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DM als deutsches Wesen

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„Am deutschen Wesen soll die Welt genesen", so lautete die Devi­se einer Epoche, welche das Heil wie keine andere im Munde führte, aber wie keine andere Unheil über uns gebracht hat. Nun aber ist die Zeit gekommen, da man sich bis nach Moskau hin von Deutschland und das heißt von dessen harter Währung die Genesung verspricht. Hat sich die DM als der Kern des deutschen Wesens entpuppt?

Mit dieser Frage sind wir aber schon mitten drin in den 136Takten der unaufhörlich scheinenden Es-Dur Fluten, aus denen das Rhein­gold herausgeschwemmt worden ist, der Nibelungenhort, dessen später Nachwuchs nun in den Tresoren von Frankfurt am Rhein gelagert wird. Wenn sich der Vorhang über dem zweiten Bild des Rheingolds hebt, hat Wotan allerdings noch nichts von deutscher Tüchtigkeit profitiert. Wir sehen ihn als eine Art Bombengeschädigten unter-standslos mit seiner Frau Fricka und drei Wäschkörben auf einer schiefen Ebene der deutschen Nach­kriegsbühnen. Begreiflich, daß der Göttervater von dieser mangelnden Häuslichkeit gern in die Ferne schweift. Deshalb wünscht sich Fricka eine anständige Wiederauf­bauwohnung anstelle des Zelts, in dem sie jetzt ihr Eheleben abwik-kelt. Wotan aber braucht, um das Nomadentum aufzugeben, ein Walhall als Eigenheim: „Prunkvoll prahlt der prangende Bau." Läßt man die Paläste von Ceausescu und donauaufwärts bis Wien Revue passieren, wird niemand die hellse­herische Kraft Wagners aber auch nicht die Aktualität der Oper be­zweifeln.

Die suggestive Gewalt prächtiger Klangbilder von Wasser.Feuer, von sonnendurchfluteter Waldland­schaft, aber auch die Echtheit der Musiksprache für eine Fülle allge­meinmenschlicher Gefühle haben beim breiten Publikum hinsichtlich des Rings der Nibelungen eine doc-ta ignorantia erzeugt, ein seliges Unverständnis, sodaß man verken­nen konnte, daß dieses Werk mit einer der ältesten Waffen metaphy­sischer Ausdrucksmittel, mit der Musik, gegen voreilige Versöhnun­gen kämpft: Wotan stirbt nicht. Er bringt sich selber um... seine Gött­lichkeit, denn er sucht nach dem Menschen, „freier als ich, der Gott".

Der Grazer Inszenierung des Rings kommt deshalb eine so große Be­deutung zu, weil sie mit einem rein emotionalen Zugang zum Ring wohl für immer Schluß gemacht hat. In Graz schreckt man vor Anachro­nismen, vor surrealistischen Effek­ten, ja vor der Absurdität nicht zurück, wenn dadurch ermöglicht wird, die Komplexität von Richard Wagners Symbolik auszuleuchten und dadurch den Rang dieses Weltdeutungsdramas zu enthüllen. Sind doch die Szenenbilder keine Vitri­nen, in denen die Gebrauchs- oder Schmuckartikel für das Bühnenge­schehen hübsch arrangiert werden. Sie sind Aktivräume, welche die Handlung nicht bloß umgreifen, sondern in sie eingreif en. Selbst der Drache ist kein Getier, sondern eine raumfüllende Drachenmaschinerie. Walhall, zwischen den Flächen eines Keiles schwebend, erweist sich als Kugel-Denkmal. Und so zieht denn der bombengeschädigte Wotan in ein asteroides Kugellager ein. Vor­her aber ist zu klären, wer dieses Walhall sponsert, denn jene, die es bestellt haben, können es nicht be­zahlen. Solche Ideologieburgen kommen ohne Anleihe bei Albe­rich, dem verpönten Antigott der Nibelungen, niemals aus. Dieser Großindustrielle Alberich hat vom Anfang der ersten industriellen Revolution an der Liebe abgeschwo­ren, knutet daher lieblos die „Schwarz-Alben", seine Berg­werkskumpel. Sein Ziel ist das WeltbordeU: Die Käuflichkeit jeg­licher Art von Lust, deren Kurs auf der Börse der freien Marktwirtschaft notiert wird. Bei den paritätischen Verhandlungen Wotans mit den „Riesenunternehmungen" Fasolt & Fafner muß er sich sagen lassen: „Was Du bist, bist Du nur durch Verträge." Also Gott Wotan - eine Abmachung? Dies riecht brenzlich nach Nihilismus. Diesen Brandge­ruch verschärft Wagner mit einem akustisch-optischen Doppeleffekt, den der lodernde Loge verbreitet. Loge ist der buntscheckige Schar­latankünstler, der glatzköpfige Journalist, der lockere Showmaster.

Bei einer so radikalen Neugestal­tung wie in Graz wird es immer gegensätzliche Meinungen geben. Etwa wenn wir Wotan im „Sieg­fried" als Wanderer wiederfinden, der durch die Welt zieht und sich dabei Krampfadern holt. Bei allem Respekt vor Wagners mutigem Deu­ter: geht es nicht doch zu weit, wenn nun Alberich, der Antigott oder Teufel in christlicher Caritas den fußleidenden Gott als Samariter das nackte Bein fatscht? Daß hierbei Text und Bühnenszene auseinan­derklaffen, sei hingenommen: Wäh­rend Alberich singt „Da reitet er hin auf lichtem Roß..." kriecht Wotan, frisch gefatscht, den Berg hinan. Sei's drum, im Innersten hat die Grazer Inszenierung doch recht.

Bei Richard Wagners Absicht, alle Religionen auf einem ökumenischen Weltrat zu vereinen, auch Pseudo-religionen, darf der Arbeiter-Held nicht fehlen. Hiermit wären wir wieder beim Wesen angelangt, an dem die Welt genesen sollte.

Richard Wagners Gesprächspart­ner in Dresden Michael Bakunin, der anarchistische Denker, dachte bereits dreißig Jahre vor der ersten Aufführung des Rings daran, einen Weltbrand zu entfachen, um die „Götterdämmerung" zu erhellen und zugleich die Erde zu bereini­gen. Eine neue, gerechtere Welt könnte dann entstehen. Nur eine Partitur wollte er in Händen halten, um sie vor der alles auslöschenden Weltbereinigung zu bewahren: die IX. Symphonie von Beethoven. Wagners Götterdämmerung wurde erst in Bakunins Todesjahr erstauf­geführt und niemand weiß, ob Ba­kunin, von dieser Spätzündung sei­ner Gespräche erstaunt, auch die zweite Hand gebraucht hätte, um nun auch Wagners Werk zu retten. Das Grazer Opernhaus hat mit sei­nereminenten Leistung alles getan, um Bakunin zu überzeugen.

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