In dem einführenden Essay von Zeman
Wie hängt Richard Wagners Par- sifal - das Bühnenweihespiel von der Reinigung bösen Blutes - mit Gobinaus „Idee" von der Vergif- tung einer Kultur durch „böses Blut" und infolgedessen mit der „Endlösung", mit dem Holocaust zusammen? Daß hier verhängnis- volle Beziehungen vielfältiger Art nachgewiesen werden können, steht außer Zweifel, denn Friedrich Nietzsche und Richard Wagner haben einer Verstiegenheit des Geniebegriffes Vorschub geleistet, welche in deutschen Intellektuel- len den Boden, besser gesagt: den ungeistigen Sumpf für die braune Pest und für die Hitler-Idolatrie
„Mir ist ein Stein von der Seele gefallen", sagte unlängst Julian Schütting in einem Interview über die zurückliegende Phase seines Lebens. Der lyrische Kommentar zu dieser Metamorphose, die als „Aufhellung" - dies der Titel des Gedichtbandes - empfunden wird, ist dialogisch gestaltet. Ein Wech- selgespräch zwischen Anima und Animus, SIE und ER. Vielleicht ist hier erstmals in der Literaturge- schichte die Identität des Indivi- duums in der Polarität psychisch- physischer Ausformung zum The- ma geworden. Dies aber ist die Voraussetzung dafür, daß Schüt- ting uns die Urzeugung von
Das Stadttheater Klagenfurt brachte die österreichische Erstaufführung der Oper „Maxi- milian Kolbe" nach dem Text von Eugene Ionesco (Musik von Domi- nique Probst) und die Urauffüh- rung eines Ballettspiels „Das Idol" nach dem Libretto von György Se- bestyen (Musik von Ulf Diether Soyka). Der Bogen war also weit gespannt: Von einer Gestalt der Zeitgeschichte, dem Franziskaner Pater Maximilian Kolbe, der im August 1941 als Stellvertreter ei- nes Familienvaters in Auschwitz gestorben ist, bis zu einem namen- losen Flüchtling in einem Ballett, das sich von der ersten Szene an dem
Was man an einem DDR-Drama- tiker in der Brecht-Nachfolge wie Hartmut Lange (geboren 1937) noch vor kurzem als Erkenntnisvor- sprung bereitwillig in der BRD be- lobt und in jeder Hinsicht gefördert hat, dürfte sich nun allmählich als Nachholbedarf an Wirklichkeits- sinn herausstellen. Allein mit der Herr-Knecht-Motorik kann man das Weltgetriebe weder auf die Dauer betreiben noch erklären.In diesem Umlernprozeß, den so manche Intellektuelle des Westens nun noch vor sich haben, sind die aus der DDR emigrierten Autoren wie Hartmut Lange schon rüstig und erfolgreich vorangeschritten: Keine
Das Buch umspannt nicht nur 400 Jahre Literaturgeschichte, von dem Grenzüberschreiter Doktor Faustus bis zu Doktor Schiwago, dem Grenzüberschreiter eines Rie- senreichs und dessen Diktatur, sondern auch 40 Jahre aus dem Leben eines deutschen Intellektuel- len von außergewöhnlichen Gaben des Verstandes und der Einfühlung.Wenn Oskar Wilde ironisierend die sich als objektiv aufspielende Literaturkritik für die einzig legi- time Form hält, in der man seine Selbstbiographie schreiben könn- te, so bietet Hans Mayer mit diesem Buch hierfür unfreiwillig ein her- vorragendes Beispiel.Ist es