7046930-1990_37_08.jpg
Digital In Arbeit

Jahrmarktwirtschaft

Werbung
Werbung
Werbung

Daß Fußball-Länderkämpfe zur psychischen Hygiene der Völker einiges beitragen, ist seit Konrad Lorenz allgemein bekannt. Dem großen Verhaltensforscher kam diese Idee nicht während des spannungsentladenden Gebrülls auf dem Rapidplatz, sondern auf einsamer Gedankenpirsch im Alm- tal, während er die Ritualkämpfe der Böcke und Hirsche beobachte- te. Daß aber beim Ländermatch,

dessen Ziel es sein müßte, den Wahn des Nationalismus gefahrlos abzu- leiten, heute häufiger denn je Tote als Nebenprodukt der Seelenhygie- ne an- und abfallen, könnte als Beweis herangezogen werden, wie unaufhaltsam die europäische Welt auch nach Hitler weiter ins Barba- rentum absinkt. Denn die kathar- tisch seelenreinigende Wirkung eines 0:0 in der Weltmeisterschaft wird nicht mehr von allen Besu- chern ausreichend beglückend er- lebt. Viele lechzen nach Eindeutig- keit der Abgrenzungen in einer pluralistischen Gesellschaft. Blut und Tod gehören nun einmal zu den kräftigsten „Ein-Deutern", da sie kein da capo zulassen. Das Bedürf- nis, etwas anzustaunen und zum Idol aufzudonnern, ist im Menschen ebenso stark wie die Aggression, Idole der anderen herunterzuma- chen. Am liebsten ist ihm, wenn

sich beide Tendenzen kreuzen, weshalb „Kreuzzüge" bis zu dieser Stunde zum grauenvollen Schick- sal unserer Psyche gehören.

Und gerade deshalb fühlt man sich in Salzburg und inmitten des Menschengetümmels der Getreide- gasse, selbst noch in der Atemnot des Eingequetschten, wie in einem Reigen seliger Geister! Die Men- schen von Tokio bis Los Angeles, rund um den Planeten, haben einen Gegenstand der Adoration gefun- den, der jegliche Aggression aus- schließt: das österreichische Wun- der schlechthin! Zum Genius loci, zur Musik im allgemeinen und ,zu Mozart im besonderen, gehört es, daß sie j enseits einengender Begriff- lichkeit, jenseits der sogenannten Bekenntnisse bleibt, die anderen Orts immer wieder zu Spannungen führt, solange die Toleranz nicht genug entwickelt ist.

In Salzburg ist alles ganz anders. Die Düse der Getreidegasse über- läßt jedem einzelnen, sie für das zu halten, was er aus ihr macht: Ob Via dolorosa des Genies, ob Broadway der Oper, ob Bahnhof straße-Zürich, all das wird ins Österreichische übereinanderkopiert. Die vollkom- mene Durchlässigkeit aller Berei- che, ansonst Vorrecht der Astral- leiber, wird hier jedem schlichten

Sozialtouristen ein wenig zuteil. Mozart macht's möglich, er, bei dem sich das Skandalöse mit dem Sa- kralen paart.

Mirakel der abendländischen Sphinx, vor der alle Ratio versagt. Wo gäbe es noch wie in der Getrei- degasse eine solche Düse, durch die sich bei größter Hautnähe unge- fährdet ansonst unüberbrückbare Gegensätze drängen: Frech und fromm die kindlich Neugierigen aller Länder - abgebrühte Welten- bummler - Pflichteifrige ihrer noblen Selbstinszenierung, echte Wallfahrer, welche wissen, daß die größte und komplexeste europäi- sche Erfindung, die Freiheit, bisher nur im künstlerischen Modell, etwa im „Figaro", existiert.

Dessen sollten sich alle Ver- antwortlichen bewußt sein, wenn sie sich mit dem Problem her- umschlagen, wie dieser Menschen- strom, der, wie jeder Strom ero- diert und zerstört, was er berührt, reguliert und im Mozartjahr kana- lisiert werden soll. Ja, es läßt sich nicht verheimlichen. In Wirklich- keit ist sogar das Mirakel Salzburg nicht frei von Aggressivität, wenn sie sich auch nur auf das Geld rich- tet. Nicht die Taschendiebe sind gemeint, sondern das gute Geschäft.

Zufolge der Nähe des Mirakels wird der Konflikt zwischen Preis und Wert dramatischer und peinlicher als anderswo. Denn alles hat seinen Preis, aber nicht alles, was einen Preis hat, besitzt auch einen Wert. Der Markt will glauben machen, daß sich Wert und Preis proportio- nal entwickeln. Die Templer des Geistes jedoch drängen darauf, daß die absoluten Werte kostenlos ver- abreicht werden, weil deren Preis auf endlicher Skala gar nicht no- tiert werden kann. Der Preis eines erschöpflichen Gutes - wie etwa Erdöl - wäre streng genommen über die Ökonomie hinaus ein ebenso moralisches Problem wie der Preis eines unerschöpflichen Gutes, wie etwa der Güte und Reinheit, die dem Duett Pamina-Papageno ent- strömen. In der Marktwirtschaft gibt es eine Sozialkorrektur von Wert und Preis, in der Jahrmarkt- wirtschaft der Kunst tobt korrek- turlos der Kampf zwischen Defizit und Einnahmen. Von hier haben wir es dann nicht mehr allzu weit auf den Rapid-Platz. In den Salz- burger Auslägen empfiehlt Pava- rotti seidene Hosenträger für kor- pulente Herren, Jessy Norman ermutigt lächelnd die Damen, ihr mit einem Hauttöner nachzueifern. Der Warenfetischismus verbindet

sich mit dem Personenkult zur „sodomitischen" Unzucht, nämlich zu der zwischen Sachen und Men- schen. Dabei kehrt sich alles um: Es leuchten die Sterne, das heißt die Tenöre, indessen über die Getrei- degasse samt Mozart und den Ge- nius loci die (Götter)dämmerung hereinbricht. Aber auch das gehört zum Gesetz der Jahrmarktwirt- schaft. Die Gagen der Stars können gar nicht hoch genug sein, soll auch der kleinste Würstel verkauf er noch ein bißchen davon profitieren. So obsiegt der Maskenball als Aus- stattungsspektakel, wobei der su- blime Sinn des Stückes kaum ins Bewußtsein tritt, nämlich daß auch alle Taten der Menschen täuschen- de Masken sein können, aus denen ihr Sein und Wesen kaum abzule- sen sind, weshalb letzte Zusammen- hänge nur eine obskure Magierin aufzuspüren vermag.

Salzburg ein Maskenball für Je- dermann, das heißt: um und für jeden Preis. Doch ohne den Wert einer radikalen Demaskierung? Ist diese wirklich nur dem Tod und Thomas Bernhard vorbehalten? Dann wäre der Verbrauch und die Bedeutung von Mozartkugeln durchaus verständlich. Man schießt sie sich selber oder dem lieben Nächsten in die Mundhöhle. Mund- tot gemacht lauschen wir tiefer und hellhöriger ins Dunkel, vernehmen die Stimmen aus dem Abgrund, auch wenn er wie bei Mozart mit Rosen zugedeckt ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung