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Kunst als Therapie

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Wahnsinn zu simulieren ist ein seit der griechischen Tragodie immer wieder aufgegriffenes Thema. Aber den wirklich Geisteskranken, wenn er „verstummt in seiner Qual”, zum Sprechen und Dichten zu bringen, darin liegt das Verdienst des Psychiaters Leo Navratil. In seiner Griindung „Haus der Kiinste” in Gugging modi-fiziert er die Idee, welcher ehemals in den Heiligtumern des Asklepios wie zum Beispiel in Epidauros gehuldigt wurde: Kunst als Therapie.

Die Arbeiten seines Patienten Ernst Herbeck (geboren 1920 in Stockerau) liegen nun nach dessen Tod (1991) in einem Sammelband vor. Gleichsam als „Nebenprodukte” dieses Heilver-fahrens wird das Buch zum unver-zichtbaren Material fiir die literarische Komparatistik. Der simulierten Schizophrenic hermetischer moder-ner Lyrik kann die „natiirlich” aus der Krankheit hervorgegangene gegen-iibergestellt werden. Und dies mit umso groBerem Recht, als des Patienten Gedichte eine breite Anerkennung gefunden haben. Die Unangemessen-heit des „gesunden Menschenverstan-des” und vieler seiner Begriffe in An-betracht einer unbegreiflichen Wirk-lichkeit offnet uns fiir Zustande, wel-che dessen des Schizophrenen ahneln.

Leo Navratil und der Offentlichkeit ist es tatsachlich gelungen, dem Patienten ein SendungsbewuBtsein als Dichter zu geben und dadurch sein Befinden zu bessern. Im Gegensatz dazu ist ein bedeutender Dichter wie Paul Celan daran zugrundegegangen, daB er die Unangemessenheit von Dichtung und Wirklichkeit immer schmerzhafter empfand. „Die schi-zophrene Tonung der Kultur” (Igor Caruso) stellte sein Dichtertum, ja schlieBlich sein Leben in Frage.

Wenn die Stimme aus Gugging dar-auf auch keine Antwort gibt, so konnte sie doch einen sehr wesentlichen Beitrag zur Analyse des „Zeitgeistes” liefern.

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